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Leitsätze:
1) Die Zuständigkeit der Schiffahrtsgerichte ist nach § 2 Abs. 1 BinSchVerfG auch gegeben, wenn infolge eines Störfalls in einem Chemiewerk Niederschlag auf ein stilliegendes Schiff niedergeht und dieses beschädigt.
2) Zur Geltendmachung von Nutzungsausfallentschädigung unter dem Gesichtspunkt koinzidierenden Haftungsinteresses, wenn der Schiffseigner Mitglied einer Schiffahrtsgenossenschaft ist.
3) Zur Notwendigkeit einer Satzungsänderung, wenn das Genossenschaftsmitglied auch dann Provision und Zahlung in einen Fachtenausgleichsfonds leisten soll, wenn sein Schiff keine Fahrten durchführt.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergericht) Karlsruhe
vom 22.12.1994
U 5/94 Sch
(rechtskräftig)
(Schiffahrtsgericht Mainz)
Zum Tatbestand:
Die Kläger sind Mitglied der Schiffahrtsgenossenschaft e.g. "G", die als Genossenschaft unmittelbare Verkehrsleistungen erbringt. Zu diesem Zweck sind die jeweiligen Schiffseigner verpflichtet, auf eigene Kosten ihr Schiff einsatzbereit zu halten und ausschließlich die von der Genossenschaft übernommenen Transporte nach den Anordnungen der Geschäftsleitung auszuführen. Für die von ihr vermittelten Transporte rechnet die "G" gegenüber dem Kunden die Bruttovergütung von 100 % ab, zieht bei der Auskehrung der Vergütung im Innenverhältnis zwischen "G" und Genossenschaftsmitglied dann eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 5 % und einen Frachtenausgleich in Höhe von 7.5 % ab, so daß der jeweilige Schiffseigentümer eine Netto- Vergütung von 87,5 % erhält.
Die Kläger fordern restlichen Schadensersatz wegen Beschädigung ihres Schiffs. Dieses lag am 22.02.1993 im Unterwasser der Main-Schleuse G. Die Beklagte betreibt in G ein Werk, in dem sich am 22.02.1993 ein schwerer "Störfall" ereignete. Ein Gemisch chemischer Stoffe wurde über ein Sicherheitsventil ausgeblasen, das über den Main wehte und dabei u.a. auf das Schiff der Kläger niederging. Durch den Niederschlag wurde das Schiff der Kläger verunreinigt und beschädigt. Nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Kläger war das Schiff bis 01.07.1993 nicht einsatzfähig. Die von den Klägern gegen die Beklagte erhobenen Ansprüche aus unerlaubter Handlung hat diese dem Grunde nach nicht geleugnet.
Die Kläger haben u.a. für die Ausfallzeit des Schiffs eine Entschädigung verlangt. Die Beklagte hat hiervon nur einen Teil anerkannt und vorgerichtlich bezahlt. Mit der Klage verfolgen die Kläger ihre weitergehende Forderung sowie den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.
Die Kläger haben im ersten Rechtszug behauptet, die Pflicht zur Zahlung der Verwaltungsgebühr und des Frachtenausgleiches treffe das Genossenschaftsmitglied auch dann, wenn es aufgrund schuldhaft veranlaßter Gründe des Mitgliedes oder Dritter an der Durchführung von Reisen gehindert sei. Grundlage hierfür sei ein wirksamer Vorstandsbeschluß der "G" in Verbindung mit der Satzung der "G". Grundlage für die Bemessung der Provisions- und Frachtenausgleichsanspruches sei auch insoweit das Einfahrergebnis des letzten Kalenderjahres des jeweiligen Schiffes.
Die Kläger sind der Auffassung, daß die Beklagte im Rahmen ihrer Schadenersatzpflicht auch die Rechnungen zu begleichen habe, die die "G" in Höhe von 12,5 % für Provisions- und Frachtenausgleichsanteil gestellt habe. Die Kläger hätten die entsprechenden Beträge mit der Gesamtsumme von DM 40.832,66 - durch Verrechnung - an die "G" ausgeglichen. Mithin handele es sich nicht um einen Schaden der "G", sondern um einen eigenen Schaden der Kläger in Höhe der täglichen Bruttovergütung von DM 2.532.33.
