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Leitsatz:
Zur tariflichen Beurteilung., eines Poolsystems, bei dem mehrere Ölhandelsunternehmen bestimmte Tätigkeiten, darunter den Transport des Öls vom Empfangshafen zu bestimmten Abruforten für die Abgabe in Tankkraftwagen, einem Lagereibetrieb bei Zahlung von Pauschalpreisen für die von diesem Betrieb zu erbringenden „Leistungspakete" übertragen haben.
Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 2. November 1987
II ZR 55/87
(LG Hamburg; OLG Hamburg)
Zum Tatbestand:
Die Firma X, die in einigen deutschen See- und Binnenhäfen Tanklager unterhält, schloß mit drei Ölhandelsunternehmen, darunter der Beklagten, einen „Lagerungs- und Umschlagsvertrag", aufgrund dessen die Unternehmen über ca. 20 000 cbm Tankraum an den Hafenplätzen als „Gemeinschaftstankraum ohne Nämlichkeitssicherung" verfügen konnten, aber ihrerseits verpflichtet waren, der Firma X alle Umschlagsmöglichkeiten und Transporte in vollen Schiffsladungen anzubieten und ihr außerdem den Umschlag von jährlich 40000t Heizöl auf Tankkraftwagen (TKW) zu übertragen hatten. Für Transporte des Öls von den See- zu den Binnenhäfen sollte der FTB-Tarif gelten. Als Entgelt für die Dienste der Firma X hatten die Handelsunternehmen „Umschlagsgebühren" je nach der erbrachten Leistung und unterschiedlich je nach Häfen vereinbart, z. B. Empfang ex Seeschiff Nordenham-Blexen 2,50 DM/t; Empfang ex Seeschiff, Lagerung und Abgabe auf TKW Oldenburg 5,50 DM/t, dasselbe in Bremen und Bremerhaven 5,00 DM/t, ab 1.7. 1980 um 0,50 DM bzw. 1,- DM/t und ab 1.7. 1981 um weitere 0,50 DM/t erhöht. Ab 1.7. 1981 bestand zwischen der Beklagten und Firma X nur noch ein Einzelvertrag, der weitgehend dem früheren Gemeinschaftsvertrag entsprach und wobei die Beklagte weiterhin Sammeleinlagerer mit mehreren anderen Ölhandelsunternehmen blieb. Die Firma X übersandte der Beklagten in der hier fraglichen Zeit von März 1980 bis Oktober 1982 monatliche Abrechnungen aufgrund der vereinbarten „Umschlagsgebühren" sowie Frachtrechnungen über Binnenschiffstransporte vom Tanklager im Seehafen zu den anderen Häfen. Den Betrag dieser Rechnungen übernahm die Firma X als Gutschrift mit der Bezeichnung „Umschlagsvergütung" in die jweilige „Umschlagsrechnung". Die Beklagte hat jeweils die Frachtrechnung sowie die um die „Umschlagsvergütung" verminderte „Umschlagsrechnung" bezahlt.
Die Klägerin verlangt gemäß §§31 Abs. 3 und 42a BinSchVG die Differenzbeträge, zunächst in Höhe von 71442,98 DM, die sich aus der Differenz zwischen den der Beklagten von Firma X in Rechnung gestellten und als „Umschlagsvergütung" in der „Umschlagsrechnung" wieder gutgebrachten FTB-Frachten und dem Frachtbetrag ergeben, der in den vereinbarten „Umschlagsgebühren" mitenthalten ist. Während des Rechtsstreits hat die Klägerin die Forderung auf den Betrag von 132 251,77 DM erhöht, der die gesamte „Umschlagsvergütung" der Firma X an die Beklagte in der fraglichen Zeit umfaßt.
Die Beklagte trägt vor, daß die volle FTB-Fracht stets in den mit Firma X vereinbarten „Umschlagsgebühren" enthalten gewesen sei. Durch die in den „Umschlagsrechnungen" erfolgte „Umschlagsvergütung" sei eine Doppelzahlung der Fracht vermieden worden. Ein grobes Verschulden im Sinne des § 31 Abs. 3 BinSchVG liege nicht vor, da sie sich nur an einem von dem in Tariffragen erfahrenen Frachtunternehmen X geschaffenen und seit Jahren bestehenden, von der Klägerin früher auch nicht als tarifwidrig angesehenen System beteiligt habe. Dieses System habe u. a. eine wirtschaftlich bessere Ausnutzung der Tanklager bezweckt und eine günstigere Kalkulationsbasis für Umschlag, Lagerung und Transport sowie für die Dispositionen bezüglich der Abruforte und jeweiligen Weiterbeförderung ermöglicht.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat auf Revision der Klägerin das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 71442,98 DM mit Zinsen zu zahlen und von den Kosten des Rechtssteits 7/3 zu tragen. Im übrigen wurden die Rechtsmittel der Klägerin zurückgewiesen, der 6/3 der Kosten zur Last fallen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„.....
