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Leitsatz:
Dass ein Mann der Bordbesatzung bei falschen Manövern des Schiffsführers über Bord fallen, zwischen mehrere Schiffe geraten und erdrückt werden kann, ist voraussehbar und dem Schiffsführer als fahrlässige Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Transportgefährdung anzurechnen. Die ordentlichen Gerichte können keine Patententziehung, wohl aber zur Sicherung der Allgemeinheit ein Berufsverbot gemäß § 42 1 StGB aussprechen.
Urteil des Amtsgerichts Mannheim
vom 5. September 1963
SG 5 - 84/63
Aus den Gründen
Der Angeklagte, der seit 1933 das Schifferpatent für Fahrzeuge ohne eigene Triebkraft und seit 1938 das Patent für Schiffe mit eigener Triebkraft besitzt und zehnmal einschlägig, darunter dreimal wegen fahrlässiger Transportgefährdung vorbestraft ist, befand sich auf dem Neckar als verantwortlicher Führer des Schleppbootes A (13,25 m lang, 3,86 m breit) mit dem leeren Kahn B im Anhang (66,84 m lang, 9,17 m breit) bei Dunkelheit, aber klarer Sicht auf Talfahrt. Zwei Tage zuvor hatte der Angeklagte den 30jährigen Schlosser C als Hilfsmatrosen an Bord genommen, der erstmals auf einem Schiff fuhr.
Etwa bei km 14,800 lag an der linken (westlichen) Fahrwasserbegrenzung ein Bagger und neben ihm ein Motorschiff, die beide vorschriftsmäßig beleuchtet waren. Der Bagger hatte in ca. 9,00 m Höhe auf der westlichen Seite rotes und auf der östlichen Seite rot-weißes Licht gesetzt. Das Motorschiff führte am Bug und am Heck ein weißes Licht. Die Lichter des Baggers waren schon auf eine Entfernung von 1200 bis 1400 m erkennbar. Der Bagger lag, wie dem Angeklagten bekannt war, schon seit etwa einem Jahr meistens an der gleichen Stelle vor Anker.
Der Angeklagte sah das rot-weiße Licht des Baggers erst auf ca. 60 m, das weiße Licht des Motorschiffs überhaupt nicht. Obwohl das freie Fahrwasser sich auf der rechten (östlichen) Seite des Neckar befindet, fuhr es an der linken Begrenzung des Fahrwassers entlang und wollte vorschriftswidrig auf der linken gesperrten Seite der ankernden Schiffe vorbeifahren. Den Scheinwerfer konnte er nicht benutzen, da er defekt war. Er stieß gegen ein vom Bagger seitlich ausgebrachtes Drahtseil und zerriss es. Dadurch kam u. a. der Schlepper in so starkes Schaukeln, dass Wasser durch das Bullauge in die Kajüte des Schiffers D drang, der im Glauben, das Schiff würde kentern, an Bord eilte. Der Hilfsmatrose C verlor das Gleichgewicht, hielt sich aber im Fallen zunächst an der Steuerbordseite des Schleppers am Besteckwinkel fest, so dass er nur mit dem Unterleib im Wasser hing. Der Schlepper (1,50 m Tiefgang) fuhr an dieser sehr flachen Stelle auf Grund. Der nachfolgende Schleppkahn (0,50 m Tiefgang) schob sich - immer noch in Fahrt - an der Steuerbordseite des Schleppers vorbei, wobei der an der Außenwand hängende Matrose C erdrückt wurde.
Das Gericht würdigt diesen Tatbestand in rechtlicher Hinsicht u. a. wie folgt:
"Der Angeklagte hat in dreifacher Hinsicht seine Pflichten als Schiffsführer verletzt bzw. pflichtgemäßes Handeln unterlassen. Er war unaufmerksam und hat deshalb die gemäß § 54a BiSchStO gekennzeichnete Fahrwasserbegrenzung nicht eingehalten. Er hat außerdem die gemäß §§ 72 und 77 Abs. 1a BiSchStO gesetzten Zeichen nicht beachtet und deshalb den Schleppzug nicht auf der freien Fahrwasserseite an den ankernden Schiffen vorbeigesteuert. Die voraussehbare Folge war, dass der Angeklagte mit dem Schlepper das Drahtseil zerriss und auf Grund lief, was zur weiteren Folge hatte, dass der Anhangkahn mehrfach gegen den Schlepper stieß. Dieses Fehlverhalten und seine Folgen waren ursächlich dafür, dass der Hilfsmatrose über Bord fiel und zwischen dem Schlepper und dem Schleppkahn erdrückt wurde. Auch dieser Umstand ist voraussehbar gewesen. Dass ein Mann infolge falscher Manöver des Schiffers über Bord gerät und durch ein auffahrendes Schiff erdrückt wird, ist nichts Ungewöhnliches. Der Angeklagte hat demnach durch Fahrlässigkeit den Tod des Hilfsmatrosen C verursacht. Er hat in vorwerfbarer Weise den Tatbestand des § 222 StGB verwirklicht.
