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Leitsätze:
1) Fährt ein Schiff bei der Einfahrt in eine Schleuse das Untertor an, so streitet der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Schiffsführung. Ein derartiger Anscheinsbeweis kann vom Schädiger erschüttert werden, wenn er Tatsachen darlegt und erforderlichenfalls beweist, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes ergeben; der atypische Geschehensablauf selbst braucht nicht positiv nachgewiesen zu werden.
2) Zu den Anforderungen an Substantiierung und Nachweis für einen von der Bundesrepublik Deutschland geltend gemachten Verzugszinsschaden.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe
vom 24.1.1997
U 6/96 BSch
(rechtskräftig)
(Schiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin der Nekkarschleuse H. Am 13.7.994 befuhr der Beklagte Ziffer 2 als verantwortlicher Schiffsführer von MS „K", dessen Schiffseignerin die Beklagte Ziffer 1 ist, den Neckar zu Tal. Nach Freigabe der Einfahrt fuhr das unbeladene Schiff in die linke Schleusenkammer ein und geriet mit dem Steven gegen das linke Schleusentor im Unterwasser, das dadurch beschädigt wurde.
Mit der Klage verlangt die Klägerin Ersatz der angefallenen Instandsetzungskosten in Höhe von DM 168.657,83 nebst Zinsen. Sie hat im ersten Rechtszug im wesentlichen ausgeführt, die Beklagten würden ihr als Gesamtschuldner haften, da die Anfahrung des Schleusentores schuldhaft erfolgt sei.
Die Beklagten haben im ersten Rechtszug im wesentlichen vorgetragen, die Anfahrung des Schleusentores sei auf ein Umsteuerversagen der Hauptmaschine zurückzuführen.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage bis auf einen Teil des geltend gemachten Zinsanspruches stattgegeben. Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin hatten keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„I.
1. ....
2. Im Ergebnis zu Recht hat das Schifffahrtsgericht der Klage stattgegeben. Der zweitbeklagte Schiffsführer haftet gemäß § 823 Abs. 1 BGB, die erstbeklagte Schiffseignerin haftet gemäß §§ 3, 4, 114 BinSchG auf Ersatz der Schäden, die der Klägerin durch die Anfahrung des linken Untertors der Neckarschleuse H am 20.01.1995 durch MS „K" in Höhe von DM 168.657,83 entstanden sind.
a) Fährt ein Schiff bei der Einfahrt in eine Schleuse das Untertor an, so streitet der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Schiffsführung (Senat ZfB 1995, 107-Sammlung Seite 1551 m. w. N.). Ein derartiger Anscheinsbeweis kann vom Schädiger erschüttert werden, wenn er Tatsachen darlegt und erforderlichenfalls beweist, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes ergeben; der atypische Geschehensablauf selbst braucht nicht positiv nachgewiesen zu werden (Senat a.a.O.; RhSchOG Karlsruhe ZfB 1994; 23-Sammlung Seite 1500).
b) Den Beklagten ist es gelungen, hinsichtlich eines Teiles den gegen sie streitenden Anscheinsbeweis durch die Darlegung und den Beweis der Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes zu entkräften: Soweit es um das Mißlingen des Versuches geht, MS „K" beim Einfahren in die Schleusenkammer durch Maschinenkraft abzustoppen und ständig zu machen, trifft die Beklagten kein Verschulden.
Zwar konnte der Sachverständige B, der nach seiner Aussage im Verklarungsverfahren vom dem Schiffahrtsgericht Mannheim.... MS „K" nach dem Unfall besichtigte, bei seiner äußeren Prüfung der Maschinen- und Steuerungsanlage Besonderheiten nicht feststellen. Auch bei den nachfolgend sowohl vom Steuerstand als auch von unten vom Maschinenraum aus durchgeführten ca. 50-60 Versuchen mit verschiedenen Maschinenmanövern der Fahrstufen „Voraus" und „Zurück" konnten Besonderheiten oder Fehlfunktionen der Maschinen- und Umsteuerungsanlage nicht beobachtet werden....