Ferner fordern die Kläger Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten in Höhe von netto DM 1.314,60 mit der Behauptung, diese Kosten seien ihnen berechnet und von ihnen bezahlt worden.
Die Beklagte hat im ersten Rechtszug geltend gemacht:
Das Schiffahrtsgericht sei zur Entscheidung für den vorliegenden Rechtsstreit nicht zuständig. Streitgegenstand seien nicht Schäden, die mit der Benutzung von Binnengewässern durch die Schiffahrt zusammenhängen würden, zumal MS "D" bei Eintritt des schädigenden Ereignisses sich nicht in Fahrt befunden habe, sondern stillag.
Im Bemühen um eine großzügige und schnelle Schadensbereinigung habe die Beklagte die Schadensberechnung akzeptiert, die die Kläger aufgrund ihrer Einfahrergebnisse 1992 geltend gemacht hätten. Von der Bruttovergütung von DM 2.532,33 pro Tag sei jedoch der Anteil von 12,5 % abzuziehen. Insoweit handle es sich um einen Anspruch der "G" selbst und nicht um einen Nutzungsausfallschaden der Kläger.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
1. Unbegründet sind allerdings die Berufungsangriffe hinsichtlich der Zuständigkeit des Schiffahrtsgerichts.
Gemäß § 2 Abs. 1 BinSchVerfG sind "Binnenschiffahrtssachen" bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die mit der Benutzung von Binnengewässern durch die Schiffahrt zusammenhängen und u.a. zum Gegenstand haben (lit. a): Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung. Entgegen der Auffassung der Beklagten spielt es keine Rolle, daß das MS "D" stillag, als es durch die Immission aus dem Werk der Beklagten beschädigt wurde. Eine "Benutzung von Binnengewässern" im Sinne der Vorschriften des BinSchVerfG ist nicht beschränkt auf fahrende Schiffe. Maßgeblich ist vielmehr, daß Streitgegenstand eine unerlaubte Handlung bildet. Die Vorschrift ist sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Sinn und Zweck auch nicht auf Ansprüche beschränkt, die sich gegen einen Benutzer von Binnengewässern richten. Erfaßt sind vielmehr auch die Fälle, in denen der Eingriff zwar von außerhalb der Binnengewässer erfolgte, aber auf Benutzer von Binnengewässern einwirkt. So hat das Schiffahrtsobergericht Karlsruhe beispielsweise auch in einem Falle entschieden, in dem eine Pappel von Land aus auf ein stilliegendes Schiff stürzte und dieses beschädigte (VersR94, 358 = NZV 94, 317).
Die Haftung der Beklagten für die schadensrechtlichen Folgen des "Störfalles" vom 22.03.1993 ist unter den Parteien nicht im Streit. Selbst wenn diese Ansprüche sich auch auf § 1 UmweltHG stützen lassen, so bleiben doch gemäß § 18 UmweltHG Ansprüche aufgrund anderer Vorschriften davon unberührt. Die Beklagte hat sich gegen die Inanspruchnahme nach den Vorschriften "aus unerlaubter Handlung", § 823 BGB, nicht gewandt.
Darauf, daß es sich vorliegend hinsichtlich der geltend gemachten Schadensfolgen um typisch schiffahrtsrechtliche Fragen handelt, kommt es danach für die Zuständigkeit der Schiffahrtsgerichte (gar) nicht (mehr) an.