1. Durch die Absprache zwischen Fa. X und der Beklagten sowie weiteren Ölhandelsunternehmen haben diese ein Poolsystem geschaffen. Dessen Ziel war es, durch Übertragung von Tätigkeiten auf X (Übernahme des Öls im Empfangshafen, Lagerung im Gemeinschaftstankraum ohne Nämlichkeitssicherung, Abgabe in TKW, Transporte seitens X auf Grund eigener Vorausplanung zu anderen Abruforten) bei gleichzeitiger Zusage bestimmter Umschlagsmengen und bei Vereinbarung fester „Umschlagsgebühren" für bestimmte „Leistungspakete" zu einer rationelleren und damit preisgünstigeren Durchführung aller Vorgänge für sämtliche Beteiligten zu gelangen. Dazu räumten die Ölhandelsunternehmen X die Befugnis ein, die Ölanlieferungen im Empfangshafen oder in den vorgesehenen Abruforten in „Gemeinschaftstankraum ohne Nämlichkeitssicherung" zu lagern und das Öl nur in vollen Schiffsladungen zu befördern. Das verringerte die Zahl der sonst notwendigen Transporte und erlaubte es in Verbindung mit der zugesagten Umschlagsmenge ferner, die eigenen Tanklager besser zu nutzen, während die Ölhandelsunternehmen in der Disposition nicht unerheblich entlastet wurden. Rief beispielsweise ein Unternehmen an einem bestimmten Lagerungsort eine bestimmte Menge 01 zur Abgabe in TKW ab, hatte es aber zu dieser Zeit an dem dortigen Gemeinschaftslagerbestand keinen oder nur einen unter der abgerufenen Menge liegenden Anteil, so konnte X das (fehlende) 01 aus Anteilen der anderen Ölhandelsunternehmen an diesem Bestand abgeben und den Ausgleich durch buchmäßige Ab- und Zuschreibung bei Einbeziehung des Bestands eines Gemeinschaftslagers an einem anderen Ort vornehmen, so daß es keines Transports von dort zum Abrufort bedurfte. Ferner konnte X mit dem Auffüllen der einzelnen Lager im allgemeinen zuwarten, bis die Anlieferung einer vollen Schiffsladung möglich war. Das mag die Zuordnung der Schiffstransporte an die einzelnen Ölhandelsunternehmen erschwert haben. Auch mag es wegen der Absprache von Pauschalsätzen für die einzelnen „Leistungspakete" nicht immer leicht sein, etwaige Tarifverstöße festzustellen. Jedoch kann deshalb allein in dem Poolsystem noch keine Verletzung der Tarifvorschriften des Binnenschiffsverkehrsgesetzes gesehen werden. Die Frachtenbindung durch dieses Gesetz soll nicht vernünftige Verbesserungen bei der organisatorischen Durchführung von Umschlag und Transport von Gütern mit Binnenschiffen verhindern oder den Verladern und Beförderern eine bestimmte Abrechnungsart vorschreiben. Vielmehr bezwecken die Tarifvorschriften nur, Festfrachten zum Schutze der Binnenschiffahrt einzuführen und Verstöße dagegen zu unterbinden. Dem Berufungsgericht ist deshalb zuzustimmen, daß gegen das von X und den Ölhandelsunternehmen begründete Poolsystem einschließlich der vereinbarten Abrechnungsart an sich aus tariflicher Sicht keine rechtlichen Bedenken bestehen.
2. Nicht zu folgen ist ihm hingegen, soweit es meint, daß die zwischen X und der Beklagten im einzelnen erfolgte Abrechnung der Frachten der Tarifregelung entsprochen habe. Nach den beiderseitigen Vereinbarungen hat sich die „Umschlagsgebühr" um 2,50 DM oder um 3,00 DM je Tonne erhöht, wenn die Abgabe des Öls in TKW nicht am Empfangsort, sondern an einem der vorgesehenen anderen Orte erfolgt ist. Damit sollte offensichtlich die Fracht für den Transport des Öls vom Empfangshafen zu einem mit diesem nicht identischen Abrufort ausgeglichen werden. Jedoch hat der jeweilige Erhöhungsbetrag die FTB-Fracht nur teilweise gedeckt, wie die Klägerin durch die nach den vorliegenden Rechnungsunterlagen nicht ernstlich zu bestreitende Aufstellung in ihrem Schriftsatz vom 28. August 1984 belegt hat. Danach ist der Ausgleichsbetrag für die Fracht für die Zeit vom März 1980 bis Oktober 1982 um 71442,98 DM unter der Tariffracht geblieben.
