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Leitsätze:
1) Es ist nicht entschuldbar, wenn ein Talfahrer trotz erkannter Kursweisung eines Bergfahrers zur Begegnung an Steuerbord glaubt, daß der Bergfahrer entgegen seiner Kursweisung den „üblichen" Kurs auf Backbordseite fahren werde. Der Irrtum über einen solchen entschuldigt nicht. Auch bei einem entgegen der Übung anderen Kurs muß der Talfahrer der Kursweisung des Bergfahrers folgen.
2) Mit den Meinungen von Zeugen, insbesondere mit ihrer Beurteilung der Schuldfrage, braucht sich ein Gericht nicht auseinanderzusetzen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 13. Januar 1969
II ZR 99/66
(Schiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte, beladene MS F befuhr den Neckar bei km 169 auf seiner linken Flußseite bergwärts, als ihm das Personenboot R und nach diesem mit ca. 300 m Abstand das der Klägerin gehörende leere MS D begegneten. Nach Passieren des PB R Backbord an Backbord zeigte MS F die blaue Seitenflagge und nahm Kurs auf die rechte Seite des Neckars, der dort eine Linkskrümmung aufweist. MS D behielt jedoch mit rd. 10 km/h seinen Kurs bei und gab bei der weiteren Annäherung einen kurzen Typhonton ab. Beide Schiffe stießen darauf Kopf an Kopf zusammen und wurden erheblich beschädigt.
Die Klägerin verlangt Ersatz des Schadens an D von etwa 27 000,- hfl. und behauptet, MS F habe nach ordnungsmäßigem Passieren des PB R nicht plötzlich und ohne Grund sowie auf viel zu kurze Entfernung einen unüblichen Kurs nehmen dürfen. Auch habe die zu spät gezeigte blaue Flagge an einer zu kurzen Stange gehangen und sei nur schwer erkennbar gewesen, deshalb auch nicht erwidert worden. Zum Kurswechsel sei es zu spät gewesen.
Der Beklagte behauptet, daß im Augenblick der Kursweisung die Entfernung beider Schiffe noch ca. 500 m betragen habe. D habe die blaue Flagge zunächst auch gezeigt, sie dann aber gleich wieder eingezogen. Der Rudergänger, ein Matrose, müsse also die an einer hinreichend langen Stange gehißte blaue Flagge rechtzeitig gesehen haben. Die Kollision beruhe nur darauf, daß D die Kursweisung nicht befolgt habe.
Das Schiffahrtsgericht hat den Klagespruch zu 2/5 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Berufung beider Parteien hat das Berufungsgericht die Klage zu 1/4 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Revision wurde nur noch von der Klägerin eingelegt, jedoch kostenpflichtig zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht hat ein für den Unfall ursächliches nautisches Verschulden des Rudergängers des MGS D darin gesehen, daß dieser die Kursweisung des Bergfahrers nicht auf sein Schiff bezogen und ihr aus diesem Grunde nicht Folge geleistet habe, wozu er gemäß § 38 Nr. 1 BSchSO verpflichtet gewesen sei. Der Bergfahrer habe dem Talfahrer auch einen geeigneten Weg freigelassen. Der Talfahrer habe die Kursweisung auf eine Entfernung von ca. 170 bis 180 m gesehen. Der Bergfahrer sei an der rechten Seite des Neckars bereits gestreckt gefahren, als die Entfernung der beiden Schiffe voneinander noch etwa 60 m betragen habe. Hieraus hat das Berufungsgericht den Schluß gezogen, der Bergfahrer habe seinen Kurs nicht zu spät gewechselt und dem Talfahrer noch rechtzeitig den Kurs zur Begegnung an Steuerbord gewiesen. Dieser habe der Weisung auch ohne Gefahr Folge leisten können, zumal der Kurswechsel von der rechten zur linken Fahrwasserseite nur auf eine Strecke von ca. 30 m Breite habe durchgeführt werden müssen. Dieser Abstand sei so kurz, daß er einen Kurswechsel auch dann erlaube, wenn die sich begegnenden Schiffe nur etwa drei Schiffslängen voneinander entfernt seien. MGS D habe nur Backbordruder zu geben brauchen.
