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Leitsatz:
Zum Anscheinsbeweis, wenn ein in Bewegung befindliches Schiff einen nicht ordnungsgemäß gesicherten Stillieger anfährt.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 1. Februar 1982
II ZR 77/81
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Der Schubleichter „E" der Klägerin war in einem Päckchen mit 3 weiteren Schubleichtern auf dem Schubleichterliegeplatz bei Orsoy abgelegt worden. Nachdem das Hafenschubboot „T" der Streithelferin die 3 anderen Schubleichter vormittags zum Hafen Schwelgern verbracht hatte, verblieb „E" auf dem Liegeplatz, wo er mit dem Buganker - ohne Setzen des Heckankers - gesichert wurde. Gegen 22.00 Uhr des gleichen Tages kam ein Schubverband, 175 m lang und bestehend aus dem der Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten Schubboot „VM" sowie 4 auf 2,20 m abgeladenen Schubleichtern, zu Tal. Nachdem der Verband steuerbords von einem Motorschiff überholt worden war und deshalb etwas nach Backbord gehalten hatte, stieß der vordere Backbordleichter des Verbandes gegen den Kopf des „E", wodurch beide Fahrzeuge beschädigt wurden.
Die Klägerin verlangt Ersatz des Kollisionsschadens in Höhe von über 82000 hfl, weil der Schubverband zu weit nach Backbord gefahren sei.
Die Beklagten behaupten, daß ihr Schubverband den Leichter der Klägerin mit einem Seitenabstand von 30 bis 40 m habe passieren können, wenn der Leichter nicht plötzlich mit dem Vorschiff in den Kurs des Schubverbandes ausgeschert wäre, als letzterer sich nur noch 80 bis 100 m oberhalb befunden habe. Trotz Versuches habe der Beklagte zu 2 den Zusammenstoß nicht mehr vermeiden können.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Klage abgewiesen. Auf Revision der Klägerin ist das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...Gerät ein in Bewegung befindliches Schiff gegen ein stilliegendes Fahrzeug, so verspricht regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß die Führung des anrennenden Schiffes die Kollission verschuldet hat (Senatsurt. v. 21. März 1957 - II ZR 326/55, VersR 1957, 312, 313). Voraussetzung hierfür ist allerdings weiter, daß das angefahrene Schiff an geeigneter Stelle gelegen hat (BGH, Urt. v. 20. Juni 1952 - 1 ZR 22/52, LM § 735 HGB Nr. 4) und daß die Führung des anrennenden Fahrzeugs es rechtzeitig erkennen konnte, um danach Kurs und Geschwindigkeit einrichten zu können (Senatsuri. v. 30. Juni 1960 - II ZR 259/581), VersR 1960,897,899; vgl. zu allem auch Mittelstein, Das Recht der Binnenschiffahrt S. 374/375; Vortisch/Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. BSchG § 92 Anm. 8 d; Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt 4. Aufl. S. 107/108; Schaps/Abraham, Seerecht 4. Aufl. Seehandelsrecht 2. Teil § 735 Rnr. 78 f). Beispielsweise streitet deshalb kein Anscheinsbeweis für den angefahrenen Stillieger, wenn er nicht vorschriftsmäßig beleuchtet gewesen ist (Senatsurt. v. 24. Februar 1966 - II ZR 25/642), LM RheinschiffahrtspolizeiVO v. 24.12.1954 Nr. 31/32 = VersR 1966, 466, und Senatsurt. v. 24. Februar 1966-11 ZR 29/64, VersR 1966, 484).
Im Streitfall hat, wie dem angefochtenen Urteil zu entnehmen ist, SL „E" bei guten Sichtverhältnissen an geeigneter Stelle und mit ordnungsgemäßer Beleuchtung geankert. Trotzdem ist das Berufungsgericht der Ansicht, daß kein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Beklagten zu 2 an dem Zusammenstoß spreche. Der Leichter sei infolge des nicht gesetzten Heckankers nicht ausreichend gesichert gewesen.
