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Leitsatz:
Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht für einen Hafen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 12. Juni 1978
II ZR 78/76
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim, Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das der Klägerin gehörende, auf 2,37 m abgeladene MS N fuhr am 29. B. 1972 zum Löschen über Steuer in das Mittelbecken des Karlsruher Hafens, wobei in dem etwa 4 m tiefen Hafenwasser der Reifen eines Metallfasses in die Schiffsschraube geriet und sie beschädigte.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz in Höhe von etwa 27 750,- DM, weil die beklagte Stadt infolge ungenügender Uberprüfung der Hafensohle das Faß nicht rechtzeitig entdeckt und entfernt habe.
Die Beklagte behauptet, die Hafensohle turnusmäßig zweimal jährlich mit der Schleppkette absuchen zu lassen, letztmals mit gebotener Sorgfalt vor dem Unfall am 10. 4. 1972. Das Faß müsse nach diesem Tage ins Hafenwasser gelangt sein oder habe am Untersuchungstage unentdeckbar im losen Schlamm der Hafensohle gelegen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die zugelassene Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
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Es kann offenbleiben, ob zwischen den Parteien, wie die Revision meint, ein privatrechtliches Vertragsverhältnis über die Benutzung der Karlsruher Rhein-Häfen durch das MS N der Klägerin bestanden hat. Ein solches Verhältnis hätte ohne besondere Absprache keine weitergehenden Pflichten der Beklagten für die Sicherheit des MS N beim Befahren der Häfen begründet, als sie dieser bereits auf Grund ihrer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht obgelegen haben. Auch stünde die Klägerin, wie noch unten unter Ziffer 3 näher dargelegt wird, in einem solchen Falle beweismäßig nicht besser als hinsichtlich des Anspruchs wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
Es ist Sache des Tatrichters, im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände festzustellen, ob und in welchen Zeitabständen der für einen Hafen Verkehrssicherungspflichtige die Hafensohle nach unbekannten, dem Schiffsverkehr gefährlichen Gegenständen abzusuchen hat und welche Mittel er hierfür einsetzen muß (vgl. Senatsurt. v. 13. 10. 1969 - II ZR 79/68, VersR 1969, 1132, 1133). Im Streitfall ist das Berufungsgericht auf Grund der Auskunft des Wasser- und Schiffahrtsamts Mannheim vom 8. August 1974, ferner anhand der Empfehlung des Technischen Ausschusses Binnenhäfen über die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht (Fahrwasser) in Binnenhäfen idF vom 13. März 1975 und weiter nach der tatsächlichen Handhabung der Sohlenüberprüfung in den Rheinhäfen Basel, Kehl, Mannheim, Mainz, Köln, Neuss, Düsseldorf und Duisburg-Ruhrort zu der Feststellung gekommen, daß ein jährlich zweimaliges Absuchen der Sohle nach unbekannt gebliebenen Gegenständen zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht genüge und die Schleppkette das hierfür am besten geeignete Mittel sei.
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Zwar trifft es zu, daß die Verwaltungen der Häfen Köln und Düsseldorf - nach einer jeweils von ihnen erteilten Auskunft - für das turnusmäßige Absuchen der Hafensohle neben oder anstelle der Schleppkette andere Mittel (Echolot, Echograph, Peilstangen, kleine Spezialanker) verwenden. Die genannten Mittel sind aber, wie das Berufungsgericht der Auskunft des Wasser- und Schiffahrtsamts Mannheim vom 8. August 1974 ohne weiteres entnehmen konnte, für ein solches Absuchen erheblich weniger geeignet als die - von zwei auf gleicher Höhe mit Parallelkurs und gleicher Geschwindigkeit fahrenden Schiffen - geschleppte Kette. Daß es ein noch besseres Mittel zum Absuchen der Hafensohle gibt, hat überdies auch die Klägerin nicht behaupten können.
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Zuzugeben ist der Revision hingegen, daß beim Einsatz der Schleppkette - insbesondere wegen der Breite des an der Kaimauer entlangfahrenden Schleppschiffes und der notwendigen Befestigung der Kette an dessen der Kaimauer abgewendeten Seite - ein etwa 5 bis 6 m breiter Streifen neben der letzteren nicht überprüft wird.
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Indes ist das für den Klageanspruch ohne Bedeutung, weil das Metallfaß etwa 20 m seitlich der Kaimauer und damit in einem Bereich gelegen hat, den die Beklagte am 10. April 1972 mit der Schleppkette überprüft hat.
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Grundsätzlich hat der Geschädigte, der von einem Dritten Schadensersatz verlangt, darzutun und zu beweisen, daß dieser den Schaden schuldhaft verursacht hat. Das gilt unabhängig davon, ob der Geschädigte den Anspruch auf die Verletzung vertraglicher Pflichten oder auf einen Verstoß gegen die §§ 823 ff BGB stützt. Nun ist es allerdings in der Rechtsprechung - jedenfalls bei bestimmten Vertragsarten - seit langem anerkannt, daß sich bei Ansprüchen wegen positiver Forderungsverletzung der Verletzer entlasten muß, wenn sich aus der Sachlage zunächst der Schluß rechtfertigt, daß er die ihm obliegende Sorgfaltspflichtverletzt habe, und wenn die Schadensursache aus einem Gefahrenkreis hervorgegangen ist, für den er verantwortlich ist (BGH, Urt. v. 19. 10. 1977 - II ZR 122/75, VersR 1978, 85, 87; vgl. auch Senatsurt. v. B. 5. 1958 - II ZR 304/56, Anmerkung der Redaktion: s. auch ZfB 1958, S. 374, BGHZ 27, 236, 238). Jedoch kommt diese Rechtsprechung der Klägerin nicht zugute, selbst wenn man zu ihren Gunsten annimmt, daß sie zu der Beklagten in einem vertraglichen Benutzungsverhältnis gestanden hat oder daß die „Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen" auch bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht eingreift. Mit ihrer gegenteiligen Ansicht übersieht die Revision, daß im Streitfall die Sachlage zunächst nicht den Schluß rechtfertigt, die Beklagte bzw. ihre Leute hätten beim Absuchen der Sohle des Mittelbeckens am 10. April 1972 nicht mit der notwendigen Sorgfalt gehandelt, d. h. einen objektiven Pflichtverstoß begangen. Insbesondere ergibt sich eine solche Folgerung nicht aus dem - für den Revisionsrechtszug zu unterstellenden - Umstand, daß sich das Metallfaß bereits zum Zeitpunkt der letzten Überprüfung vor der Havarie des MS „Navex 18" in dem Mittelbecken befunden hat. Denn das allein kann noch keine objektive Pflichtverletzung der Beklagten bzw. ihrer Leute begründen. Vielmehr wäre insoweit außerdem erforderlich, daß das Faß zu jenem Zeitpunkt eine Lage innehatte, die sein Auffinden beim Absuchen mit der Schleppkette ermöglicht hätte. Hierfür gibt die Sachlage aber nichts her. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichtes ist es durchaus möglich - und das geht zu Lasten der jedenfalls für einen objektiven Pflichtverstoß beweispflichtigen Klägerin -, daß das Faß während der Überprüfung am 10. April 1972 so im Schlamm des Hafengrundes gesteckt hat, daß die Schleppkette ohne Widerstand über dessen runde Außenseite hinweggleiten konnte.
...“