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Leitsätze:
1) Nach dem Berliner Förderungsgesetz genügt nicht nur der Einsatz des Binnenschiffes an mindestens 136 Betriebstagen bzw. an mehr als der Hälfte der Betriebstage im Jahr. Voraussetzung ist vielmehr auch ein regelmäßiger Berlineinsatz. Eine Unterbrechung von 6 1/2 Monaten überschreite wesentlich den Zeitraum, in welchem ein Binnenschiff außerhalb Berlins eingesetzt werden kann, ohne die räumliche Bindung an Berlin zu verlieren.
2) Niedrigwasser und Schleusensperren sind im Berliner Verkehr keine ungewöhnlichen Ereignisse und keine ganz außergewöhnlichen Umstände, die eine andere Beurteilung bei der Berechnung der Einsatzzeit im Berliner Verkehr rechtfertigen würden.
Urteil des Finanzgerichts Berlin
vom 9. Juli 1974
Zum Sachverhalt:
Die Klägerin stellte als Binnenschifffahrtsunternehmen das von ihr im Jahre 1971 in Auftrag gegebene und in West-Deutschland gebaute Motorgüterschiff „A" im Januar 1972 in Dienst. Auf die im Jahre 1971 geleisteten Anzahlungen erhielt sie gemäß Berlin-Förderungsgesetz (BerlinFG) eine Investitionszulage, die das Finanzamt (Beklagter) zurückfordert, weil das Schiff im Betriebsjahr 1972/1973 nicht überwiegend im Berlin-Verkehr eingesetzt gewesen sei. Zur Begründung beruft sich der Beklagte darauf, dass das Schiff die erste Berlin-Fahrt erst am 8. August 1972 angetreten habe und bis zum 5. Dezember 1972 nur an 120 Tagen im Berliner Verkehr eingesetzt gewesen sei.
Die Klägerin macht geltend, dass das Schiff am 6. Dezember 1972 eine Fahrt nach Bremen angetreten habe und dort am 14./15. Dezember 1972 entladen sei. Wegen eines auf dieser Fahrt schuldlos erlittenen Ruderschadens sei das leere Schiff setzt und dort trotz einer weiteren am 17. 12. 1972 erlittenen Havarie am 19. 12. 1972 eingetroffen. Wegen des auf der Emdener Werft nicht vollständig zu beseitigenden Schiffsschadens habe ein Weizentransport von Emden nach Berlin, der am 22. 12. 1972 beginnen sollte, storniert werden müssen. Da die Zeit vom 6. bis 22. 12. 1972 zum Berliner Verkehr rechne, sei das Erfordernis, dass das Schiff an mindestens 136 Betriebstagen im Berliner Verkehr eingesetzt sei, erfüllt, Werde dies nicht anerkannt, berufe sie sich auf höhere Gewalt.
Nach erfolglosem Einspruch der Klägerin wurde auch ihre Klage vom Finanzgericht - rechtskräftig - abgewiesen.
Aus den Gründen:
Der überwiegende Einsatz eines Binnenschiffes im BerlinerVerkehr - und damit ein „Verbleiben" im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz l BerlinFG - verlangt, dass das Schiff regelmäßig, d. h. ohne größere zeitliche Unterbrechungen, Fahrten von und nach Berlin aus führt. Nur auf diese Weise wird das Erfordernis einer dauerhaften räumlichen Bindung des Schiffes an Berlin erfüllt. Der Bundesfinanzhof - BFH - hat entsprechende Anforderungen für Lastkraftwagen (Lkw) (Urteile VI R 5/68 vom 17. Mai 1968, Bundessteuerblatt - BStBI.- II Seite 570, und 1 R 80/68 vom 11. Juni 1969, BStBI. II Seite 516) und für Busse (Urteil VI R 205/69 vom 20. November 1970, BStBI. 11 1971 Seite 314) aufgestellt. Sie auch auf Binnenschiffe anzuwenden, hat das Gericht keine Bedenken.
Die Klägerin hat die MS „A" im Betriebsjahr 1972/73 nicht regelmäßig im Berliner Verkehr eingesetzt. Das ergibt sich aus dem Fehlen von Berliner Fahrten in der Zeit vom 24. Januar bis zum 7. August 1972. In dieser Zeit bestand keine räumliche Bindung des Schiffes an Berlin. Allerdings war die räumliche Bindung in dieser Zeit nicht unterbrochen, sondern vielmehr noch gar nicht hergestellt. Was jedoch für zeitliche Unterbrechungen im Berlin. Verkehr gilt, gilt nach Ansicht des Senats auch für einen Zeitraum, der zwischen der Indienststellung eines Schiffes und seiner ersten Berlin-Fahrt liegt. Einen Zeitraum von rund 61/2 Monaten sieht der Senat nicht mehr als unerheblich an. Bei Bussen hält der BFH (Urteil VI R 205/69, a.a.O.) eine Unterbrechung des BerlinerVerkehrs von drei Monaten für zulange schädlich. Bei Binnen. schiffen mag zwar eine längere Unterbrechung als drei Monate hinzunehmen sein. Rund 61/2 Monate überschreiten aber den Zeit. raum, in dem ein Binnenschiff außerhalb Berlins eingesetzt werden kann, ohne die räumliche Bindung an Berlin zu verlieren, und dementsprechend schließen es die rund 61/2 Monate aus, die Herstellung einer räumlichen Bindung der „A" an Berlin schon vor Antritt der ersten Berlinfahrt anzunehmen.
Aus welchem Grunde die Klägerin die erste Berlin-Fahrt der „A" erst am 8. August 1972 begann, ist unerheblich. Ganz außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Niedrigwasser und Schleusensperren sind im Berlin-Verkehr keine ungewöhnlichen Ereignisse. Außerdem ist das Gericht überzeugt, dass die Klägerin nicht zumindest einige Berliner Fahrten mit der „A" früher hätte durch führen können.
Hiernach kann dahinstehen, ob die „A" in den Betriebsjahren 1972/73 und 1973/74 an jeweils (mehr als) 136 Betriebstagen oder - bei weniger als 270 Betriebstagen pro Jahr - jedenfalls an mehr als der Hälfte der Betriebstage im Berlin-Verkehr eingesetzt war. Denn ein überwiegender Einsatz im Berlin-Verkehr befreit nicht von dem Erfordernis eines regelmäßigen Berlin-Einsatzes. Dieses Erfordernis ist allerdings in dem Erlass des Senators für Finanzen Berlin vom 10. Dezember 1965 (Deutsche Steuer-Zeitung, B, 1966 Seite 18) nicht enthalten. Die Klägerin kann sich jedoch dem gegenüber auf diese für sie günstigere Verwaltungsregelung nicht berufen. Denn das Gericht ist an diese Regelung nicht gebunden.