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VI ZR 322/15 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Moselschiffahrt)
Date du jugement: 26.07.2016
Numéro de référence: VI ZR 322/15
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: Berufungsinstanz Moselschiffahrt

Leitsätze:

1) Die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Binnenlotsen auf Schadensersatz ist in entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37) auf grob fahrlässig und vorsätzlich herbeigeführte Schäden beschränkt.


2) Eine Ausweitung dieses »Lotsenprivilegs« durch entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze mit der Folge einer unter Umständen bestehenden Ouotierungsmöglichkeit bei grob fahrlässiger Schadensherbeiführung ist nicht zulässig.

BGH Urteil vom 26. Juli 2016 - VI ZR 322/15

(Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe, Az.: 22 U 1/14 RhSch - ZfB 2015, Sammlung
Seite 2359 ff-; Rheinschifffahrtsgericht Kehl, Az.: 4 C 357/12 RhSchG)


Aus dem Tatbestand:


... 2 Die Klägerin ist der Versicherer des Fahrgastkabinenschiffs »Bellriva«. Die »Bellriva« war am 17. April 2012 mit 114 Passagieren und Besatzung auf dem Rhein von Basel nach Köln unterwegs. Das 104,74m lange und 11,61 m breite Schiff gehörte der niederländischen C.
Um 3:26 Uhr kollidierte es im Plittersdorfer Grund bei Rhein-km 338,9 mit einer Buhne, wodurch es erheblich beschädigt wurde.
3 Der 1933 geborene Beklagte ist Lotse für den Oberrhein und Inhaber des entsprechenden Streckenpatents sowie des Radarpatents. Er war für die Schiffseignerin in der Vergangenheit wiederholt tätig geworden. Vier Wochen vor der Kollision war dem Beklagten die Tauglichkeit als Schiffsführer ärztlich bescheinigt worden

...5 Im Plittersdorfer Grund (Rhein-km 338,9) macht das Fahrwasser rheinabwärts eine Linkskurve. Auf der rechten Seite neben dem Fahrwasser befinden sich Buhnen. Der Beklagte änderte um 3:25:40 Uhr den linksweisenden Kurs des Schiffs bei einer Geschwindigkeit von 21,5 km/h nach Steuerbord. Der Zeuge D., der den Kurs des Schiffes anhand GPS-gestützter Daten auf dem Tresco verfolgte, wies den Beklagten auf den zu weit Steuerbord angesetzten Kurs hin. Der Beklagte änderte den Kurs nicht. 49 Sekunden nach der Kursänderung, um 3:26:29 Uhr, fuhr das Schiff mit einer Geschwindigkeit von 21 km/h auf die erste Buhne auf.

6 Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe als verantwortlicher Schiffsführer die Kollision grob fahrlässig verursacht und sei deshalb zum Schadensersatz verpflichtet.

7 Das Rheinschifffahrtsgericht hat die zunächst auf Zahlung von 493.620,46 € nebst Prozesszinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz ihre Klage auf 100.000 Rechnungseinheiten im Sinne des § 51 des Binnenschifffahrtsgesetzes (BinSchG) nach Multiplikation mit dem Kurs des Sonderziehungsrechts des Internationalen Währungsfonds (XDR) am Tag des Urteilserlasses nebst Zinsen reduziert. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat den Anspruch der Klägerin dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren auf Zurückweisung der Berufung weiter. (Der vollständige Text des Urteiles zweiter Instanz ist veröffentlicht und kommentiert in ZfB 2015, Sammlung Seite 2359 ff, 2363- 2368, d. Red.)

