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Leitsatz:
Zur Verkehrssicherungspflicht für Spundwände in Schleusenvorhäfen.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe
vom 22.12.1994
U 7/94 Bsch
(rechtskräftig)
(Schiffahrtsgericht Mainz)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin, Eignerin des Koppelverbandes MTS "L" und TSL "Li", verlangt von der Beklagten, der Eigentümerin der Bundeswasserstraße Main und der auf dem Main befindlichen Wasserbauwerke, Schadensersatz, nachdem ihr TSL im Vorhafen der Schleuse Offenbach bei Main-km 38,51 bergwärts fahrend an einer Spundwand Schaden erlitten hat.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
" Vertragliche Ansprüche kommen von vornherein nicht in Betracht, da die Benutzung einer Schleuse zwischen den Beteiligten keine vertraglichen Beziehungen schafft (BGHZ 20, 57, 60; BGH VersR 1965, 512).
Ansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht sind ebenfalls nicht begründet.
a)...
b) Für Wasserstraßen und Häfen, wie auch für Schleusenanlagen gilt, ebenso wie für Wege und Plätze, der Grundsatz, daß derjenige, der dort einen Verkehr eröffnet hat oder andauern läßt, nach § 823 BGB für eine Gefahrenlage verantwortlich ist, die bei ordnungswidrigem Zustand der Verkehrsanlage entsteht. Er hat dafür zu sorgen, daß sich die Anlage in verkehrssicherem Zustand befindet und er haftet für Schäden, die einem Benutzer der Anlage aus deren ordnungswidriger Beschaffenheit entstehen, wenn er aus Mangel an der von ihm im Verkehr zu beobachtenden Sorgfalt verabsäumt hat, die Gefahrenquelle zu beheben. Inhalt der Verkehrssicherungspflicht ist es, daß jeder, der im Verkehr eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zum Schutze anderer zu treffen hat. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht jedoch Einigkeit darüber, daß die Verkehrssicherungspflicht nicht mißverstanden werden darf als Pflicht zur völligen Gefahrloshaltung der Verkehrswege. Es ist unzulässig, allein daraus, daß die Beschaffenheit des Verkehrsweges einen Unfall unter Umständen mitverursacht hat, eine Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht herzuleiten. Vielmehr findet die Pflicht dort die Grenze, wo die Vermeidung der Gefahr vom Verkehrsteilnehmer selbst erwartet werden kann. Der Sicherungspflichtige kann sich grundsätzlich auf den sorgfältigen, aufmerksamen, die Verkehrsvorschriften beachtenden Verkehrsteilnehmer einstellen (RhSchObG Karlsruhe ZfB 1993, 1426 = NJW-RR 1993, 855).
c) Gemessen an diesen Grundsätzen ist eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten vorliegend nicht festzustellen. Die Anforderungen an den Vefkehrssicherungspflichtigen für die Bundeswasserstraßen richten sich nach dem jeweils Gebotenen und Zumutbaren, da es unmöglich ist, alle Teile einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wasserstraße jederzeit überall gefahrlos zu erhalten (SchObG Karlsruhe VkBI, 1971 311). Die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten erstreckt sich insbesondere auf den Zustand der Spundwände im sogenannten Vorhafen, d.h. dem Bereich vor der Schleusenkammer. Die Beklagte hat sowohl die Pflicht, durch entsprechende Konstruktionen Gefahren für die Schiffahrt zu vermeiden, als auch, die vorhandenen Einrichtungen in regelmäßigen Abständen einer sorgfältigen visuellen Kontrolle darauf zu unterziehen, daß nicht abstehende Teile Beschädigungen an Schiffen hervorrufen. An der Stelle, an der sich der Unfall ereignete (Main-km 38,51), erfährt die Uferwand im Vorbereich der Südkammer der Mainschleuse eine Richtungsänderung. Der Einfahrtsbereich der Schleusenkammer verengt sich hier auf 12 m. Der Übergangsbereich wirkt als Leiteinrichtung für einfahrende Schiffe. Er wird - wie der Beklagten bekannt ist - durch die Schiffahrt häufig bei Anfahrung der Schleusenkammer touchiert.