Gleichwohl ist zugunsten der Beklagten davon auszugehen, daß zum Zeitpunkt des Einlaufens von MS „K" in die Schleusenkammer ein einmaliges Umsteuerversagen auftrat. Dafür spricht die von mehreren Zeugen wahrgenommene Rauchentwicklung. In einem solchen Fall wird - wie der Sachverständige B in seinem schriftlichen Bericht ... überzeugend ausführt - Luft über den Auspuff angesaugt, und die Auspuffgase gelangen durch den an der Maschine angebrachten Luftfilter in den Maschinenraum und von dort ins Freie. Dadurch lief die Maschine falsch herum an. Der Sachverständige J hat aus den Aussagen der Zeugen PHM S und St, die angegeben hatten, daß während der Einfahrt von MS „K" achtern im Roofbereich graufarbener Qualm ausgetreten war und aus der Aussage des Sachverständigen B, daß bei seiner Untersuchung am 13.06.1996 geringfügige Rußspuren am Luftfilter vorhanden waren, geschlossen, daß tatsächlich ein Umsteuerversagen vorgelegen habe.
c) Der Anscheinsbeweis ist jedoch insoweit nicht entkräftet, als er dafür streitet, daß der Beklagte Ziffer 2 seine sonstigen Sorgfaltspflichten beim Einfahren in die Schleuse verletzte und die Pflichtverletzung ursächlich für das Anfahren des unteren Schleusentores war. Die Binnenschiffahrtsstraßenordnung enthält einen Katalog von Geboten und Verboten, die dazu dienen, Beschädigungen von Schleusenanlagen und anderen Fahrzeugen zu vermeiden. Die Sorgfaltspflichten der Schiffsführung bei Einfahrt in eine Schleuse sind besonders hoch. Innerhalb der Schleuse und bei Einfahrt in diese muß die Geschwindigkeit so vermindert werden, daß ein Anprall an die Schleusentore oder an die Schutzvorrichtungen vermieden wird (§ 6.28 Nr. 8 BinSchStrO). Innerhalb der Schleuse hat der Schiffsführer dafür zu sorgen, daß das Fahrzeug durch Belegen der Poller oder Haltekreuze der Schleusenkammer mit Tauen oder Trossen auch ohne Maschinenkraft rechtzeitig angehalten werden kann. Dieses in § 6.28 Nr. 8 BinSchStrO ausdrücklich enthaltene Gebot wurde auch in der Rechtsprechung wiederholt hervorgehoben. Denn nur durch Erfüllung dieser Pflichten trägt der Schiffsführer dem allgemein bekannten Umstand hinreichend Rechnung, daß technisches Versagen beim Umsteuern eines Schiffes nicht völlig ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH VersR 1973, 541; VersR 1976, 485; Senat a.a.O.). Mit Rücksicht darauf, daß eine Beschädigung der Schleusentore nicht nur zu großen Schäden an der Schleusenanlage führt, sondern - bei einem Ausfall der Kammer - auch anderen Schiffahrtstreibenden erhebliche Verluste verursachen, wird bei der Einfahrt in eine Schleusenkammer „äußerste Sorgfalt" gefordert (vgl. BGH a.a.O.). Ein Versagen der technischen Einrichtungen des Schiffes gefährdet die Schleusenanlage dann nicht, wenn der Schiffsführer die Maschine lediglich einsetzen will, um das Anhalten seines Fahrzeugs mit Hilfe eines Haltetaues oder eines Stoppdrahtes zu unterstützen. Denn auf diese Weise bleibt es möglich, das Schiff trotzdem rechtzeitig zu stoppen. Das trifft selbst dann zu, wenn das Schiff entgegen dem Steuerungsversuch des Schiffsführers nicht rückwärts läuft, sondern weiter vorwärts. Bereits bei Einfahrt in die Schleuse muß der Schiffsführer in Betracht ziehen, daß es zu einem derartigen Versagen kommen und daß selbst eine steuerungswidrige Fahrterhöhung noch manuell durch Einsatz eines Haltetaues oder eines Stoppdrahtes verhindert werden kann. Ein sorgfältiger Schiffsführer muß in der Lage sein, nicht nur das Ausbleiben des angestrebten Rückwärtsmanövers, sondern auch das Einsetzen einer unbeabsichtigten Vorausfahrt rechtzeitig zu erkennen und die nach § 6.28 Nr. 8 Abs. 3 BinSchStrO vorgeschriebenen manuellen Abstoppmaßnahmen durchzuführen bzw. durchführen zu lassen. Es kann die Beklagten daher auch nicht entlasten, wenn MS „K" erst nach dem Umsteuerversuch zu schnell wurde, um ein Anhalten mit Tauen noch durchführen zu können. Wäre der Beklagte von vornherein nur mit einer Geschwindigkeit in die Schleuse