Aus den Entscheidungsgründen:

... 14 Das angegriffene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Zutreffend hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Schadensersatz infolge der Havarie vom 17. April 2012 dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Der Beklagte haftet der Klägerin aus übergegangenem Recht für durch die Havarie entstandene
Schäden am Schiff nach § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG. Zwischen dem Beklagten und der Rechtsvorgängerin der Klägerin bestand ein Lotsenvertrag, der in seinen wesentlichen Zügen ein Dienstvertrag ist oder zumindest ein dienstvertragsähnliches Verhältnis beinhaltet (BGH, Urteile vom 14. April 1958-11 ZR 45/57, BGHZ 27, 79, 81; vom 20. Juni 1968 - II ZR 78/67, BGHZ 50, 250, 255; vom 28. September 1972-11 ZR 6/71, BGHZ 59, 242, 246; vom 20. Februar 1989 -11 ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 33). Zum Zeitpunkt der Havarie war der Beklagte darüber hinaus verantwortlicher Schiffsführer. Die ihn treffenden Sorgfaltspflichten hat er grob fahrlässig verletzt, so dass ihm der Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 SeelotsG
(BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, aaO, 37) nicht zugutekommt. Eine entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze, die bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit zugunsten des Schädigers eine Quotierung erlauben würden, scheidet aus ...


... 17 2. Das Berufungsgericht hat das Verhalten des Beklagten ohne Rechtsfehler als grob fahrlässig gewertet mit der Folge, dass das Lotsenprivileg (§ 21 Abs. 3 SeelotsG analog) mit einem Haftungsausschluss für nur einfach fahrlässig herbeigeführte Schäden dem Beklagten nicht zugutekommt (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37).


18 a) Die tatrichterliche Entscheidung, ob den Schädiger der Vorwurf grober Fahrlässigkeit trifft, ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Verschuldensgrades wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Januar 1988 - VI ZR 158/87, VersR 1988, 474; vom 18. Oktober 1988 - VI ZR 15/88, VersR 1989, 109; vom 30. Januar 2001 - VI ZR 49/00, VersR 2001, 985; vom 18. Februar 2014-VI ZR 51/13, VersR 2014, 481 Rn. 10).19 Grobe Fahrlässigkeit erfordert eine objektiv schwere und subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigt (vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 1967-VIZR 14/66, VersR 1967, 909, 910; vom 12. Januar 1988 - VI ZR 158/87, aaO, 474 f.; vom 30. Januar 2001 - VI ZR 49/00, aaO, 986; vom 18. Februar 2014 - VI ZR 51/13, aaO, Rn. 7). Die verkehrserforderliche Sorgfalt muss dabei in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. Senatsurteile vom 2. November 1971 - VI ZR 16/70, VersR 1972, 144, 145; vom 9. März 1973 - VI ZR 3172, VersR 1973, 565 mwN; vom 18. November 2014-VI ZR 141/13, VersR 2015, 193 Rn. 21).
Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt dabei für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen (Senatsurteil vom 11. Juli 1967 - VI ZR 14/66, aaO; BGH, Urteile vom 11. Mai 1953-IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14, 17; vom 5. Dezember 1966-11 ZR 174/65, VersR 1967, 127). In aller Regel ist es erforderlich, nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtverletzung, sondern auch zur subjektiven (personalen  Seite konkrete Feststellungen zu treffen (Senatsurteil vom 10. Mai 2011 -VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 10 mwN). Auch bei der Verletzung beruflicher Kardinalpflichten gilt grundsätzlich nichts anderes.


20 Zur Feststellung eines subjektiv unentschuldbaren Pflichtverstoßes ist es erforderlich, subjektive Besonderheiten, die unter Zugrundelegung des Sachvortrags der Parteien den Schädiger entlasten könnten, auszuschließen. Den Ausschluss hat grundsätzlich der Geschädigte darzulegen und zu beweisen. Steht der Geschädigte allerdings außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs und kennt er die maßgebenden Tatsachen nicht näher, während sie dem Schädiger bekannt sind und ihm ergänzende Angaben zuzumuten sind, so trifft diesen ausnahmsweise eine Substantiierungslast hinsichtlich etwaiger Entschuldigungsgründe (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2003- IV ZR 173/01, VersR 2003, 364, 365) ......