2. Die Klage ist nicht begründet.
a) Der Umfang des zu leistenden Schadensersatzes bemißt sich nach § 823 BGB i.V.m. § 249 BGB. Wegen einer Beschädi- gung eines Schiffes kann der Eigner neben den Reparaturkosten grundsätzlich auch eine Entschädigung für Nutzungsverlust verlangen. Der Sache nach handelt es sich hierbei um entgangenen Gewinn, für dessen Bemessung § 252 BGB gilt. Unter Nutzungsverlust ist der entgangene Umsatz abzüglich ersparter Unkosten zu verstehen, den das Schiff während der Reparaturzeit erzielt hätte (vgl. Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht 4. Aufl. § 92 b Rdnr. 30). Der Eigner kann entweder konkret oder abstrakt abrechnen. Als abstrakte Berechnungsweise kam bis 31.12.1993 das von den Frachtenausschüssen festgesetzte Liegegeld in Betracht (vgl. dazu Lange, Scha-densersatzrecht 2. Aufl. § 6 XI 2 ; KG VersR 1976, 463). Nach Aufhebung des "Frachten- und Tarifanzeigers" (FTB, vgl. WESKA 1993, B 146 m.w.N.) wurden mit Gesetz zur Änderung des Binnenschiffahrtsgesetzes vom 26.04.1994 in § 32 BinSchG Liegegeldsätze eingeführt.
b) Die Kläger haben ihren Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung jedoch nicht auf eine derartige abstrakte Berechnungsweise gestützt, sondern ausdrücklich die Methode konkreten Nachweises entgangenen Gewinnes gewählt. Danach hätte es ihnen oblegen, konkret im einzelnen darzulegen und nachzuweisen, daß und in welcher Höhe ihnen an jedem einzelnen Tag durch die Nichteinsatzfähigkeit des MS "D" Gewinn entgangen ist. Sie haben demgegenüber auf der Basis der behaupteten Einfahrergebnisse des Schiffes im Vorjahr den Betrag geltend gemacht, der ihnen dadurch entgangen sei, daß sie von der "G" eine tägliche Vergütung in Höhe von (DM 2.215,79 abzüglich ersparten Gasöles in Höhe von DM 309,52 =) DM 1.906,27 nicht erhielten. Die Beklagte hat diesen "Tagessatz" vorgerichtlich akzeptiert und die für den gesamten Zeitraum geltend gemachte Forderung erfüllt.
c) Soweit die Kläger mit ihrer Klage darüber hinaus aus dem Bruttotagesfrachtsatz von DM 2.215,79 sowohl 5% "entgehende G-Provision" als auch weitere 7,5 % "entgehende Einzahlung in den Frachtenausgleichsfonds" von der Beklagten fordern, sind ihre Ansprüche nicht begründet.
aa) Schadensersatzberechtigt sind nur die Kläger als Träger des absolut geschützten Rechtsgutes "Eigentum" an MS "D", nicht aber die Genossenschaft als "Dritte". Dritten erwachsene "Folgeschäden" sind (von den hier nicht gegebenen Ausnahmefällen gesetzlicher Erweiterungen wie beispielsweise §§ 844, 845 BGB abgesehen) grundsätzlich nicht vom Schädiger zu erstatten. So kann insbesondere (abgesehen von der Konstruktion gesetzlichen Forderungsüberganges) beispielsweise ein Arbeitgeber nicht vom Schädiger Ersatz dafür verlangen, daß Recht er Leistungen an den verletzten Arbeitnehmer erbringen muß. Auch kann ein Taxiunternehmer nicht den Schaden vom Schädiger ersetzt verlangen, der ihm dadurch entsteht, daß ein Taxifahrer verletzt wurde und deshalb ersatzlos ausfällt. Ausnahmen kommen nur dann in Betracht, wenn die Handlung des Ersatzpflichtigen auch gegen ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB verstößt, in dessen Schutzbereich ein Dritter einbezogen ist (vgl. Lange, Schadensersatz, 2. Aufl. § 8 I 1 m.w.N.). Dazu ist vorliegend jedoch nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich.
bb) Indessen erleidet auch derjenige einen Eigenschaden, der aufgrund eines ihn zum Ersatz berechtigenden Umstandes einem Dritten ersatzpflichtig wird (sogenanntes koinzidierendes Haftungsinteresse; vgl.. dazu Esser/Schmidt, Schuldrecht I, AT 6. Aufl. § 34111 1; Medicus, Bürgerliches Recht 16. Aufl., Rdnr. 837; Lange a.a.O. § 1 I 1).