Die Tatsache, daß der Bergfahrer in etwa 60 m Entfernung vom Talfahrer in der rechten Fahrwasserseite bereits gestreckt gefahren ist, rechtfertigt die Feststellung im angefochtenen Urteil, daß der Bergfahrer in ausreichender Entfernung vom Talfahrer den Übergang begonnen hat. Dies mußte aber der Talfahrer, der nach seinem eigenen Vortrag die Begegnung zwischen PB R und MGS F beobachtet hat, bei genügender Aufmerksamkeit sehen, selbst wenn er wegen der Flußkrümmung die blaue Seitenflagge in diesem Zeitpunkt vielleicht noch nicht wahrnehmen konnte; er musste sich daher seinerseits auf den Seitenwechsel einstellen. Im übrigen konnte aber der Talfahrer, auch wenn er, wie sein Rudergänger behauptet hat, erst in einer Entfernung von 170 bis 180 m die blaue Seitenflagge wahrgenommen hat, noch rechtzeitig und genügend ausweichen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Talfahrer nicht hart an der rechten Fahrwassergrenze, sondern in etwa 10 bis 12 m Abstand zu dieser gefahren war. Dann brauchte er aber, um dem Bergfahrer gefahrlos zu begegnen, nicht einmal einen Seitenabstand von 30 m, wie das Berufungsgericht meint, zu überwinden.
Entgegen der Auffassung der Revision ist es nicht entschuldbar, wenn der Talfahrer trotz der erkannten Kursweisung zur Begegnung an Steuerbord glaubte, er müsse dem etwa 300 m vor ihm zu Tal fahrenden PB R im Kurs folgen, und meinte, der Bergfahrer werde entgegen seiner Kursweisung den „üblichen Kurs" am linken Ufer fahren. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß es einen „üblichen Kurs" an der Unfallstelle nicht gibt. Die irrige Annahme eines solchen entschuldigt den Talfahrer nicht; er hätte im übrigen der Kursweisung auch dann folgen müssen, wenn die Bergfahrt üblicherweise am linken Ufer fahren würde. Auf die in einer Entfernung von etwa 3 Schiffslängen erkannte Kursweisung gab es für den Talfahrer nur eine Reaktion, nämlich das Ruder nach Backbord zu legen. Dazu bedurfte es für einen Rudergänger mit genügend nautischer Erfahrung keiner Überlegungszeit.
Schließlich kann die Revision auch nicht damit gehört werden, das Berufungsgericht habe die Bewertung des Geschehens¬ablaufs durch die Zeugen des PB R nicht berücksichtigt. Mit den Meinungen von Zeugen, insbesondere mit ihrer Beurteilung der Schuldfrage, braucht sich ein Gericht nicht auseinanderzusetzen.
Die Schuldabwägung des Berufungsgerichts läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Es ist nicht zu beanstanden, daß es die Nichtbefolgung der Kursweisung schwerer bewertet hat als die Nichtabgabe des Schallsignals nach § 38 Nr. 4 BSchSO durch den Bergfahrer.
Der Klageantrag (BI. 1 GA) ist in Verbindung mit dem Hinweis auf § 114 BSchG (Klageschrift S. 4 BI. 4 GA) dahin auszulegen, daß die persönliche Haftung nur im Rahmen des § 114 BSchG begehrt wird. Nur in diesem Rahmen ist auch die Klage dem Grunde nach zu 1/4 gerechtfertigt (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BSchG). Es erschien angezeigt, dies im Urteilsausspruch zum Ausdruck zu bringen. Dem steht § 308 ZPO nicht entgegen, da es sich nur um eine Klarstellung handelt."