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Leitsatz:
Steuerliche Abzugsfähigkeit der Fahrtkosten mit eigenem Pkw zwischen den jeweiligen Liegeplätzen eines Schiffes und der festen Familienwohnung an Land in Höhe von 0,32 DM/ pro Kilometer sowie Anerkennung von Werbungskosten für Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung von Binnenschiffern in Höhe von 13,- DM/pro Tag.
Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts
vom 3. Juli 1978
Zum Tatbestand:
Der Kläger, ein Schiffsführer, hatte im Lohnsteuer-Jahresausgleich 1975 für Fahrten mit eigenem Pkw zwischen den jeweiligen Liegeplätzen des Schiffes (u. a. während einer Werftliegezeit) und seiner festen Wohnung an Land - unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 31. 10. 1973 - VI R 98/73 (BStBI. II 1974, 258) - Werbungskosten in Höhe von 0,32 DM/km geltend gemacht und außerdem für Mehrverpflegungsaufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung den Abzug eines Pauschbetrages von 13,- DM/ pro Tag verlangt.
Das beklagte Finanzamt war der Auffassung, dass es sich um Familienheimfahrten handele, für die nur 0,36 DM pro Doppelkilometer als Werbungskosten abzugsfähig seien. Als zusätzlicher Werbungskostenpauschbetrag sei vom Niedersächsischen Minister für Finanzen ein Jahresbetrag von 936,- DM für Binnenschiffer festgesetzt worden, wodurch die Mehrkosten für doppelte Haushaltsführung bereits abgegolten seien.
Das Niedersächsische Finanzgericht entschied in vollem Umfang zugunsten des Klägers und setzte zusätzlich 3646,- DM ab.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Kosten für die Fahrten zwischen den verschiedenen Schiffsliegeplätzen und der Wohnung des KI. sind nach den Grundsätzen des BFH-Urteils VI R 98/73 in der tatsächlich entstandenen Höhe als Werbungskosten abzugsfähig, denn der KI. führt keinen doppelten Haushalt im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG. Nach Satz 2 dieser Vorschrift liegt eine doppelte Haushaltsführung vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. „Beschäftigung" im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG ist die politische Gemeinde, in der der Stpfl. beruflich tätig ist (Hermann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 32 g (5) zu § 9 EStG). Ein derartiger Beschäftigungsort ist beim KI. nicht vorhanden, da er nicht ständig in einer bestimmten politischen Gemeinde beschäftigt ist, sondern sich ständig „auf Reisen" befindet. Wenn er seine „Unterkunft" dabei auch ständig mit sich führt, so handelt es sich dennoch nicht um den typischen Fall der doppelten Haushaltsführung, für den der Gesetzgeber in § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG die Abzugsfähigkeit der Werbungskosten beschränken will. Der Gesetzgeber hat in § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 EStG den Abzug der Kosten für Familienfahrten insoweit einschränken wollen, als ein Stpfl. ständig an Wochenenden zwischen zwei ortsfesten Wohnungen hin- und herpendelt, denn nur in solchen Fällen ist es dem Stpfl. in der Regel möglich, auf öffentliche Verkehrsmittel auszuweichen und so zur Verminderung der Verkehrsschwierigkeiten an den Wochenenden beizutragen. Diese Möglichkeit hatte der KI. nicht, da er sich mit dem Schiff ständig zu unterschiedlichen Zeiten an wechselnden Liegeplätzen aufhielt, die zudem meist gar nicht oder nicht zu Dienstbeginn bzw. Dienstende des Kl. von öffentlichen Verkehrsmitteln angefahren wurden.
Die Fahrten des KI. zwischen den verschiedenen Schiffsliegeplätzen und der Familienwohnung in M. sind daher keine Familienheimfahrten im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 EStG, auf die die Begrenzung auf 0,36 DM je Entfernungskilometer anwendbar ist. Sie ähneln vielmehr Dienstreisen, für die ohne Einzelnachweis der Pauschbetrag nach Abschn. 25 Abs. 8 Satz 3 LStR von 0,32 DM/km anerkannt werden kann. Insoweit beruft sich der KI. zu Recht auf das BFH-Urteil VI R 98/73, wonach bei Arbeitnehmern, die ständig auf wechselnden Arbeitsstellen tätig sind, die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten mit eigenem Kraftfahrzeug von der Wohnung zu den jeweiligen Arbeitsstätten als Werbungskosten abgezogen werden können, obwohl es sich nach dem reinen Wortlaut des Gesetzes um (eigentlich nur beschränkt abzugsfähige) Fahrten im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG handelt. Diese Vorschrift ist zwar nicht ausdrücklich auf Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte beschränkt; sie kann aber nach Auffassung des BFH auf Fälle, in denen es an einer regelmäßigen Arbeitsstätte fehlt, nicht angewendet werden, weil sie Besonderheiten aufweisen, die zur Folge haben, dass bei Anwendung der Vorschrift kein sinngemäßes Ergebnis eintreten würde. Die gleiche Überlegung muss auch für die „unechten" Familienheimfahrten des KI. gelten. Hier fehlt es - wie im BFH-Urteil VI R 98/73 an einer regelmäßigen Arbeitsstätte - an einer Wohnung an einem ortsfesten Beschäftigungsort, die „Wohnung am Beschäftigungsort" befindet sich vielmehr ständig auf Reisen.