27 3. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist es schließlich, dass das Berufungsgericht dem Grunde nach die volle Haftung des Beklagten bei festgestellter grob fahrlässiger Herbeiführung der Havarie als gegeben ansieht. Das bestehende Lotsenprivileg infolge entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37) reduziert die lnanspruchnahmemöglichkeit eines Binnenlotsen auf grob fahrlässig und vorsätzlich herbeigeführte Schäden. Die entsprechende Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG basiert bereits - teilweise vergleichbar den Beweggründen für die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung durch die Rechtsprechung (vgl. BAG, Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 - GS 1/89, SAGE 70, 337,
342 f.) - darauf, dass das wirtschaftliche Risiko einer Pflichtverletzung die Leistungsfähigkeit
der einzelnen Lotsen übersteigt, in den Lotsgebühren kein angemessenes Äquivalent findet und nicht zu wirtschaftlich tragbaren Prämien versicherbar erscheint (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 - II ZR 26/88, aaO, 38; vgl. auch ST-Drucks. 10/925, s. 3).

28 Eine Ausweitung des Lotsenprivilegs durch eine entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze mit der Folge einer unter Umständen bestehenden Ouotierungsmöglichkeit selbst bei grob fahrlässiger Schadensherbeiführung ist nach geltendem Recht nicht zulässig. Der Senat verkennt dabei nicht die vom Berufungsgericht festgestellte, nach wie vor bestehende Diskrepanz zwischen dem Haftungsrisiko und den durch Verordnung festgesetzten Lotsgebühren.

29 Die Einbeziehung des Binnenlotsen in den Anwendungsbereich der beschränkten Arbeitnehmerhaftung würde voraussetzen, dass er vergleichbar einemArbeitnehmer in den Betrieb seines Auftraggebers, des Schiffseigners, eingegliedert ist. Rechtfertigung für die in richterlicher Rechtsfortbildung geschaffene Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung und Mithaftung des Arbeitgebers ist die Organisations- und Personalhoheit des Arbeitgebers, der die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers entspricht. Der Arbeitgeber bestimmt durch die Organisation des Betriebes, die Festlegung der Abläufe und die Einwirkung auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers, insbesondere durch Ausübung seines Weisungsrechts, einseitig die Schadensexposition und damit das Haftungsrisiko des Arbeitnehmers, weshalb er sich die so von ihm selbst geschaffenen Schadensrisiken im Rahmen des § 254 BGB zurechnen lassen muss (vgl. BAG, Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 - GS 1/89, SAGE 70,337,342 f.). Demgegenüber fehlt es an einer vergleichbaren Steuerung der Tätigkeit des Binnenlotsen durch dessen Auftraggeber.


30 Der Lotse übt seit jeher eine selbständige Tätigkeit aus (BGH, Urteil vom 28. September 1972 - II ZR 6/71, BGHZ 59, 242, 247 f.; vgl. auch § 21 Abs. 1 SeelotsG). Weder durch die Eintragung des Lotsen in das Bordbuch noch durch die vom Gesetz in bestimmten Fällen vorgesehene Pflicht zur Übernahme von Befehl und Ruder (§ 14 Abs. 3 Rhein LotsO) wird der Lotse zum Teil der Besatzung und damit zum Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnlich Beschäftigten (BGH, aaO).

31 Auch im Übrigen fehlt die notwendige Vergleichbarkeit. Abgesehen davon, dass im Streitfall eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beklagten von der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht festgestellt ist, unterliegt der Oberrheinlotse keinem Weisungsrecht durch den Auftraggeber, das dem des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer vergleichbar wäre. Er wird beauftragt, um die mit der entsprechenden Schifffahrtsstrecke verbundenen Schadensrisiken zu begrenzen. Die Schadensrisiken, denen er sich (und andere) bei Ausübung seiner Lotsentätigkeit aussetzt, werden im Hinblick auf seine Eigenverantwortlichkeit wesentlich durch ihn selbst mitbestimmt.