Hiergegen läßt sich nicht die Abrechnung zwischen der Beklagten und X anführen. Gewiß sind die Frachtrechnungen selbst im wesentlichen tarifgemäß ausgestellt worden; auch hat die Beklagte den darin jeweils ausgewiesenen Rechnungsbetrag an X überwiesen. Das darf aber nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr müssen im Zusammenhang damit die weiter von X an die Beklagte übersandten„ Umschlagsrechnungen" gesehen werden. Sie gehen von den getroffenen Vereinbarungen aus. Sie enthalten die abgesprochenen „Umschlagsgebühren", die je nach dem Abrufort des Öls auch die Fracht für dessen Beförderung zu diesem Ort umfassen. Sie weisen ferner mit der „Umschlagsvergütung" eine Gutschrift in Höhe der zugehörigen Frachtrechnungen aus. Damit haben diese keine Bedeutung, was die tatsächlich bezahlte Fracht angeht. Auf sie kann deshalb entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht zurückgegriffen werden um zu prüfen, ob die FTB-Fracht bei den Transporten durch X eingehalten worden ist. Vielmehr, ist das anhand der vereinbarten „Umschlagsgebühren" zu beurteilen, wie sie in die einzelnen „Umschlagsrechnungen" Eingang gefunden haben und durch die Zahlungen der Beklagten ausgeglichen worden sind. Auch muß sich die Beklagte an den mit X getroffenen Vereinbarungen festhalten lassen, nach denen beide sich bei der Abrechnung der einzelnen „Leistungspakete" auch gerichtet habe. Ohne Belang ist insoweit, ob X nach den Jahresergebnissen der gesamten Unternehmenstätigkeit (also einschließlich der Geschäfte mit an dem Poolsystem nicht beteiligten Kunden) und nach Abzug der FTB-Frachten für ausgeführte Transporte stets ein marktübliches Entgelt für die nicht preisgebundene Umschlags- und Lagertätigkeit erhalten hat. Darauf braucht nicht weiter eingegangen zu werden. Danach ist festzuhalten, daß die Beklagte an X nicht die Tariffracht, sondern nur einen um 71 442,98 DM darunter liegenden Betrag gezahlt hat.
3. Diesen (Unterschieds-) Betrag hat die Beklagte nach § 31 Abs. 3 BinSchVG an die Klägerin zu entrichten. Allerdings streiten die Parteien auch darüber, ob die Beklagte an der Tarifunterschreitung ein grobes Verschulden trifft. Zu diesem Punkt hat das Berufungsgericht nicht Stellung genommen, weil es, wie dargelegt, irrtümlich der Ansicht ist, die Beklagte habe die Tariffracht an X gezahlt. Jedoch hat das Berufungsgericht bei der ergänzend geprüften Frage, ob die Beklagte und X unzulässige Umgehungsgeschäfte im Sinne von §42 BinSchVG vorgenommen haben, ausgeführt, daß es „zumindest an einer groben Fahrlässigkeit der Beklagten fehle".
Indes ist für den Verschuldensgrad der Beklagten bei der Unterschreitung der FTB-Frachten, den der Senat mangels Prüfung durch das Berufungsgericht selbst beurteilen kann, auch zu bedenken, daß das tarifwidrige Verhalten für die Beklagte auf der Hand liegen mußte, wenn sie die in den Frachtrechnungen ausgewiesenen (und als „Umschlagsvergütungen" ihr wieder gutgebrachten) FTB-Frachten mit den vereinbarten und tatsächlich auch nur gezahlten Erhöhungssätzen verglich. Zwar mag von ihrem Vortrag ausgegangen werden, daß sie über keinen „hausinternen" Tarifexperten verfügt und X ihr mehrfach beruhigende Erklärungen zur Frage eines tarifgemäßen Verhaltens gegeben habe. Jedoch muß sie sich hierzu entgegenhalten lassen, daß sie eine Schwesterfirma der größten deutschen Binnentankschiffsreederei ist, dort gewiß Auskünfte in Tariffragen erhalten konnte und daß ihr aus eigener Kenntnis von einer angeblichen Billigung der mit X gehandhabten Abrechnungen durch einen Prüfer der Klägerin nichts bekannt war. Überdies hätte ihr ohne weiteres auffallen müssen, daß die Rückverrechnung der gezahlten Frachtbeträge nicht unter deren Nennung, sondern unter einer Bezeichnung („ Umschlagsvergütung")geschehen ist, die auf einen ganz anderen wirtschaftlichen Vorgang hindeutete und zweifellos der Verdeckung der Tarifunterschreitung dienen sollte. Diese Punkte lassen keinen Zweifel an einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten der Beklagten bei der fortsetzten Unterschreitung der FTB-Tarife bestehen.
4. Nicht zu folgen vermag der Senat der Ansicht der Revision, daß die Klägerin nicht nur, wie sie übrigens ursprünglich selbst angenommen hat, Anspruch auf Zahlung von 71 422,98 DM durch die Beklagte habe, sondern insgesamt 132241,77DM verlangen könne. Dieser Betrag entspricht der vollen Tariffracht für die Beförderungen durch X in der Zeit vom März 1980 bis Oktober 1982. Insoweit berücksichtigt die Revision jedoch nicht, daß die Beklagte im Rahmen der an X gezahlten „Umschlagsgebühren" Frachtbeträge von 60808,79 DM entrichtet hat. Das folgt aus der schon erwähnten Unterschiedsberechnung der Klägerin.
....“.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1988 - Nr.3 (Sammlung Seite 1224 f.); ZfB 1988, 1224 f.