Banque de données de juriprudence
Leitsätze:
1) Der Schiffsführer eines überholenden Fahrzeugs muss gern. § 6.09 RheinSchPV umsichtig handeln und auf Sicherheit bedacht sein; andererseits kann er jedoch darauf vertrauen, dass erstens die Führung des anderen, in Fahrt befindlichen Fahrzeugs, das mit dem von seinem Fahrzeug ausgelösten Wellenschlag in Kontakt kommt, sich schifffahrtsüblich und situationsgerecht verhält, und zweitens, dass das andere Schiff in der vorhandenen Beschaffenheit zur Teilnahme am Schiffsverkehr tauglich ist und seinen technischen Gegebenheiten entsprechend betrieben wird.
2) Der Führung eines Schiffs fällt kein Mitverschulden zur Last, wenn sie in einer allein von einem anderen Schiff schuldhaft herbeigeführten Gefahrenlage im letzten Augenblick eine unrichtige Entscheidung trifft. Eine fehlerhafte Maßnahme ist jedoch nur dann als solche des letzten Augenblicks entschuldigt, wenn ein Schiffsführer plötzlich zu einer gänzlich unerwarteten Reaktion gezwungen ist, sodass ihm objektiv fehlerhaftes Verhalten billigerweise nicht als Verschulden zugerechnet werden kann.
OLG Karlsruhe
Urteil
vom 20.03.2002
(U 4/01 RhSch)
Zum Tatbestand:
Die KI. ist Eigentümerin der Motoryacht (MY) „A." (11,85 m lang, 3,15 m breit, Antriebsleistung 2 x 191 kW). Sie verlangte vom Bekl. als Führer und Eigentümer der MY „C." (12,95 m lang, 4,25 m breit, Antriebsleistung 2 x 279,48 kW) Ersatz des Schadens, der bei einem Überholvorgang auf dem Rhein am 6. 5. 2000 entstand. An diesem Tag gegen 16.00 Uhr fuhr MY „A." den Rhein bei km 410,5 zu Berg und wurde an Steuerbordseite von MY „C." überholt. Nachfolgend krängte MY „A." und ging unter.
Die KI. trug im ersten Rechtszug im Wesentlichen vor: Ihre Yacht sei durch außerordentlich starke Wellen, die von MY „C." verursacht worden seien, erfasst worden. MY „A." habe sich steil aufgehoben, habe nach beiden Seiten gekrängt, habe achterlich Wasser übernommen und sei danach gesunken.
Der Bekl. habe den Unfall schuldhaft verursacht, indem er entgegen § 6.20 RheinSchPV die Geschwindigkeit der von ihm geführten MY „C." nicht so eingerichtet habe, dass Wellenschlag oder Sogwirkung vermieden worden sei. Entgegen der Auffassung des Bekl. habe MY „A." keine technischen oder schwimmstabilitätsmäßigen Mängel aufgewiesen. Durch den Unfall sei ihr ein Gesamtschaden in Höhe von 189 838,06 DM entstanden.
Der Bekl. trug vor: Er sei mit der bei Überholmanövern auf dem Rhein auf der Bergfahrt üblichen Geschwindigkeit gefahren, bei der normalerweise nichts geschehe. Der Unfall sei auf Fahrfehler der Führung von MY „A." zurückzuführen. Der KI. sei weiter anzulasten, dass das Boot mit zusätzlichen Aufbauten versehen worden sei, die zu einer Verlagerung des Gewichtsschwerpunkts nach oben geführt hätten, wodurch die Yacht sehr rank geworden und ihre Stabilität beeinträchtigt worden sei.
Dem Rheinschifffahrtsgericht lagen - ebenso wie dem Senat - die polizeilichen Ermittlungsakten sowie die Akten des Verklarungsverfahrens des Schifffahrtsgerichts Mannheim (30 H 1/00) vor.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist nicht begründet. Als Anspruchsgrundlage kamen § 823 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 1.04, 6.09 bzw. 6.20 RheinSchPV in Betracht; deren Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt.
