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II ZR 8/70 - Bundesgerichtshof (-)
Date du jugement: 29.11.1971
Numéro de référence: II ZR 8/70
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: -

Leitsatz:

Jollenkreuzer sind Schiffe im Sinne des Binnenschifffahrtsgesetzes. Führt der Schiffer ein Schiff nur aus Gefälligkeit und fügt er hierbei einem Dritten schuldhaft Schaden zu, so ist der Schiffseigner für diesen Schaden in entsprechender Anwendung der §§ 3, 4, 114 BinnSchG verantwortlich.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 29. November 1971

(Landgericht Berlin; Kammergericht Berlin)

Zum Tatbestand:

Der der Beklagten gehörende und von ihrem Bekannten B. gesegelte Jollenkreuzer (Segelfläche 20 qm) stieß auf der Havel mit dem bei der Klägerin kaskoversicherten Segelboot „S 9" zusammen, dessen Reparatur ca. 3800,-DM kostete. Die Klägerin, die an den Eigner von „S 9" 3600,- DM gezahlt hat, verlangt Ersatz dieses Betrages von der Beklagten, da letztere für das schuldhafte Verhalten des B. einzustehen habe (der bereits rechtskräftig zur Zahlung der genannten Summe verurteilt ist).
Die Beklagte verweigert die Zahlung. Es liege kein Verschulden des B. vor. Außerdem habe B. den Jollenkreuzer nur aus Gefälligkeit gesegelt.

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist die Beklagte antragsgemäß verurteilt worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Binnenschifffahrtsgesetz besagt nichts darüber, was unter einem Schiff im Sinne dieses Gesetzes zu verstehen ist. Hingegen ist in der Begründung zu dem Gesetzentwurf bemerkt, „dahin seien alle Fahrzeuge zu rechnen, welche zur Schifffahrt verwendet und nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als Schiffe bezeichnet zu werden pflegen"; unter das Gesetz fielen daher nicht „gewöhnliche Boote, Nachen, Gondeln und ähnliche kleine Fahrzeuge, welche zu Lustfahrten oder zum übersetzen von Personen benutzt zu werden pflegen" (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags 9. Legislaturperiode III. Session 1894/95 Erster Anlagenband S. 312).

Rechtsprechung und Schrifttum haben bei der Erörterung dieser Frage entscheidend auf die Fahrzeuggröße abgehoben und als Schiff im Sinne des Binnenschifffahrtsgesetzes stets nur solche Fahrzeuge betrachtet, die eine „nicht ganz unbedeutende" Größe besitzen (BGHZ 3, 34, 43; BGH LM (Nr. 3) § 4 BinnSchG; Vortisch/Zschucke, Binnenschifffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. Anm. 2 f und 5 b zu § 1 BinnSchG; Wassermeyer, Der Kollisionsprozess in der Binnenschifffahrt 4. Aufl. S. 50/51; vgl. auch Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht Bd. 1 S. 228 und Schlegelberger/ Liesecke, Seehandelsrecht S. 5/6). Daran ist festzuhalten.

Jollenkreuzer sind etwa zwischen 6 und 8 m lang und besitzen eine Segelfläche von rund 20 qm und darüber (vgl. hierzu die Angaben bei Westphal, Lexikon der Seefahrt, über die Abmessungen bekannter Jollen- und Kreuzerklassen). Ob derartige Fahrzeuge eine nicht ganz unbedeutende Größe haben, kann zweifelhaft sein. Allerdings hat der Senat bereits für ein 8 m langes und mit einem 55 PS-Motor ausgestattetes Proviantboot entschieden, dass dieses als Schiff im Sinne des § 1 BinnSchG anzusehen ist (BGH VersR 1960, 305, 307). Er bejaht die Frage auch für Jollenkreuzer. Dafür ist entscheidend:


Bei der Schaffung des Binnenschifffahrtsgesetzes wurde von der Einführung einer Gefährdungshaftung des Schiffseigners abgesehen. Der Grund hierfür lag neben wirtschaftlichen Erwägungen in erster Linie darin, dass der Eigentümer eines Binnenschiffes dem Reeder eines Seeschiffes gleich behandelt werden sollte, das Seerecht aber eine Gefährdungshaftung nicht kennt. Jedoch erschien es dem Gesetzgeber angemessen, den Schiffseigner - entsprechend der für den Reeder geltenden Vorschrift des § 485 Satz 1 HGB - für den Schaden verantwortlich zu machen, welchen eine Person der Schiffsbesatzung einem Dritten durch ihr Verschulden in Ausführung ihrer Dienstverrichtungen zufügt. Dabei ging er in erster Linie von der Überlegung aus, dass der Betrieb eines Schiffes in besonderem Maße geeignet sei, eine Gefährdung dritter Personen oder ihres Eigentums herbeizuführen (Stenographische Berichte a.a.O. S. 313). Das ist naturgemäß bei „gewöhnlichen Booten, Nachen, Gondeln und ähnlichen kleinen Fahrzeugen, welche zu Lustfahrten oder zum Übersetzen von Personen benutzt zu werden pflegen" nicht der Fall, wenn sie, wie es bei Erlass des Binnenschifffahrtsgesetzes im Jahre 1895 üblich war, mit Muskelkraft fortbewegt werden. Anders verhält es sich hingegen mit solchen Kleinfahrzeugen, die bestimmungsgemäß durch andere Kräfte (Motor, Wind) angetrieben werden und die dadurch eine nicht unerheblich größere Geschwindigkeit erreichen können. Diese sind daher nach dem Grundgedanken des § 3 BinnSchG und mit Rücksicht auf den engen Zusammenhang zwischen dieser Bestimmung und § 1 des Gesetzes jedenfalls als Schiffe anzusehen, wenn sie, wie hier, ihrer Größe nach im Grenzbereich zwischen „Schiff und „Boot" liegen.

Dass derartige Kraftboote den Schiffen im Sinne des Binnenschifffahrtsgesetzes zuzurechnen sind, stimmt im übrigen mit dem derzeit dem Bundestag zur Beratung vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. März 1960 zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen sowie zur Änderung des Binnenschifffahrtsgesetzes und des Flößereigesetzes (Drucksache VI/2432) überein, dessen Art. 2 Nr. 3 klarstellt, dass diese Regeln auch auf Kleinfahrzeuge anzuwenden sind. Ferner soll nach dem Entwurf eines Übereinkommens über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Binnenschiffen (CLN) der Wirtschaftskommission für Europa (ECE) vom 29. Oktober 1970 die Möglichkeit, bestimmte Haftungsbeschränkungen geltend zu machen, nicht „auf große Binnenschiffe eingeengt" werden, sondern auch „kleinen Schiffen" und „Sportbooten" zustehen, wobei für diese haftungsmäßig bestimmte Mindestbeträge gelten sollen.

Abschließend ist zu diesem Punkt noch zu bemerken, dass der Umstand einer nicht gewerblichen Nutzung der Jollenkreuzer ohne Bedeutung für eine Anwendung der Vorschriften des Binnenschifffahrtsgesetzes auf diese Fahrzeuge ist. Denn dieses Gesetz gilt auch für Schiffe, die zu Sport- oder Vergnügungszwecken bestimmt sind (BGHZ 3, 34, 43).

§ 3 BinnSchG kommt unmittelbar nur zum Zuge, wenn ein Dienstverhältnis zwischen dem Schiffseigner und dem schuldhaft handelnden Besatzungsmitglied besteht (BGHZ 3, 34, 39; vgl. auch Stenographische Berichte a.a.O. S. 313). Nun ist aber in BGHZ 3, 34, 40 bereits ausgeführt, dass die Haftungsbestimmungen der §§ 3, 4, 114 BinnSchG entsprechend anzuwenden sind, wenn die Gleichheit der Interessenlage es gebietet, den Geschädigten einen gleichartigen Schutz zu gewähren.
 
So liegt der Fall hier. Wie oben dargelegt, wurde die Verantwortlichkeit des Schiffseigners für bestimmte Handlungen der Schiffsbesatzung eingeführt, weil das zum Schutze Dritter wegen der mit dem Betrieb eines Schiffes verbundenen besonderen Gefahren geboten erschien. Diese Gefahren und das dadurch begründete Schutzbedürfnis Dritter bestehen unabhängig davon, ob, wie es die Regel ist, ein Dienstverhältnis zwischen dem Schiffseigner und dem Schiffer vorliegt oder ob jemand das Schiff aus Gefälligkeit gegenüber dem Schiffseigner führt. Dann ist es aber nicht gerechtfertigt, den Schiffseigner je nach seinen Beziehungen zu dem Schiffsführer haftungsmäßig unterschiedlich zu behandeln, zumal er in allen Fällen dem Schiffer die Führung des Schiffes überlassen und erst dadurch die Fahrt des Schiffes und das Auftreten der damit für andere verbundenen Gefahren ermöglicht hat.