32 Der Schiffseigner engagiert den Lotsen als externen und unabhängigen Berater (vgl.§ 14 Abs. 1 RheinLotsO), üblicherweise für einen schwierigen und risikoreichen Teil der Schifffahrtsstraße, um mit dessen besonderem Sachverstand und dessen besonderen Streckenkenntnissen das Risiko von Havarien zu verringern. Er überlässt dem Lotsen die Art und Weise, wie er seiner Aufgabe nachkommt, zu eigener Verantwortung. Das gilt auch und gerade dann, wenn dem Lotsen nach § 14 Abs. 3 RheinLotsO Befehl und Ruder übertragen werden. Der Lotse hat das Schiff dann als verantwortlicher Schiffsführer selbständigzu führen. Der Kapitän ist zwar frei, dem Lotsen das Steuer jederzeit wieder zu entziehen. Dies ist aber allein Ausdruck der Freiheit, die Beratung oder Schiffsführung durch einen Lotsen jederzeit anzunehmen oder abzulehnen, nicht aber Ausfluss einer Weisungsbefugnis; denn für die Ausübung der Tätigkeit selbst können dem Lotsen keine Weisungen erteilt werden (BGH, Urteil vom 28. September 1972 - II ZR 6/71, aaO, 249). Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aufgrund der Tatsache, dass der Lotse auf Verlangen des Schiffsführers zur Übernahme von Befehl und Ruder verpflichtet ist. Die in der Praxis der Binnen- und Seelotsen verbreitete Übung, dass der Lotse selbst die Manövrierelemente des Schiffs bedient und Anordnungen gegenüber der Mannschaft trifft, setzt die RheinlotsO zwar als Übernahmepflicht des Lotsen um. Der Übernahmepflicht liegen aber schifffahrtspolizeiliche und nicht arbeitsrechtliche Erwägungen zugrunde. Ihre Begründung findet sie in der Gefährlichkeit des kurvenreichen und fließenden Gewässers und dem erhöhten Risiko einer Havarie bei zeitverzögerten Reaktionen aufgrund längerer Kommandoketten.


33 Über die allgemeine Betriebsgefahr eines Binnenschiffs hinaus wird die Risikoexposition des Binnenlotsen - anders als beim Arbeitnehmer - nicht wesentlich durch Vorgaben des Auftraggebers, denen sich der Lotse unterwerfen müsste, sondern wesentlich durch die eigen bestimmte Aufgabenerledigung des Lotsenbestimmt.


34 Anlass, Zweck, Art und Qualität der Dienstleistung eines Binnenlotsen stehen der Übertragung der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung und einer Quotierungsmöglichkeit in Fällen grober Fahrlässigkeit entgegen. Der Binnenlotse wird durch Beschränkung seiner Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 SeelotsG sowie durch die grundsätzliche Möglichkeit einer summenmäßigen Haftungsbeschränkung gemäß § 5i BinSchG vor übermäßigen Haftungsrisiken geschützt. Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, gegebenenfalls einen weitergehenden Schutz zu schaffen.

Anmerkung der Redaktion:


Die Haftung der Binnenlotsen steht derzeit sehr stark in der rechtspolitischen Diskussion, da das Haftungsrisiko der Binnenlotsen im Verhältnis zu ihrer Entlohnung als unverhältnismäßig angesehen wird (siehe zum Beispiel ZfB 2015, Sammlung Seite 2359 ff). Es ist daher sehr zu begrüßen, dass der BGH mit der vorliegenden Entscheidung grundlegende Ausführungen zu dieser Frage gemacht hat.
Lotsen sind in der Binnenschifffahrt insbesondere auf dem Oberrhein tätig. Vergleichbar, aber nicht identisch ist die Tätigkeit eines Ablösers. Ein Ablöse, ist ein selbständiger, frei arbeitender Schiffsführer, der vorübergehend für eine bestimmte Strecke oder einen kurzen Zeitraum an Bord eines fremden Schiffes gegen Entlohnung, in der Regel zu einem Tagessatz, als verantwortlicher Schiffsführer arbeitet, damit das Schiff vollständig bemannt ist. Lotsen dagegen werden häufig zusätzlich zur Stammbesatzung an Bordgenommen, etwa weil der Stammschiffsführer nicht über das erforderliche Streckenpatent verfügt.
Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist vor allem die Frage, ob nach bestehender Rechtslage der Lotse hinreichend vor den erheblichen Haftungsrisiken seiner Tätigkeit geschützt ist. Der BGH nimmt dabei keine eindeutige Wertung des Verhältnisses von Haftungsrisiko und Lotsgebühren vor: Einerseits wird in Absatz 28 von einer "nach wie vor bestehenden Diskrepanz« gesprochen, andererseits wird in Absatz 34 erklärt, der Lotse sei nach gegenwärtiger Rechtslage vor "übermäßigen Haftungsrisiken geschützt«. Der BGH nimmt aber die festgestellte »Diskrepanz « zum Anlass, zu prüfen, ob eine über § 5 i BinSchG und § 21 III SeeLotsG hinausgehende Privilegierung des Lotsen nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung möglich ist. Nach diesen Grundsätzen wäre auch in Fällen grob fahrlässiger Schadenherbeiführung eine Quotierung und damit Reduzierung der Haftung möglich.
Allein dass der BGH diese Möglichkeit prüft, lässt den Schluss zu, dass er von einem Missverhältnis zwischen Haftung und Entlastung ausgeht. Im Ergebnis verneint der BGH aber mit sorgfältiger Begründung die Anwendbarkeit dieser Grundsätze. Der Seelotse habe gerade nicht arbeitnehmerähnliche Eigenschaften. Die Risikoexposition des Binnenlotsen über die allgemeine Betriebsgefahr eines Binnenschiffes hinaus werde wesentlich durch eigenbestimmte Aufgabenerledigung des Lotsen selbst bestimmt. Die durch den BGH hier angeführten Kriterien lassen sich auch für die Frage fruchtbar machen, ob ein Ablöser einem Lotsen haftungsrechtlich gleichgestellt werden kann oder nicht; das Ergebnis dazu ist aber offen, da der BGH keine Veranlassung hatte, sich zu dieser Frage zu äußern.
Bemerkenswert ist, dass der BGH im letzten Satz des Urteiles betont, dass nur der Gesetzgeber einen weitergehenden Schutz für Lotsen schaffen kann. Ob die Judikative (BGH) dies als geboten ansieht oder nicht, ist- wie oben ausgeführt- derEntscheidung nicht zu entnehmen. Mit der Unterzeichnung des CLNI 2012 hat der Gesetzgeber allerdings genau das Gegenteil in Angriff genommen, nämlich gemäß Artikel 6 (1) d) CLNI 2012 eine deutliche Erhöhung (Verdoppelung) der Haftungssumme für Lotsen von 100.000 RE auf
200.000 RE.
Naturgemäß und dem Streitgegenstand entsprechend beschränkt sich der BGH auf eine Bewertung der gesetzlichen Lage und des konkreten Einzelfalles. Ob und in welchem Umfange ein Schutz des Binnenlotsen und/oder Ablösers durch entsprechende Vertragsvereinbarungen möglich und zulässig ist, ist mit der vorliegenden Entscheidung nicht beurteilt. Angesichts der enormen Haftungsrisiken des Lotsen und der traditionell sehr niedrigen Lotsgebühren bleibt nach der vorliegenden Entscheidung nur noch der Weg einer privatrechtlichen Regelung, zum Beispiel durch Haftungsausschlüsse oder -begrenzung oder eine spezifische Versicherung des Haftungsrisikos. Diese Möglichkeit sollten Lotsen, aber auch Ablöser nutzen.


Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer,
Frankfurt am Main

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2016 - Nr. 10 (Sammlung Seite 2448 ff.); ZfB 2016, 2448 ff.