Gem. § 92 Abs. 2 und 3 BinnSchG gelten auch bei Fernschädigungen und auch bei der Beteiligung von Kleinfahrzeugen die Vorschriften der §§ 92 a ff. BinnSchG entsprechend. Eine Femschädigung besteht insbesondere dann, wenn durch die Maschinenkraft eines Schiffs andere Schiffe Sog- und Druckkräften ausgesetzt werden und hierdurch Schaden erleiden (vgl. Vortisch/Bemm, BinnSchG 4. Aufl. § 92 Rdn. 7 m. w. N.). Dies gilt auch für Schäden infolge von Wellenschlag.
Dass der von MY „C." bei der Bergfahrt am 6. 5. 2001 bei Strom-km 410,5 beim Überholen von MY „A." erzeugte Wellenschlag eine Ursache für das anschließende Kentern von MY „A." dargestellt hat, kann zugunsten der KI. angenommen werden. Dies allein genügt jedoch für eine Haftungsbegründung des Bekl. nicht. Nach wie vor besteht (von der Ausnahme des § 22 WHG abgesehen) im Binnenschifffahrtshaftungsrecht - auch für Eigner von Kleinfahrzeugen - keine Gefährdungshaftung (vgl. dazu Senat VersR 1993, 381 m. w. N.). Vielmehr setzt eine zivilrechtliche Haftung ein Verschulden voraus. Weder ein pflichtwidriges Verhalten noch ein Verschulden des Bekl. am Kentern von MY „A." stehen jedoch zur Überzeugung des Gerichts fest.
Gem. § 6.20 RheinSchPV müssen Fahrzeuge ihre Geschwindkeit so einrichten, dass Wellenschlag und Sogwirkungen, die Schäden am stillliegenden oder in Fahrt befindlichen Fahrzeugen oder Schwimmkörpern oder an Anlagen verursachen können, vermieden werden. Gem. § 6.03 RheinSchPV ist das Überholen nur gestattet, wenn das Fahrwasser unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs hinreichend Raum für die Vorbeifahrt gewährt. Gern. § 6.09 Nr. 1 RheinSchPV ist das Überholen nur gestattet, nachdem sich der Überholende vergewissert hat, dass dieses Manöver ohne Gefahr ausgeführt werden kann. Besteht auch nur eine gewisse Möglichkeit, dass eine Gefahrenlage entstehen kann, stellen sich also Zweifel ein, so ist das Überholmanöver zu unterlassen.
Eine Gefahr braucht sich noch nicht konkretisiert zu haben. Andererseits braucht ein Schiffsführer nicht jede fern liegende Möglichkeit einer Gefahrenlage in Rechnung zu stellen (vgl. Bemm/v. Waldstein, RheinSchPV §16.09 Rdn. 7 m. w. N.). Hierzu führt das Rheinschifffahrtsgericht zutreffend aus, dass der Schiffsführer des überholenden Fahrzeugs umsichtig handeln und auf- Sicherheit bedacht sein muss, andererseits jedoch darauf ertrauen kann, dass erstens die Führung des anderen, in Fahrt befindlichen Fahrzeugs, das mit dem von seinem Fahrzeug ausgelösten Wellenschlag in Kontakt kommt, sich. schifffahrtsüblich und situationsgerecht verhält, und zweitens, dass das andere Schiff in der vorhandenen Beschaffenheit zur-Teilnahme am Schiffsverkehr tauglich ist und seinen technischen Gegebenheiten entsprechend betrieben wird.
Gemessen an diesen Maßstäben kann unter Berücksichtigungen des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme, d. h. insbesondere in Würdigung der Aussagen der im Verklarungsverfahren vernommenen Zeugen, dem Bekl. nicht angelastet werden, es sei für ihn voraussehbar gewesen, dass es durch seine Fahrweise zum Kentern von MY „A." kommen würde. Die Vorbeifahrt von MY „C." an MY „A." sowie an zwei weiteren Bergfahrern, MY „Q." und Sportboot „K.", wird von allen beteiligten Zeugen im Wesentlichen übereinstimmend dahin geschildert, dass die Geschwindigkeit oder der Abstand von MY „C." nicht als außergewöhnlich aufgefallen wäre. Die Zeugen haben die Vorbeifahrt als normal, teilweise sogar als eigentlich ganz gemütlich beschrieben. Dass besonders hohe Wellen erzeugt worden seien, ergab die Beweisaufnahme nicht. Freilich musste man sich - wie bei jedem Überholvorgang - im dortigen Revier auf Wellenschlag des Überholers einstellen.
