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VI ZR 58/76 - Bundesgerichtshof (Zivilgericht)
Date du jugement: 21.06.1977
Numéro de référence: VI ZR 58/76
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: Zivilgericht

Leitsätze:

1) Der Verursacher eines Brandes verletzt auch das Eigentum an einem Nachbargrundstück, soweit dieses wegen akuter Brand- oder Explosionsgefahr bzw. aufgrund einer deshalb erlassenen polizeilichen Anordnung vorübergehend geräumt werden muß.

2) Keinen rechtlich zurechenbaren Eingriff in das Eigentum am Nachbargrundstück oder einen dort eingerichteten Gewerbebetrieb stellt es dar, wenn wegen Brandes Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr vorübergehend dessen öffent¬liche Zufahrtstraße blockieren.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 21. Juni 1977 

VI ZR 58/76 

(Landgericht Würzburg; Oberlandesgericht Bamberg)

Zum Tatbestand:

In einem Tanklager war ein Tanklastzug bei seiner vorschriftswidrigen Beladung in Brand geraten. Weil das übergreifen des Feuers auf die großen Tanks des Tanklagers befürchtet werden mußte, wurde das unmittelbar angrenzende Betriebsgrundstück der Klägerin, eines Tünchergroßunternehmens, polizeilich für 2 Stunden geräumt und gesperrt. Anschließend hatten Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr die Zufahrtstraßen zum Grundstück der Klägerin für weitere 3 Stunden blockiert.
Die Klägerin verlangt in der Klage gegen den passiv legitimierten Vertreter des Tanklagerbetriebes Feststellung eines Schadensersatzanspruches in Höhe von mehr als 12 000,- DM, weil das Unternehmen der Klägerin für mehr als 5 Stunden zum Erliegen gekommen sei.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Aus den Entscheidungsgründen:

„1. Der auf der zweistündigen Sperrung des Betriebsgrundstücks beruhende Schaden

[...]
Eine Verletzung der Substanz von Grundstück und Betriebseinrichtung ist freilich nicht ersichtlich. Aber eine solche ist auch für die Bejahung der physischen Beeinträchtigung nicht unerläßlich (BGHZ 55, 153, 159; 67, 378, 382). Wie der Senat schon in seinem Urteil vom 14. Februar 1967 (VI ZR 140/65 = WM 1967, 562 = BB 1967, 391) ausgesprochen hat, kann auch die mit keiner Beschädigung oder Zerstörung verbundene Entziehung einer Sache eine Verletzung des Eigentums i. S. des § 823 Abs. 1 BGB darstellen (s. auch BGHZ 56, 73, 77; BGH Urt. v. 28. Februar 1975 - 1 ZR 112/74 - VersR 1975, 658, 659); das gleiche kommt in Betracht bei einer Einwirkung auf die Sache, die deren Benutzung verhindert (BGHZ 63, 203, 206).
Andererseits wurde mitunter eine bloße physische Gefährdung der Sache nicht schon als Verletzung des Eigentums gewertet (RGZ 50, 225 - abstrakte Brandgefährdung; RGRK BGB 11. Aufl. Anm. 17 zu § 823). Dem vermag der Senat indessen nicht beizutreten für einen Fall der vorliegenden Art, wo eine akute Gefährdung schon aus Vernunftsgründen jede Benutzung zeitweilig verbot. Zusätzlich wurde das Eigentrumsrecht der Klägerin (§ 903 BGB) durch das polizeiliche Räumungsgebot, wenn auch nur vorübergehend, aber empfindlich eingeschränkt. Beides fällt den für den Brand im Tanklager Verantwortlichen als Verletzung eines weiteren Rechtsgutes zur Last.
Damit ist der Klageanspruch in dem hier erörterten Umfang unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) dem Grunde nach gerechtfertigt.
[...]

