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Leitsatz:
Eine Werft kann aufgrund der Schutzwirkung von Schiffsbauverträgen für die durch Verletzung von Sorgfaltspflichten verursachten Schäden haften, die ein Vertreter der bestellenden Reederei, z. B. der zukünftige Kapitän, während der Bauzeit beim Betreten des in Bau befindlichen Schiffes erleidet. Zur Frage des mitwirkenden Verschuldens eines Geschädigten.
Urteil des Bundesgerichtshofes vom 6. März 1972
II ZR 95/70
Oberlandesgericht Schleswig
Zum Tatbestand:
Der mit einer holländischen Werft abgeschlossene Schiffsbauvertrag war im Einverständnis mit der Reederei A. an die Beklagte weitervergeben worden. In dem Vertrag war vorgesehen, daß sich ständig Vertreter der Reederei während der Bauzeit an Bord oder an den einzelnen Fertigungsstellen aufhalten dürften. Der als künftiger Kapitän dieses Schiffes von der Reederei A. vorgesehene und bei ihr tätige Kläger benutzte die zu einer Luke führende Steigleiter, die am unteren Ende fest angebracht, am oberen Ende jedoch nur in die Halterungen eingeklemmt war, weil die Ösen nicht in die Halterungen paßten und erst hergerichtet werden mußten. Als sie nach hinten kippte, stürzte der Kläger ab und erlitt Verletzungen.
Der Kläger verlangt aufgrund der von ihm behaupteten Schutzwirkung des Schiffsbauvertrages zu seinen Gunsten und aus unerlaubter Handlung Schadensersatz, eine monatliche Rente, Schmerzensgeld und die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung für jeden weiteren zukünftigen Schaden mit der Begründung, daß die gerade beim Bau der Leiter beschäftigten Schiffsbauer K. und Schlosser A. die Leiter an ihrem oberen Ende hätten sichern oder ihr Besteigen verhindern müssen.
Die Beklagte bestreitet jede Schutzwirkung des Werftvertrages. Der Kläger habe den Unfall ganz oder überwiegend selbst verschuldet. Die Arbeitskräfte K. und A. seien zuverlässig gewesen und auch ordnungsmäßig überwacht worden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die bezifferten und künftigen Schadensersatzansprüche zu jeweils 1/5, den Schmerzensgeldanspruch in vollem Umfang dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision des Klägers ist dieses Urteil, soweit es zum Nachteil des Klägers ergangen ist und auf die Revision der Beklagten bezüglich der Zuerkennung des ganzen Schmerzensgeldanspruchs aufgehoben und zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Anschlußrevision ist nicht zu folgen, wenn sie meint, daß der Kläger, der das künftig von ihm als Kapitän zu führende Schiff ohne Begleitung während der Bauzeit betreten durfte, dabei ausschließlich auf eigene Gefahr handelte, weil im Vertrag eine Bestimmung fehle, nach der ihm ein besonderer Schutz zugesichert wurde. Dem Vertrag konnte auch ohne ausdrückliche Bestimmung eine vertragliche Pflicht gegenüber den Vertretern der Reederei und damit dem Kläger (§ 328 BGB) entnommen werden, nach Maßgabe der bei einem Schiffsneubau insbesondere während der Arbeitszeit bestehenden Möglichkeiten für seinen Schutz vor Unfällen Sorge zu tragen (vgl. BGHZ 33, 247; Schutzpflicht gegenüber Werksangehörigen des Bestellers). Damit wird der Beklagten nichts Unbilliges oder Unmögliches zugemutet, denn sie ist ohnedies ihren Betriebsangehörigen gegenüber verpflichtet, die Baustelle unter Beachtung der Unfallverhütungsvorschriften so gefahrlos wie möglich zu halten.