aa) Die Beklagte hat nicht schuldhaft ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, als sie die Querverholmung in diesem Bereich der Spundwand plante und ausführte. Sie hat zwar im Rahmen der endgültigen Reparatur veranlaßt, daß nunmehr ein Panzerungsblech bis an die Unterkante des horizontalen Abdeckholmens angebracht wurde. Dadurch kann noch besser vermieden werden, daß ein Schiff. insbesondere, wenn es , wie der Schubverband "L" und "Li", mit einem schräg nach oben verlaufenden Trunkdeck ausgerüstet ist, eine Querverholmung alter Bauart aufreißt. Diese konstruktive Verbesserung bedeutet jedoch nicht, daß die bis zum Unfalltag verwendete Bauausführung den Anforderungen der Verkehrssicherungspflicht nicht genügte. Die Spundwand entsprach nach dem nicht widerlegten Vortrag der Beklagten vor dem Unfall den einschlägigen DIN-Normen. Der Zeuge K hat bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung bekundet, daß ein Unfall wie der streitgegenständliche dort nach seiner Kenntnis zuvor nie passiert ist. Dabei hatten allein im Jahre 1990, 8.469 Gütermotorschiffe die Spundwand passiert, ohne daß es zu einer Beschädigung eines Schiffes gekommen wäre. Zwar soll der Abdeckholm an der Oberkante der Spundwand nach Möglichkeit "technisch glatt" sein, wie dies der Zeuge G ausführte. Sofern durch die ständige Benutzung geringfügige Versatzmaße bei Holmabdeckungen entstehen, stellt dies indessen solange keine Gefährdung für den Verkehr dar, solange die Schiffahrt pflichtgemäß Abstandhalter (Fender, Reibhölzer) gerade an dieser gefährlichen Stelle einsetzt. Der Einsatz von derartigen Abstandhaltern dient nicht nur der Verhinderung von Stößen gegen Schleusenwände und -tore, sondern auch zur Vermeidung von gegenseitigen Beschädigungen durch Unterhaken der Bordwand z.B. beim Entlanggleiten an Spundwandufern.
bb) Der Beklagten ist auch keine schuldhafte Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht im Rahmen der Überwachung ihrer Anlagen vorzuwerfen.
Zu Unrecht meint die Klägerin, der am TSL "Li" eingetretene Schaden berechtige zur Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis für eine ursächliche und schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagten. Ein Anscheinsbeweis der Kausalität greift beweiserleichternd nur bei formelhaften, typischen Geschehensabläufen ein. Seine Wirkung entfällt schon dann, wenn der Gegner des Beweisführers Tatsachen darlegt und erforderlichenfalls beweist, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergeben. Der atypische Geschehensablauf selbst braucht nicht positiv nachgewiesen zu werden (RhSchObG Karlsruhe ZFB 1994, 1500). Vorliegend kann schon kein typischer formelhafter Geschehensablauf darin gesehen werden, daß der Tankschubverband die Spundwand an einer Stelle berührte und es dadurch zu Schäden sowohl an der Spundwand wie auch am TSV kam. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, daß es bei zahlreichen Schleusendurchfahrten zu keinem vergleichbaren Schaden gekommen ist, so daß es bereits an einem typischen Geschehensablauf als Voraussetzung eines Anscheinsbeweises fehlt.
Jedenfalls wäre aber ein derartiger Anscheinsbeweis durch den erbrachten Nachweis einer anderen ernsthaft in Betracht zu ziehenden Kausalitätsmöglichkeit entkräftet: Der TSL weist eine bauartmäßige Besonderheit auf: Er hat ein sogenanntes Trunkdeck (das auch Kofferdeck genannt wird). Dieses befindet sich oberhalb des normalen Decks, bildet also eine Erhöhung des normalen Schiffsdecks. Dieses 15 m lange, über die gesamte Breite verlaufende Trunkdeck ist über eine insgesamt 3,70 lange stetig ansteigende Fläche zu begehen. Gerade am Ende der ansteigenden Fläche des Trunkdecks kam es zu dem Schaden. Eine ernsthaft in Betracht zu ziehende andere Schadensursache als ein bereits vor dem Unfall defektes Stück der Querverholmung besteht danach darin, daß der TSV sich beim Passieren der Spundwand mit der ansteigenden Bordwand verhakt hat und dadurch die Beschädigung sich selbst zuzog. Dies hätte im übrigen vermieden werden können, wenn ein Mitglied der Schiffsbesatzung das Reibholz gerade an diesem neuralgischen Punkt des Schiffes eingesetzt hätte.
Dafür, daß vor Passieren des TSV - am 21.09.1991 gegen 7.45 Uhr - die Spundwand vor der südlichen Schleusenkammer noch unbeschädigt war, spricht u.a. die Aussage des Zeugen B. Dieser hatte gegen 7.00 Uhr mit seinem GMS "B" die Schleuse Offenbach ebenfalls bergwärts befahren, an der Spundwand jedoch keinerlei Beschädigungen festgestellt. Auch der Zeuge B, der auf dem Vorschiff des TSL "Li" auf der Steuerbordseite stand, hat offenbar keine Beschädigung an der Spundwand gesehen. Wäre von der Spundwand eine "Eisenzunge" abgestanden, so hätte er sie wohl wahrgenommen.
Selbst wenn man jedoch zugunsten der Klägerin unterstellt, daß bereits vor dem Passieren des TSV "L" und Li" die Spundwand in der von ihr behaupteten Weise vorgeschädigt gewesen war, daß ein Eisenteil von den Spunddielen entgegen der Fahrtrichtung wegstand, so wäre gleichwohl der Beklagten keine schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung nachzuweisen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Häufigkeit als auch der Intensität der Kontrollen.