2. Schaden durch fortdauernde Blockierung der öffentlichen Zufahrtstraße.

Nach dem Vortrag der Klägerin, den das angefochtene Urteil allerdings nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit mitteilt, war diese nach Ablauf der polizeilichen Räumungsanordnung für ihr Betriebsgrundstück gehindert, ihre mit Material beladenen Fahrzeuge ausfahren zu lassen, weil die Zufahrtstraße zum Betriebsgrundstück der Klägerin weiterhin durch Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr blockiert war. Deren Einsatz diente, soweit ersichtlich, nicht mehr unmittelbar dem Schutz des Grundstücks der Klägerin, sondern nunmehr der Sicherung und Überwachung der eigentlichen Brandstätte.
[...]
Ein Zusammenhang mit der zeitweisen Gefährdung und Räumung des Betriebsgrundstücks der Klägerin ist, wie bemerkt, nicht ersichtlich. Damit kann insoweit ein Folgeschaden aus der zu 1) erörterten Eigentumsverletzung nicht vorliegen.
Es wäre auch abwegig, in der kurzfristigen Störung des öffentlichen Verkehrs auf den Zufahrtswegen zum Grundstück der Klägerin eine selbständige Beeinträchtigung des Eigentums am Betriebsgrundstück zu erblicken. Der Unterschied zu dem in BGHZ 55, 153 (insbesondere S. 159) entschiedenen Fall (monatelanges Einsperren eines Binnenschiffes im Endteil eines Fleets) ist offensichtlich.
[...]
Aber auch der „Auffangtatbestand" des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb kann der Klage insoweit - entgegen der Meinung des Berufungsgerichts - nicht zum Erfolg verhelfen. Es ist nicht der Sinn dieses besonderen Rechtsschutzes, dem Gewerbetreibenden einen Schadensersatzanspruch für solche Vermögensschäden zu gewähren, die ein anderer unter sonst gleichen Umständen ersatzlos hinnehmen müßte. Letzteres trifft jedenfalls für eine vorübergehende Behinderung am Gemeingebrauch an einer öffentlichen Straße zu. Zunächst ist der Gemeingebrauch als solcher anerkanntermaßen kein im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geschütztes „sonstiges Recht" (BGHZ 55, 153, 160, 162). Dieser Grundsatz darf nicht auf dem Umwege über den Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes überspielt werden. Aus denselben Erwägungen muß auch eine spezifische Betriebsbezogenheit eines solchen Eingriffs verneint werden (vgl. BGHZ aa0. S. 161). Denn an ihr muß es im Zweifel dann fehlen, wenn auch jeder andere Rechtsträger einer entsprechenden Behinderung ausgesetzt sein kann und sie dann nach den das Haftpflichtrecht bestimmenden wertenden Zurechnungsgrundsätzen entschädigungslos hinnehmen muß. Das ist bei einer vorübergehenden Behinderung an der Ausübung des Gemeingebrauchs an einer öffentlichen Straße der Fall. Bezüglich der Vorschriften der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten i. d. F. vom 5. 6. 1970 und des § 309 StGB ist das schon oben ausgeführt worden. Nichts anderes gilt aber für Gesetzesverletzungen, die typischerweise zu vorübergehenden Stockungen des Straßenverkehrs führen können, insbesondere für Verstöße gegen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung. Hier hat die Rechtsprechung dem Schuldigen zwar Zweitunfälle, die sich durch eine fortwirkende Gefahrensituation entwickelt haben, ursächlich zugerechnet (vgl. etwa Senatsurteil vom 11. Juli 1972 - VI ZR 79 u. 80/71 - VersR 1972, 2105; BGH-Urteil vom 7. Februar 1974 - II ZR 125/72 - VersR 1974, 543). Dagegen sind, soweit ersichtlich, nie unter dem Gesichtspunkt des § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit den verletzten Verkehrsvorschriften Schadensersatzansprüche solcher Verkehrsteilnehmer anerkannt worden, die durch die unfallbedingte Verkehrsstockung einen Vermögensschaden erlitten haben. Dem stünde abermals entgegen, daß der Schutzzweck der Verkehrsvorschriften so weit nicht gehen kann, derlei Beeinträchtigungen vielmehr von jedem Benutzer öffentlicher Straßen als schicksalhaft ersatzlos hingenommen werden müssen.
Ist das aber so, dann kann auch aus dem Gesichtspunkt des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für Gewerbetreibende ein Sonderrecht nicht begründet sein. Es muß vielmehr dem Gewerbetreibenden zugemutet werden, daß er solche Einbußen ebenso wie jeder andere Rechtsgenosse, dem durch Zeitverlust u. U. hohe Vermögensschäden entstehen können, ersatzlos hinnimmt.
Dies gilt jedenfalls für solche Beeinträchtigungen des Gemeingebrauchs an einer öffentlichen Straße, die zwar für einen Gewerbebetrieb besonders empfindlich sein mögen, sich aber insgesamt noch in den Grenzen dessen halten, was auch andere Verkehrsteilnehmer gegebenenfalls ersatzlos hinnehmen müssen. Für den gegenständlichen Fall trifft das zu. Ob es denkbar ist, daß durch die unerlaubte Handlung eines Privatmanns auch eine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs der Art eintritt, die jedenfalls wegen ihrer langen oder gar unabsehbaren Dauer gegebenenfalls unter den Gesichtspunkten der Enteignung oder Aufopferung zur Entschädigung verpflichtet (vgl. etwa den der Entscheidung BGHZ 57, 359 - Frankfurter U-Bahn - zugrundeliegenden Fall), weil der Gewerbebetrieb dadurch wesentlich beeinträchtigt wird, während er eine Beeinträchtigung von sogar einigen Wochen entschädigungslos hinnehmen müßte (BGHZ aaO. S. 368), und sodann eine unerlaubte Handlung durch Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb angenommen werden müßte, braucht aufgrund des vorliegenden Sachverhalts nicht entschieden zu werden.“