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Leitsatz:
Zur Frage des auffälligen Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung beim Erwerb eines Schiffsanteiles.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 10. Dezember 1959
II ZR 62/58
Zum Tatbestand:
Die Beklagten B und C waren zu je 1/2 Miteigentümer des im Jahre 1889 erbauten Kahnes D. Zwecks Motorisierung des Kahnes erhielten sie von der Fa. E, deren Gläubiger, wirtschaftlich gesehen, der Kläger A ist, ein zinsloses Darlehen von 70000,- DM, das in zehn Jahresraten von je 7000,- DM zurückzuzahlen war.
Nach dem Umbau des Kahnes verkauften die Beklagten an den Kläger einen Miteigentumsteil von 4/10 an dem Motorschiff zum zinslosen Kaufpreis von 70000,- DM, der in 10 Jahresraten von je 7000,- DM gezahlt werden sollte. In dem notariellen Vertrag wurde u. a. vereinbart, daß der Kläger von seinem Anteil (400/0) am jeweils festgestellten Nettoverdienst einen Betrag von 7000,- DM nicht ausgehändigt erhalten und dieser Betrag als jährliche Abzahlung gelten solle. Die darüber hinausgehende Differenz bis zur vollen Höhe des Nettoverdienstes müsse dagegen ausbezahlt werden.
Die hypothekarischen Belastungen des Schiffes sollten nur von den Beklagten getragen werden. Die Verwaltung des Schiffes wurde allen drei Miteigentümern übertragen; für jedes Geschäft war die Zustimmung aller Miteigentümer erforderlich.
Der Kläger verlangt mit der Klage seine über den einzubehaltenden Betrag von 7000,- DM hinaus zustehende Gewinnbeteiligung für das Jahr 1954. Die Beklagten verweigern die Zahlung, weil der Kaufvertrag sittenwidrig und wegen Wuchers nichtig sei.
Der Klage wurde in vollem Umfang stattgegeben. Berufung und Revision der Beklagten blieben erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger hat ein zinsloses Darlehen gegeben, das die Beklagten in zehn gleichen Jahresraten zurückzahlen müssen. Der Klüger schuldet für den Erwerb der Beteiligung einen Kaufpreis, der ebenfalls zinslos ist und in zehn gleich hohen Jahresraten bezahlt werden muß. Wenn man die verschiedenen Termine für die Ratenzahlungen außer acht läßt, so heben sich die gegenseitigen Ratenzahlungen auf. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus hat demnach der Kläger das Beteiligungsverhältnis dadurch erlangt, daß er 70000,-DM endgültig hingegeben hat. Es ist daher zu fragen, ob der Betrag von 70000,- DM in einem auffälligen Mißverhältnis zu dem Wert des Beteiligungsverhältnisses steht. Der Wert des Beteiligungsverhältnisses hängt zunächst von dem Wert des umgebauten Schiffes ab. Die Parteien sind bei der Berechnung des 4/10 -Anteils des Klägers von den reinen Umbaukosten des Schiffes mit rund 180000,¬DM ausgegangen. Den Beklagten ist zuzugeben, daß dies nicht der volle Wert des Schiffes ist, da der Wert des für den Umbau geeigneten Kahnes nicht außer acht gelassen werden kann. Die Beklagten haben diesen Wert mit 85000,- DM angegeben und kommen zu einem Wert des Schiffes von 250000,- DM bis 270000,- DM. 4/io des Wertes des umgebauten Schiffes sind also 108000,- DM. Der Kläger hat dann nur rund dieses Wertes bezahlt.
Unrichtig ist die Meinung der Beklagten, wenn sie zusätzlich zu diesem Ergebnis noch berücksichtigt wissen wollen, daß sie nach dem Vertrag vom 8. April 1954 die Tilgung und Verzinsung der auf dem Schiff ruhenden Hypotheken allein zu tragen hätten. Denn der unterstellte Schiffswert von 270000,- DM stellt den Wert des unbelasteten Schiffes und der 4/1o-Anteil von 108000,- DM den Wert des unbelasteten Anteils dar. Auch die Gewinnbeteiligung von 40°/o für den Kläger kann nicht zu Lasten des Klägers besonders berücksichtigt werden, da sie die natürliche Folge aus dem Erwerb des 4/10 -Miteigentumsanteils ist (§ 743 BGB). Die Betriebskosten des Schiffes einschließlich der Steuern und Versicherungsprämien sind anteilsmäßig verteilt, so daß sich auch aus dieser Regelung nichts Weiteres zugunsten der Beklagten ergibt.
Die Vertragsbestimmung, daß die jährlichen Kaufpreisraten des Klägers von 7000,- DM aus dessen Gewinnbeteiligung zu decken sind, belastet die Beklagten nicht, da der Kläger die Kaufpreisteilbeträge auch dann zu zahlen hat, wenn kein Gewinn erzielt wird. Es kommt demnach entscheidend darauf an, ob ein auffälliges Mißverhältnis darin zu sehen ist, daß der Kläger nur 2/3 des (unterstellten) Wertes seines Beteiligungsverhältnisses bezahlt hat.
