Banque de données de juriprudence
Leitsätze:
1) Ein Bergfahrer muß auf eine Querfahrt Rücksicht nehmen, auch wenn es sich hierbei um ein unzulässiges Manöver handelt.
2) Die zwingend vorgeschriebenen Zeichen für die aus einem Hafen ausfahrenden Schiffe (§ 50 Nr. 2 RheinSchPVO) ermöglichen - im Gegensatz zu der neuen Regelung des § 6.16 Nr. 2 RheinSchPVO - nur die Ankündigung, daß „anschließend" der Kurs entweder nach Steuerbord oder nach Backbord gerichtet werde, beinhalten dagegen nicht die Ankündigung einer Querfahrt.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 1. Mai 1971
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das dem Beklagten zu 1 gehörende und von ihm geführte, bei der Klägerin gegen Ladungsschäden versicherte MS W wollte nach dem Passieren der Hafenausfahrt Rheinhausen den Strom überqueren und sodann talwärts zum rechtsrheinischen Duisburger Außenhafen fahren. Dabei kollidierte es mit dem der Beklagten zu 2 gehörenden, vom Beklagten zu 3 geführten MS S, das sich beladen auf Bergfahrt befand und infolge des Zusammenstoßes sank. Der Beklagte zu 1 ist rechtskräftig auf Antrag der Klägerin
zur Zahlung von ca. 32 000 DM (gesamter Ladungsschaden ca. 64 000-- DM) verurteilt worden. Die Klägerin nimmt nunmehr die Beklagten zu 2 und 3 wegen weiterer ca. 32000,- DM in Anspruch mit der Behauptung, daß der Beklagte zu 3 die - wenn auch unzulässige - Querfahrt von MS W nicht durch eine Geschwindigkeitsherabsetzung unterstützt und den Kurs seines linksrheinisch fahrenden Schiffes fälschlich nach Backbord geändert habe. Die Beklagten erklären, daß MS S sofort nach Beginn des unzulässigen Manövers des MS W ein Achtungszeichen gegeben, alsdann abgestoppt und anschließend zurückgeschlagen habe.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage gegen die Beklagten 2 und 3 abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Klage jedoch dem Grunde nach zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt. Die Revision dieser Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Im einzelnen hat das Berufungsgericht ausgeführt: MS S habe den üblichen, linksrheinisch verlaufenden Kurs der Bergfahrt eingehalten. Seine Geschwindigkeit habe etwa 5 km/st betragen. Das Schiff sei noch mindestens 200 m unterhalb der bei km 773,950 anzunehmenden Zusammenstoßstelle gefahren, als MS W - ohne vorherige Abgabe eines Ausfahrtzeichens - den Hafen verlassen habe. Die Ausfahrt sei mehr oberhalb als in der Mitte der Mündungslinie (km 773,550-780) erfolgt. Sie habe den Bergfahrer zu einer Kursänderung nach Backbord veranlaßt. Als für ihn die Querfahrtabsicht des MS W klar erkennbar gewesen sei, habe sein Abstand zum Kollisionsort noch rund 110 m betragen. Hätte er nunmehr, anstatt auf Kollisionskurs zu bleiben, den Kurs geringfügig nach Steuerbord geändert oder wenigstens den Vorausgang aus seinem Fahrzeug genommen, so wäre es nicht zu dem Zusammenstoß gekommen. Wegen dieses pflichtwidrigen Verhaltens der Beklagten zu 3 hätten die Beklagten 1/3 des Schadens der Ladungsinteressenten des MS W zu tragen, so daß der auf Ersatz des hälftigen Schadens dieser Interessenten gerichtete Klageanspruch dem Grunde nach zu 2/3 gerechtfertigt, im übrigen unbegründet sei.
Die Revision vermag jedoch keinen entscheidungserheblichen Rechtsfehler des Berufungsgerichts aufzuzeigen. Wenn die Revision auf Grund von Berechnungen meint, MS W müsse nach dem Passieren des Hafenmundes sofort mit dem Vorschiff nach Backbord gedreht worden und sodann schräg im Strom liegend zu Tal gefahren sein, das Schiff könne mithin keine Querfahrt ausgeführt haben, so handelt es sich insoweit um neues, nach § 561 Abs. 1 ZPO vom Revisionsgericht nicht zu beachtendes tatsächliches Vorbringen.