Auch die Aufwendungen für die täglichen Fahrten mit dem Kraftfahrzeug von der Wohnung des KI. in M. nach Emden während der Werftliegezeit des Schiffes sind mit den tatsächlich entstan-denen Kosten bzw. in Höhe des Pauschalsatzes nach Abschnitt. 25 Abs. 8 LStR als Werbungskosten zu berücksichtigen. Emden ist weder der Betriebssitz noch die regelmäßige Arbeitsstätte des KI. im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG; es handelt sich vielmehr hier um eine ständig wechselnde Arbeitsstätte im Sinne des BFH-Urteils VI R 98/73. Es war dem KI. auch nicht zuzumuten, während der Werftliegezeit seinen zweiten Haushalt auf dem Schiff beizubehalten und nur einmal wöchentlich zu seiner Familie nach M. zu fahren, zumal die Entfernung zwischen Emden und M. nur 26 km beträgt.
Der Senat folgt insoweit der Auffassung der Beteiligten, dass hinsichtlich der Mehraufwendugen für Verpflegung auf die Grundsätze für doppelte Haushaltsführung abzustellen ist, obwohl eine Wohnung des KI. an einem bestimmten Beschäftigungsort (- politische Gemeinde) im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG nicht vorliegt. Er hat bereits in einem ähnlich gelagerten Fall mit Urteil vom 18. April 1977 IX L 97/76 (BFG 1977, 532) entschieden, dass Arbeitnehmer, die von einem mit Schlafstelle und Kücheneinrichtung ausgestatteten Bauzug der Deutschen Bun-desbahn aus an ständig wechselnden Einsatzstellen beschäftigt sind und nicht täglich in ihre Familienwohnung zurückkehren, dem Grunde nach keine Dienstreisen im steuerlichen Sinne durchführen, sondern Verpflegungsmehraufwendungen während der auswärtigen Beschäftigung ohne Einzelnachweis nur mit den bei doppelter Haushaltsführung vorgesehenen Pauschbeträgen berücksichtigt werden können. An dieser Auffassung hält der Senat auch für den Streitfall fest.
Mehraufwendungen für Verpflegung können nach Abschn. 27 Abs. 1 Nr. 3 b LStR bis zu einem Betrag von 13 DM täglich berücksichtigt werden. Der Betrag von 13 DM für Mehrverpflegungskosten ist ein Pauschbetrag, den die Finanzverwaltung in der Regel ohne Einzelnachweis anerkennt.
Die Nichtanwendung der Richtlinien muss auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben (vgl. BFH-Urteil vom 14. April 1967 VI R 168/66, BStBI III 1967, 430 und die dort zitierte Rechtsprechung).
In Abweichung von Abschnitt 27 LStR hat der Niedersächsische Minister der Finanzen mit Erlass vom 15. Oktober 1964 - S 2226 - 51 - 314 - den Werbungskostenpauschbetrag für Binnenschiffer mit doppelter Haushaltsführung auf monatlich 78 DM festgesetzt. Diesen Erlass will er wie der Beklagte ausführt - offenbar auch weiterhin anwenden. Gründe für das Abweichen von den Pauschsätzen des Abschnitt 27 Abs. 1 Nr. 3 LStR gibt der Niedersächsische Minister der Finanzen nicht an und sind auch nicht anderweit ersichtlich. Auch der Vertreter des Beklagten vermochte in der mündlichen Verhandlung keine stichhaltigen Gründe dafür anzuführen, warum für den verhältnismäßig kleinen Kreis der Binnenschiffer nicht der Pauschbetrag von 13 DM täglich, sondern lediglich monatlich 78 DM für Mehrverpflegungsaufwendungen abzugsfähig sein sollen.
Da weder dargelegt noch ersichtlich ist, nach welchen Erfahrungen die Binnenschiffer niedrigere Aufwendungen für Mehrverpflegung bei doppelter Haushaltsführung haben als andere Steuerpflichtige, sieht sich der Senat nicht in der Lage, dem NMdF-Erlass vom 15. Oktober 1964 zu folgen; der Erlass führt nach Auffassung des Senats vielmehr zu einer Ungleichbehandlung gleich gelagerter Fälle, wenn er für Binnenschiffer die allgemein zu berücksichtigenden Pauschbeträge des Abschn. 27 Abs. 1 Nr. 3 b LStR ausschließt.