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Insoweit ist es richtig, daß beim Anfahren eines nicht ordnungsgemäß befestigten Stilliegers das Bestehen eines Anscheinsbeweises für ein Verschulden der Führung des anrennenden Schiffes zu verneinen sein kann. Das läßt sich jedoch - wie stets beim Anscheinsbeweis - nur nach den konkreten Umständen des jeweiligen Falles beurteilen. Diese begründen hier trotz der vom Berufungsgericht angenommenen nicht ordnungsgemäßen Befestigung des SL„E" den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Beklagten zu 2.
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Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die Kette des Bugankers des SL „E" auf 40 m gesteckt war. Es ist den Ausführungen des Sachverständigen B. gefolgt, daß in diesem Falle der' Leichter nicht so hat gieren können, daß er in den Kurs des Schubverbandes gelangen konnte. Deshalb stellt sich hier die Frage nach dem Bestehen eines Anscheinsbeweises dahin, ob die Führung eines Schiffes, die mit ihrem Fahrzeug einen Stillieger anfährt, nach allgemeiner Erfahrung ein Verschulden an dem Unfall trifft, wenn dieser zwar nicht ausreichend gesichert, jedoch jedenfalls so befestigt war, daß er in den Kurs des anrennenden Schiffes nicht hat gelangen können. Das ist zu bejahen. Der Fall liegt praktisch nicht anders als die Anfahrung eines in jeder Hinsicht genügend gesicherten Fahrzeugs.
Es wäre deshalb die Sache der Beklagten gewesen, den für ein Verschulden des Beklagten zu 2 an dem Zusammenstoß zwischen den von ihm geführten Schubverband und dem stillliegenden SL „E" sprechenden Anscheinsbeweis auszuräumen. Das ist ihnen, wie sich den weiteren - wenn auch in einem anderen Zusammenhang getroffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts entnehmen läßt, nicht gelungen. So hat das Berufungsgericht ausgeschlossen, daß Sog oder Druck des dem Schubverband vorausfahrenden Motorschiffes den Schubleichter bergwärts versetzen und zum Ausgieren bringen konnten. Ferner hat es ausgeführt, daß es zur Unfallzeit nicht besonders windig gewesen sei und nach dem Verklarungsverfahren keine Hinweise auf die Anwesenheit weiterer in Fahrt befindlicher Schiffe (die also möglicherweise Druck oder Sog auf SL „E" hätten ausüben können) im Unfallrevier vorliegen würden. Weiter hat es die Angaben der im Verklarungsverfahren zu dem Liegeplatz des Schubleichters vernommenen Zeugen für glaubhaft angesehen, von denen der auf dem Wachschiff tätige Schiffsführer K. ausgesagt hat, daß SL„E' den ganzen Nachmittag und Abend ruhig hinter seinem Buganker gelegen habe. Außerdem hat sich die Liegestelle des Leichters nach dem angefochtenen Urteil bei Stromkilometer 791,9 und damit - ausweislich der Stromkarte - am unteren Ende einer Linkskrümmung des Rheins befunden. Dort geht die Strömung erfahrungsgemäß zum linken Ufer, so daß jedenfalls kein Anhalt für ein stärkeres Versetzen des SL„E` zum Fahrwasser hin durch den Einfluß der Strömung gegeben ist. Auch hat das Berufungsgericht aus den beiderseitigen Kollisionsschäden keine sichere Feststellung über den Anfahrungswinkel treffen können. Schließlich hat es die Angaben des Beklagten zu 2 und des Maschinisten H. von SB „VM" im Verklarungsverfahren, mit denen sie den Unfallhergang so wie später beide Beklagten im Rechtsstreit dargestellt haben, nicht für so überzeugend angesehen, daß damit die Möglichkeit eines anderen, nicht auf ein Verschulden des Beklagten zu 2 hindeutenden Geschehensablauf ernsthaft nahegelegt wäre.
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