Die Möglichkeit, daß die Leiter noch nicht endgültig befestigt war, lag zwar nach Ansicht des Berufungsgerichts „auf der Hand" und wurde für das Mitverschulden des Klägers verwertet. Gleichwohl konnte eine Pflicht der Monteure angenommen werden, einen gefährlichen Zustand der Leiter von vornherein zu verhindern, weil sie von jedem Dritten leicht als bereits begehbar angesehen werden konnte. Das Berufungsgericht hat auch nicht die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der beiden Monteure der Leiter überspannt, wenn es annimmt, einer von ihnen hätte ständig so bei dem nicht erkennbar unfertigen Leiterstück stehen bleiben müssen, daß niemand es benutzen konnte.
Es ist auch nicht rechtlich fehlerhaft, wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, daß nach der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt trotz der erkennbar im Gang befindlichen Arbeiten in der Luke und auch unter den besonderen Umständen des Betretens eines im Bau befindlichen Schiffes eine Sicherung des unfertigen Leiterstücks geboten war. Mit der Anwesenheit von Beauftragten der Reederei wie auch anderer mit der Bauaufsicht befaßter Personen, die „überall im Schiff herumkriechen" (so der Sachverständige), mußten die Monteure, wie das Berufungsgericht feststellt, ständig rechnen.
Auch ein beachtliches Mitverschulden des Klägers am Unfall ist ohne Rechtsfehler vom Berufungsgericht angenommen worden. Zutreffend hat das Berufungsgericht in Betracht gezogen, dem Kläger sei erkennbar gewesen, daß in der Luke gerade gearbeitet und ein weiterer Leiterteil vom Kran eingeschwenkt wurde.
Das Berufungsgericht überspannt auch hier nicht unter Verstoß gegen §§ 276, 254 BGB die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Klägers, der die im Gang befindliche Leitermontage sah und ein Leiterstück hinabstieg, ohne etwa durch Zuruf an die Monteure festzustellen, ob dies gefahrlos möglich war. Dagegen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung des beiderseitigen Verschuldens von der Revision mit Recht unter dem Gesichtspunkt der unvollständigen Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände beanstandet.
Denn für die Bewertung des Verschuldens von A, kann es bedeutsam sein, ob er den nur leicht angeklammerten Leiterteil auch nur kurz aus den Augen ließ und nicht sicherte, obwohl sich an Deck an dieser Luke ein am Schiff nicht Beschäftigter umsah und möglicherweise auch zur Inspektion in die Luke kommen wollte. Die Gefahr war dann besonders groß und die Notwendigkeit einer ständigen Überwachung des noch losen Leiterstücks deutlich, denn jeden Augenblick konnte die bereits am Lukenrand stehende Person sich anschicken, die schon senkrecht stehende Leiter als Zugang zu benutzen. Die Revision verweist auch darauf, daß K. ausgesagt hatte, er habe A., den er auf dem Zwischendeck zurückgelassen hatte, als er zum Abschlagen des eingeschwenkten weiteren Leiterteils nach unten ging, gesagt, er solle Obacht geben, daß keiner die Leiter benutze. Wenn A. eine deutliche Aufforderung, den losen Leiterteil im Auge zu behalten, nicht befolgte, könnte dies der Beklagten besonders zur Last fallen, da es ersichtlich macht, daß mit der Benutzung des gefährlichen Leiterteils tatsächlich gerechnet wurde, dieser Teil aber trotzdem nicht gesichert oder beobachtet wurde. Das Berufungsgericht wird daher auch diesen Teil des Beweisergebnisses würdigen müssen. Hiernach bedarf es zur Frage der Abwägung des Verschuldens und Mitverschuldens weiterer tatsächlicher Erörterungen und einer Entscheidung, ob dem Kläger Ersatz von mehr als ein Fünftel des Schadens zugebilligt werden kann.
Das Berufungsgericht hat auch den Schmerzensgeldanspruch des Klägers dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Jedoch hat es, wie die Anschlußrevision mit Recht rügt, nicht erörtert, ob die Voraussetzungen für diesen nur unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung (§§ 823 ff, 847 BGB) in Betracht kommenden Anspruch gegeben sind. Insbesondere hat es nicht erörtert, ob der von der Beklagten angetretene Entlastungsbeweis eingreift, der ihr gemäß § 831 BGB gegenüber dem Anspruch aus unerlaubter Handlung offensteht.