So musste sich die Schiffsführung von MY „A." im Bewusstsein, dass es sich um eine ranke und -wenn auch, was zugunsten der Kl. unterstellt wird, sodass es auf die Meinungsverschiedenheiten der von beiden Parteien privat zugezogenen Sachverständigen L. und U. für die Entscheidung letztlich nicht ankommt, formalen technischen Anforderungen gerecht werdende, so doch im Hinblick auf die Aufbauten - vergleichsweise eher weniger stabile, zum „Rollen" neigende Motoryacht handelte, angesichts der herrschenden Verkehrslage vor und zum Unfallzeitpunkt im eigenen Interesse nautisch darauf einrichten, Wellen eines überholenden Fahrzeugs richtig zu nehmen. Dies ist, wie die Beweisaufnahme eindeutig ergeben hat, nicht geschehen. Der Ehemann der KI. hat berichtet, dass er das Ruder von MY „A." an den Zeugen B. abgegeben hatte, es aber schnell wieder übernehmen wollte, als er erfuhr, dass die Yacht überholt werde. Er hat sodann sofort Steuerbordruder gegeben, um zu versuchen, mit einer Drehung von 90° über Steuerbord in eine solche Lage zu geraten, dass seine Schiffslängsachse mit dem Wellenkamm etwa einen rechten Winkel bilde. Dieses Ziel hat er jedoch nicht erreicht. Vielmehr geriet das Fahrzeug nur etwa parallel zu den Heckwellen, was nautisch bekanntermaßen besonders ungünstig ist, hat nach beiden Seiten gekrängt und ist schließlich gekentert.
Der haftungsrechtlich entscheidende Beitrag für den Unfall stammte daher von der Schiffsführung der Yacht der KI. Nautisch geboten wäre es gewesen, entweder bereits viel früher das Fahrzeug in einen Winkel zu den zu erwartenden anlaufenden Wellen zu stellen oder aber den Kurs beizubehalten und die Wellen unter Maschineneinsatz abzufangen oder aber durch Ruderlage leicht Backbord das Schiff in einem 90°-Winkel zu den anlaufenden Wellen zu führen und zu versuchen, diese mit dem Heck aufzunehmen.
Selbst wenn man also dem Bekl. zum Vorwurf machen würde, pflichtwidrig und nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt zu haben, so würde der ihm anzlastende Beitrag gegenüber dem Verursachens- und Verschuldensbeitrag der Schiffsführung von MY „A." nicht ins Gewicht fallen.
Dabei führt entgegen der Auffassung der KI. der rechtliche Gesichtspunkt des „Manövers des letzten Augenblicks" vorliegend zu keinem anderen Ergebnis: Der Führung eines Schiffs fällt kein Mitverschulden zur Last, wenn sie in einer allein von einem anderen Schiff schuldhaft herbeigeführten Gefahrenlage, im letzten Augenblick eine unrichtige Entscheidung trifft (BGH VersR 1971, 339). Eine fehlerhafte Maßnahme ist jedoch nur dann als solche des letzten Augenblicks entschuldigt, wenn ein Schiffsführer plötzlich zu einer gänzlich unerwarteten Reaktion gezwungen ist, sodass ihm objektiv fehlerhaftes Verhalten billigerweise nicht als Verschulden zugerechnet werden kann (vgl. Bemm/v. Waldstein aaO § 1.04 Rdn. 29 m. w. N.). Dies könnte unter Umständen beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn ein anderes Schiff plötzlich auf Kollisionskurs zu MY „A." gegangen wäre. Der vorliegende Überholvorgang stellt hingegen keine „allein von einem anderen Schiff herbeigeführte völlig überraschende Gefahrenlage" dar, die das Eigenverschulden des Geschädigten entfallen ließe und zu einer sonst nicht gegebenen Haftung des anderen führen würde.
Urteilsbesprechung aus VersR 2003, S. 397