Eine derartige Haftungskonstellation wäre hier grundsätzlich möglich, wenn die geschädigten Kläger wegen des Verletzungsereignisses vertragliche bzw. genossenschaftsrechtliche Verpflichtungen nicht erfüllen konnten und deshalb aufgrund wirksamer Rechtsgrundlage einem Dritten haften müßten. Unter diesen Voraussetzungen könnten Vermögensfolgeschäden des Verletzten ersatzfähig sein. Angesichts des Ausnahmecharakters sind jedoch strenge Anforderungen an den Nachweis der Verpflichtung zu stellen.
Die Beklagte macht mit Recht geltend, daß es am Nachweis einer rechtswirksamen Grundlage für die Forderung der "G" gegen den Kläger mangelt. Die Pflichten der Genossenschaftsmitglieder sind in §§ 11, 11 a der Satzung der "G" niedergelegt. § 11 a Abs. 1 enthält eine Regelung über den Vergütungsanspruch der Genossen und eine an die "G" zu entrichtende Provision für tatsächlich durchgeführte Reisen. Die im Vorstandspapier der "G" vom 13.07.1987 geäußerte Meinung, die Mitglieder der Genossenschaft seien auch dann zur Entrichtung von Provisionen und zur Zahlung in den Frachtenausgleichsfonds verpflichtet, wenn das Schiff durch schuldhaftes Verhalten des Schiffsführers oder -eigners bzw. durch Fremdverschulden an der Durchführung von Reisen gehindert ist, findet in der Satzung keine Stütze. Eine derartige weitgehende Zahlungsverpflichtung der einzelnen Genossenschaftsmitglieder hätte nur durch eine Änderung der Satzung wirksam begründet werden können. Satzungsänderungen können aber nach dem zwingenden Recht des § 16 GenG (und der damit übereinstimmenden Regelung in § 33 a der Satzung) nur von der Generalversammlung beschlossen werden. Ein dahingehender Generalversammlungsbeschluß liegt jedoch nicht vor. Dabei meint § 16 GenG alle Fälle einer Satzungsänderung im weiten Sinne, also auch Ergänzungen und Aufhebungen bisheriger Satzungsbestimmungen. Der Vorstand ist insbesondere nicht berechtigt, Unklarheiten durch eine bessere Fassung zu korrigieren (vgl. Lange/Weidmüller, Genossenschaftsgesetz 32. Aufl. § 16 Rdnr. 2 m.w.N.). Gemäß § 16 Abs. 6 GenG erlangt eine Satzungsänderung erst mit der Eintragung ins Genossenschaftsregister rechtliche Wirkung.
Da es an diesen Voraussetzungen fehlt, war und ist die "G" nicht berechtigt, von den Klägern rechtswirksam Provisions- und Frachtenausgleichszahlungen für nicht durchgeführte Fahrten zu verlangen. Die entsprechenden Schadensersatzansprüche der Kläger sind deshalb auch gegen die Beklagte nicht begründet. Auf die Frage der Schiffahrtsüblichkeit von Frachtenausgleichszahlungen und Provisionen kommt es daher nicht an.
3. Unbegründet ist die Klageforderung auch insoweit, als sie vorgerichtliche Anwaltsgebühren zum Gegenstand hat. Abgesehen von dem Umstand, daß sowohl die Gebührenrechnung vom 15.09.1993 mit dem Betreff: "G/ AG wegen Ausfall von Provision und Frachtenausgleich" als auch die von der "G" der Beklagten erteilten Rechnungen darauf hinweisen, daß die "G" sich - jedenfalls zunächst- eigener Ansprüche gegenüber der Beklagten berühmte und deshalb selbst die klägerischen Prozeßbevollmächtigten beauftragte, scheitert ein Schadensersatzanspruch der Kläger jedenfalls daran, daß die klagegegenständliche Schadensersatzforderung (wie oben unter Ziffer 2 ausgeführt) nicht begründet ist und deshalb auch keine hierauf entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten zu ersetzen sind …"
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1995 - Nr.3 (Sammlung Seite 1515 f.); ZfB 1995, 1515 f.