Nach den Grundsätzen, die der Bundesminister für Verkehr in einem "Leitfaden zur Verkehrssicherung auf den Bundeswasserstraßen - außer Rhein und NOK - (BW 14/ 52.03.08-01/25 VA 91) aufgestellt hat, ist jede Strecke in im voraus festzulegenden gleichen Zeitabständen zum Zwecke der Überwachung der Wasserstraße bei Tag zu befahren. Dabei sind insbesondere die Fahrrinne, die Schiffahrtsanlagen einschließlich ihrer Ausrüstung und die Schiffahrtszeichen zu überprüfen (a.a.O. 2.1 (15) 1,46). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Wasserschiffahrtsverwaltung angeordnet, daß etwa alle zwei Wochen Kontrollfahrten im Schleusenbereich durchgeführt werden, die im Wege der allgemeinen Dienstaufsicht überwacht werden. Der Kontrollbeamte, der die Schäden feststellt, ist verpflichtet, sofort die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Der Zeuge F hat bei seiner erstinstanzliehen Vernehmung bekundet, daß er auf dem Mehrzweckschiff "K" der WSV tätig war und damit regelmäßig auch im Unfallbereich Kontrollfahrten durchgeführt hatte. Die vor dem am 21.09.1991 geschehenen Unfall letztmals durchgeführte Kontrollfahrt fand einen Tag zuvor, am 20.09.1991 in der Schleuse Offenbach statt. Der Zeuge hat bekundet, daß er dabei keine Schäden an der Spundwand bemerkte. Die Beklagte hat einen Auszug aus dem Fahrtenbuch vorgelegt, in dem sich ein entsprechender Eintrag befindet. Die in der Regel zweimal wöchentlich, also häufiger als gefordert, durchgeführten Kontrollfahrten im Schleusenbereich sind zeitlich ausreichend.
Wenn die Kontrolle in der Weise durchgeführt wird, daß bei den Fahrten jeweils im Abstand von ca. 3 m an den Spundwänden langsam entlanggefahren wird und dabei diese beobachtet werden, ist auch dies ausreichend. Es stellt eine Überspannung der Sorgfaltsanforderungen an die Verkehrssicherungspflichtige dar, wenn die Klägerin meint, zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Kontrolle sei es erforderlich gewesen, ganz dicht an die Spundwand heranzufahren, abzustoppen und sich durch unmittelbare Inaugenscheinnahme von allen Seiten zu vergewissern, ob die Leitdalbenfunktion trotz der Beanspruchung durch die zu schleusende Schiffahrt noch verkehrssicher gewährleistet gewesen sei.
Ohne Erfolg versucht die Klägerin, einen Altschaden an der Verholmung der Spundwand und damit eine oberflächliche Kontrolltätigkeit des Zeugen F mit dem Hinweis darlegen zu können, daß sowohl das nach dem Unfall von der Spundwand abstehende als auch das in der Schiffswand steckengebliebene Eisenstück an den beiden Längsseiten bereits stark angerostet waren. Für diese Feststellung bedarf es nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens, denn diese rostigen Flächen sind auch aus den Lichtbildern (Anl. 5 Lichtbilder Nr. 2 b, 3 b und 4 b) ersichtlich. Diese verrosteten Längsseiten haben jedoch keine Bruchkanten. Bei dem Flacheisen handelte es sich um ein Eisenband, das als vertikale Verlängerung der Holmabdeckung angeschraubt war. Bei dem Eisenblech unter der herausgerissenen "Eisenzunge" handelte es sich um die Lasche für den Holmstoß, auf der das Verlängerungsflacheisen angeschraubt war.
Der mit der Berufung wiederholte Hinweis der Klägerin, daß von der WSP an einer anderen Stelle der Schleusenanlage eine leichte Beschädigung der Spunddielen festgestellt wurde, vermag den Vorwurf der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten ebenfalls nicht zu rechtfertigen oder zu indizieren. Diese Stelle befand sich nämlich in dem damals für längere Zeit für die Schiffahrt nicht befahrbaren Bereich der Nordschleuse. Diese wurde umgebaut und dabei wurde auch die Spundwand teilweise erneuert. Wegen der Sperrung für den allgemeinen Schiffsverkehr war es im Gegensatz zur streitgegenständlichen Stelle im Unterwasser der Südschleuse nicht erforderlich, in gleicher Weise die Verkehrssicherheit von Spundwänden zu kontrollieren und instandzuhalten. Dies gilt um so mehr, als die Beklagte geltend machte, daß im Zuge der Baumaßnahmen auch Spundwände der Nordschleuse teilweise erneuert bzw. neu ausgerichtet werden sollten …"
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1995 - Nr.5 (Sammlung Seite 1527 f.); ZfB 1995, 1527 f.