Das Bürgerliche Gesetzbuch hat das Rechtsinstitut der römisch-rechtlichen laesio enormis (Mißverhältnis von mehr als die Hälfte, C. 4, 44, 2), das auch in spätere Rechte übergegangen ist (Code civil Art. 1674; codice civile Art. 1448; Preuß. ALR 1, 11, § 58 ff; Österr. Allg. BGB §§ 934 f), nicht übernommen (RGZ 64, 181; 150, 1, 6 f). Das deutsche bürgerliche Recht kennt kein starres System dimidia pars, objektives Mißverhältnis), sondern knüpft die Frage des Verstoßes gegen die guten Sitten an die Gesamtwürdigung aller sachlichen und persönlichen (BGH NJW 1951, 397) Umstände des Einzelfalles. Gebietet schon bei einem Mißverhältnis von mehr als der Hälfte die Sicherheit des Rechtsverkehrs eine sorgfältige Würdigung, so wird bei einem geringeren Mißverhältnis ein Sittenverstoß nur unter ganz besonderen Umständen, insbesondere persönlicher Art, angenommen werden können. Es mögen Fälle denkbar sein, daß schon bei Bezahlung von 2/3 des Wertes einer Sache ein auffälliges Mißverhältnis bejaht werden kann, z. B. bei Sachen (etwa Gold) mit objektiv einwandfrei feststellbarem Wert. Bei einem Schiff und der Beteiligung an einem Schiffsbetrieb kann hier jedoch von einem solchen auffälligen Mißverhältnis nicht gesprochen werden. Der Wert des Schiffes und der Beteiligung an einem Schiffsbetrieb ist einer objektiven, sicheren und allgemein anerkannten Schätzung schwer zugänglich, wie sich namentlich zeigt, wenn ein Schiff zur Zwangsversteigerung kommt. Er hängt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sehr wesentlich von der Konjunkturlage und dem Funktionieren des Schiffsbetriebes ab. Die Beteiligung schließt ein erhebliches Risiko in sich, das im vorliegenden Fall nicht dadurch ausgeschlossen wurde, daß das Darlehn des Klägers nach vorausgegangenen 111000,- DM hypothekarisch gesichert wurde. In Verlustjahren erbringt das vom Kläger hingegebene Geld nicht nur keinen Ertrag, der Kläger muß auch damit rechnen, von anderen Hypothekengläubigern in Anspruch genommen zu werden, denen er mit seinem 1/10-Anteil haftet.
In der mündlichen Verhandlung hat die Revision ein auffälliges Mißverhältnis daraus herzuleiten versucht, daß der Kläger im Jahre 1953 gehofft habe, für das Darlehen die Steuervergünstigung aus § 7 d des Einkommensteuergesetzes für die das Darlehen gewährende Gesellschaft zu erlangen, so daß, wenn dies gelungen wäre, seine tatsächlichen Aufwendungen für die Erlangung des Schiffsanteils weit unter dem Betrag von 70000,- DM geblieben wären. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Kläger hat an die Beklagten den vollen Betrag von 70000,- DM als seine Leistung erbracht. Wenn er sich aus der Darlehenshingabe steuerliche Vorteile erhoffte, so berührt dies die Beklagten in keiner Weise.
Die Beklagten wollen den Gewinnanspruch des Klägers dadurch zu Fall bringen, daß sie die Auffassung vertreten, vor einer Gewinnverteilung müßten die nach Steuerrecht zulässigen Abschreibungen vorgenommen werden; dann würde sich zeigen, daß kein Gewinn, sondern ein Verlust vorliege. Die Revision vertritt dabei die unhaltbare (vgl. Hued: a.a.O. 5.149) Rechtsanschauung, Abschrei¬bungen nach dem Handelsrecht und bürgerlichen Recht müßten mindestens so hoch sein wie die Abschreibungen nach den Steuergesetzen. Sowohl bei der Gemeinschaft wie bei der bürgerlichen Gesellschaft und bei der offenen Handelsgesellschaft (vgl. § 109 HGB; Schlegelberger/ Geßler HGB 3. Aufl. § 120 Anm. 6) haben es die Teilhaber (Gesellschafter) grundsätzlich in der Hand, wie der Gewinn berechnet werden soll, insbesondere, ob und welche Abschreibungen vor der Gewinnverteilung gemacht werden sollen. Vereinbaren sie, daß keine Abschreibungen vorgenommen werden sollen, so schütten sie Gewinn" zu Lasten der Vermögenssubstanz aus, was in Wahrheit Entnahmen sind und was ihnen nicht verwehrt ist (Hueck a.a.O. 5.152). Es kann keine Rede davon sein, wie die Revision meint, daß der Kläger einseitig die Steuervorteile aus Abschreibungen in Anspruch nehme und die Substanzminderung den Beklagten zuschiebe. Vielmehr kommen die Steuervorteile allen Beteiligten anteilsmäßig zugute und fällt ihnen die Substanzminderung anteilsmäßig zur Last. Die Parteien haben vereinbart, daß als Gewinn der Nettoverdienst anzusehen sei. Das Berufungsgericht hat diese Vereinbarung in einer für die Revision unangreifbaren Weise dahin ausgelegt, daß sich der Gewinn aus dem Oberschuß der Brutto-Frachteinnahmen über die Betriebsunkosten ergibt.