Durch die pflichtwidrigen Unterlassungen hat der Angeklagte aber auch den Tatbestand der §§ 315 1, 316 1 StGB erfüllt. Die Nichtbeachtung der Fahrwasserbegrenzung und der gesetzten Lichter stellen eine solche Unterlassung dar, die einem der in § 315 1 StGB näher bezeichneten Eingriffe an Gefährlichkeit gleichkommt. Hinzu kommt, dass der Angeklagte durch das verschuldete Auflaufen seines Schleppers dem nachfolgenden Schleppkahn ein Hindernis bereitet hat. Er hat dadurch die Sicherheit der Schifffahrt beeinträchtigt und eine Gemeingefahr herbeigeführt, d. h. eine Gefahr für Leib und Leben eines einzelnen Menschen und für bedeutende Sachwerte. Bei der Anwendung der erforderlichen und nach seinen persönlichen Verhältnissen und Fähigkeiten zumutbaren Sorgfalt wäre das Unglück nicht geschehen.
Zwischen den Tatbeständen der §§ 222, 3151, 316 1 StGB besteht Tateinheit im Sinne des § 73 StGB.
Der Angeklagte ist somit wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Transportgefährdung gemäß §§ 222, 315 1, 316 1, 73 StGB zu bestrafen."
Das Gericht hielt in Abwägung aller Umstände wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit fahrlässiger Transportgefährdung eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten für angemessen, deren Vollstreckung jedoch zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Außerdem erhielt der Angeklagte ein auf 2 Jahre begrenztes Berufsverbot.
Hierzu gab das Gericht u. a. folgende Begründung:
„Es war erforderlich, die Allgemeinheit vor weiteren Gefährdungen durch den Angeklagten zu schützen. Für die Entziehung des Schifferpatents war das Gericht nicht zuständig. Eine dem § 42 m StGB entsprechende Vorschrift ist im StGB nicht enthalten. Dagegen waren die Voraussetzungen des § 42 1 StGB gegeben. Der Angeklagte hat eine Gefängnisstrafe über drei Monate erhalten, weil er die ihm kraft seines Berufes als Schiffsführer obliegenden Pflichten in grober Weise verletzt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH genügen bei verantwortungsreichen Berufen schon weniger schwerwiegende Umstände (vgl. BGHSt MDR 53,19). Außerdem genügt als Voraussetzung die Schuldform der Fahrlässigkeit (vgl. Schwarz-Dreher StGB 24. Aufl. 1962 § 421 Anm. A b). Die Tat des Angeklagten zeigt, dass er als Schiffsführer für Schiffe mit eigener Triebkraft ungeeignet ist. Die grobe Pflichtverletzung war übrigens keine einmalige Entgleisung. Die zahlreichen Vorstrafen bzw. die ihnen zugrundeliegenden Taten lassen erkennen, dass der Angeklagte den Anforderungen, die heute an den Schiffsführer zu stellen sind, nicht gewachsen ist. Der Angeklagte ist ein labiler Mensch, der außerdem an Kreislaufstörungen leidet und sich häufig dem Trunke ergeben hat. Er ist unzuverlässig, insbesondere fehlt es ihm an einem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein. Es besteht daher keine andere Möglichkeit, dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit Genüge zu leisten, als dem Angeklagten ein Berufsverbot aufzuerlegen. In billiger Berücksichtigung der Interessen des Angeklagten genügt jedoch zur Sicherung der Allgemeinheit ein beschränktes Berufsverbot. Das Gericht hatte keine Bedenken, dem Angeklagten die Ausübung seines Berufs, soweit die Führung von Schiffen ohne eigene Triebkraft oder eines Kahns mit Hilfsmotor in Betracht kommt, weiterhin zu gestatten. Bei diesen Schiffen ist die Verantwortung und die Möglichkeit der Gefährdung Dritter nicht so groß, weil sie meistens im Schleppzug fahren und die Verantwortung dann dem Schleppzugführer obliegt. Der Angeklagte wird aber in Zukunft darauf achten müssen, dass ihm nicht auch insoweit ein Berufsverbot auferlegt wird."