Davon abgesehen, berücksichtigt die Revision bei ihren Berechnungen nicht hinreichend, daß die Strömungsgeschwindigkeit höher, die Eigengeschwindigkeit des MS W niedriger als die von ihr angenommenen Werte gewesen sein können, und daß außerdem die Anfahrung des 52 m langen, nahezu zwerch im Strom gelegenen Schiffes nicht an dessen Bug, sondern 8 m vor dem Ruderhaus erfolgt ist. Übrigens haben auch die Beklagten in den Vorinstanzen stets vorgetragen, daß MS W eine unzulässige Querfahrt ausgeführt habe (Schrifts. v. 6. Februar 1968 BI. 2/3; v. 17. April 1968 BI. 3/5; v. 7. Januar 1969 BI. 6/7).
Die Revision stellt nicht in Abrede, daß der Bergfahrer auf eine Querfahrt des MS W Rücksicht nehmen mußte, und zwar nach der Vorschrift des § 4 RheinSchPVO 1954 auch dann, wenn es sich, wie das Berufungsgericht annimmt, um ein unzulässiges Manöver gehandelt haben sollte. Sie meint jedoch unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom 9. Mai 1968 - 11 ZR 60/66 (VersR 1968, 747), MS S habe entgegen den Erwägungen des Berufungsgerichts n u r damit rechnen müssen, daß MS W den Kurs nach der Hafenausfahrt entweder nach Backbord oder nach Steuerbord richten werde; es sei deshalb nautisch richtig gewesen, wenn der Bergfahrer mit Backbordkurs zum rechten Ufer hin abgegangen sei und dadurch mehr Platz für, das von der linken Uferseite kommende MS W geschaffen habe. Diese Auffassung übersieht, daß das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten nicht auf die Erwägung gegründet hat, der Beklagte zu 3 habe auch mit einer Querfahrt des MS W rechnen und sich darauf einstellen müssen. Vielmehr macht das Berufungsgericht dem Beklagten zu 3 allein zum Vorwurf, er habe die klar erkennbare Querfahrt des MS W entweder übersehen oder nicht beachtet und deshalb keine Maßnahmen getroffen, welche die Kollision hätten verhindern können. Im Streitfall kann deshalb offen bleiben, ob, wie das Berufungsgericht im Rahmen einer Hilfserwägung ausgeführt hat, die durchgehende Schiffahrt jedenfalls dann mit der Querfahrt eines Ausfahrenden rechnen müsse, wenn sie kein Ausfahrtzeichen gehört habe. Im Hinblick auf die Darlegungen des Berufungsgerichts und der Revision zu diesem Punkte erscheint allerdings folgende klarstellende Bemerkung zu den Ausführungen des Senats in dem Urteil vom 9. Mai 1968 angebracht:
Der Sachverhalt, über den der Senat in diesem Urteil zu entscheiden hatte, war durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß die Hafenausfahrt durch eine Signaleinrichtung geregelt, die Abgabe von Ausfahrtzeichen mithin z w i n g e n d vorgeschrieben war (§ 50 Nr. 2 RheinSchPVO 1954). Die Zeichen ermöglichten dem Ausfahrenden - im Gegensatz zu der nunmehr in § 6.16 Nr. 2 RheinSchPVO 1970 enthaltene Regelung - aber nur die Ankündigung, daß er „anschließend" den Kurs entweder nach Steuerbord oder nach Backbord richten werde. Hingegen gestatteten sie ihm nicht, eine Querfahrt anzukündigen. Auch wäre eine solche im unmittelbaren Anschluß an die Ausfahrt wegen der ein anderes Manöver ankündigenden Schallzeichen nach § 50 Nr. 2 RheinSchPVO 1954 nicht zulässig gewesen. Wegen dieser besonderen Umstände ist in dem Urteil ausgesprochen, daß der damalige Beklagte, der sich auf Talfahrt befunden und keines der nach § 50 Nr. 2 RheinSchPVO 1954 vorgeschriebenen Schallzeichen gehört hatte, nur davon habe ausgehen können, der Ausfahrende werde den Kurs im Anschluß an die Ausfahrt entweder nach Steuerbord oder nach Backbord richten. Mehr läßt sich diesem Urteil nicht entnehmen.