gefahren, die es ermöglicht hätte, das Fahrzeug durch Belegen der Poller oder Haltekreuze rechtzeitig anzuhalten, wäre er auf den Einsatz von Maschinenkraft überhaupt nicht angewiesen gewesen. Fährt er aber in die Schleuse mit einer Geschwindigkeit ein, die den Einsatz von Maschinenkraft erforderlich macht, um abzustoppen, so trägt er allein das Risiko des Versagens der Umsteueranlage (Senat a.a.O.). Nach den Angaben des Beklagten Ziffer 2 im Verklarungsverfahren hat dieser die Hauptmaschine auf „Stop" gestellt, als das halbe Schiff mit langsamer Geschwindigkeit in die Kammer eingefahren sei. Als die Maschine gestanden habe, habe er den Maschinentelegraphen auf „Zurück" gestellt, die Maschine gestartet und Gas auf halbe Fahrt gegeben, als der Steuerstuhl des Schiffes etwa in Höhe des Schleusentores gewesen sei. Dafür, daß der Beklagte Ziffer 2 entgegen seinen Angaben im Verklarungsverfahren, nicht eine den Umständen angemessene, ganz geringe Geschwindigkeit eingehalten hat, spricht die Aussage des Schleusenbeamten W, der bei seiner Vernehmung als Zeuge bekundete, zwar das Einlaufen des Schiffes in die Schleusenkammer nicht, wohl aber das Schiff während der Fahrt in der Schleusenkammer beobachtet zu haben und die dabei gehaltene Geschwindigkeit als ziemlich schnell - „zügig" - bezeichnete und erläuterte, daß man schnell hätte laufen müssen, wenn man zu Fuß hinter dem Fahrzeug hätte herlaufen müssen. Nachdem er das Geräusch, das normalerweise beim Zuschlagen der Maschinen zu hören ist, nicht wahrnahm, habe er sich schon gedacht, „daß es wohl knallen werde".
Aus der Aussage des Zeugen PHM S, den Beklagen Ziffer 2 verschiedentlich beim Einfahren mit unbeladenen Fahrzeugen in der Schleusenkammer beobachtet und festgestellt zu haben, daß dieser dabei mit einer nicht angemessenen Geschwindigkeit gefahren sei, kann zwar nicht zwingend geschlossen werden, daß dies auch im vorliegenden Fall so gewesen ist. Die Aussage macht jedoch deutlich, daß der Beklagte Ziffer 2 entgegen seinem Berufungsvortrag sich offenbar durch ein mögliches Beobachten durch Beamte der Wasserschutzpolizei generell nicht davon abhalten läßt, flott in eine Schleusenkammer einzufahren.
II.
Die in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat durch Einreichen eines Schriftsatzes und Übergabe von Doppeln an den Gegner erhobene, unselbständige Anschlußberufung der Klägerin ist zulässig, § 522 a ZPO, aber nicht begründet.
Das Schiffahrtsgericht hat den über den gesetzlichen Zinssatz von 4 % hinausgehenden Zinsanspruch der Klägerin zu Recht abgewiesen, da die Klägerin der ihr insoweit obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht entsprach. Sie hat dies auch im zweiten Rechtszug nicht nachgeholt. Sie geht von der irrigen Vorstellung aus, titulierte Zinsansprüche aus anderen Verfahren, an denen die Beklagten des vorliegenden Rechtsstreits nicht beteiligt waren, würden zu der gerichtsbekannten Tatsache führen, daß der Klägerin in jedem Falle eine Verzugsschaden in bestimmter Höhe (7 %) entstanden sei. Die Ausführungen des Senats in den Urteilen vom 7.2.1994 (U 9/94 BSch) und vom 20.02.1995 (U 8/94 Bsch) mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BGH und der BK der ZKR bedeuten lediglich, daß es der BRD nicht grundsätzlich verwehrt ist, Verzugszinsen zu fordern und daß sie sich dabei der Höhe nach auf vom Bundesminister der Finanzen für bestimmte Zeiträume ausgewiesene Zinssätze berufen kann. Anders als in den genannten Verfahren, in denen für bestimmte Zeitabschnitte differenziert konkrete Zinsansprüche vorgetragen und in der beschriebenen Form nachgewiesen wurden (so z. B. im Verfahren U 8/94 Bsch: 5,95 % für die Zeit vom 03.12.1993 bis 20.02.1994 und 6,10 % für die Zeit ab 21.02.1994), fehlt es im vorliegenden Verfahren in beiden Instanzen an entsprechendem, substantiierten Vortrag der Klägerin...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1998 - Nr.22 (Sammlung Seite 1710 ff.); ZfB 1998, 1710 ff.