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Leitsätze:
1) Verliert ein Schiff Anker, Lukendeckel oder andere Gegenstände, so sind der Eigner oder der Ausrüster auch dann gehalten, unverzüglich die nach Sachlage gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, um andere Fahrzeuge vor den Gefahren zu schützen, die von diesen Gegenständen ausgehen können, wenn die Besatzung an dem Verlust kein Verschulden trifft.
2) Die strom- oder schiffahrtpolizeilichen Vorschriften des Bundeswasserstraßengesetzes schließen es nicht aus, daß die Bundesrepublik Deutschland die Gefahrenquelle als (auftragsloser) Geschäftsführer des Eigners oder des Ausrüsters beseitigt.
3) Setzt sie hierzu eigene Bedienstete oder eigenes Gerät ein, so kann sie im Rahmen ihres Aufwendungsersatzanspruchs auch einen angemessenen Gemeinkostenzuschlag verlangen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 15. Dezember 1975
II ZR 54/74
(Schiffahrtsgericht Minden; Schiffahrtsobergericht Hamm)
Zum Tatbestand:
Auf dem Mittellandkanal gingen vom MS F des Beklagten durch starken Sturm 15 Aluminium-Lukendeckel über Bord. Aufgrund der dem Aufsichtsbezirk des zuständigen Wasser- und Schiffahrtsamtes erstatteten Meldung ließ die Klägerin den Unfallbereich am nächsten Tag mit der Kette und wegen Erfolglosigkeit - an weiteren 4 Tagen durch Taucher absuchen. Diese fanden und bargen 4 Lukendeckel.
Die Klägerin verlangt Ersatz ihrer Aufwendungen für Suche und Bergung in Höhe von ca. 2710,- DM als unmittelbare Kosten (Löhne, Kraftstoff und Miete für eingesetzte Fahrzeuge) sowie von ca. 2106,- DM als Gemeinkostenzuschlag.
Der Beklagte bestreitet ein Verschulden an dem Verlust der ordnungsmäßig befestigten Lukendeckel, die auch die Kanalschiffahrt nicht gefährdet hätten. Dem Aufwendungsersatzanspruch stehe entgegen, daß die Klägerin die Nachsuche im eigenen Interesse durchgeführt habe. Sie könne einen Gemeinkostenzuschlag keinesfalls verlangen.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage nur in Höhe von ca. 2710,- DM stattgegeben, das Schiffahrtsobergericht dagegen in voller Höhe. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten blieb erfolglos:
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Für den Schiffsverkehr besteht wie für den Straßenverkehr die allgemeine Rechtspflicht, Rücksicht auf die Gefährdung anderer zu nehmen, und wenn eine Gefahrenquelle geschaffen wird, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen (BGH, Urt. v. 10. 4. 1969 - II ZR 239/67, VersR 1969, 562). Deshalb hat der Senat den Eigner oder den Ausrüster eines Schiffes im Falle eines Ankerverlustes für verpflichtet gehalten, unverzüglich die nach Sachlage gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, um andere Fahrzeuge vor den Gefahren zu schützen, die von dem Anker ausgehen können (BGH aaO; vgl. auch Liesecke, Anm. zu LM § 683 BGB Nr. 24). Nichts anderes kann gelten, wenn ein Schiff Lukendeckel oder andere Gegenstände verliert und diese sodann eine Gefahr für den Schiffsverkehr darstellen. Auch kann es insoweit entgegen der Ansicht der Revision keine Rolle spielen, ob der Verlust auf einem Verschulden der Besatzung oder auf anderen, im Risikobereich des Schiffseigners oder des Ausrüsters liegenden Umständen beruht. Da die Gefahr, die von verlorenen Gegenständen für die Schiffahrt ausgehen kann, unabhängig davon besteht, ob diese durch ein Verschulden der Besatzung oder auf eine andere mit der Verwendung des Schiffes im Verkehr zusammenhängende Weise in die Schiffahrtsstraße geraten sind, kann die Verschuldensfrage für die Begründung der Rechtspflicht, den Verkehr vor einer derartigen Gefahrenquelle zu schützen, keine wesentliche Bedeutung haben.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gefährdeten die in den Mittellandkanal gefallenen Lukendeckel des MS F die Schiffahrt, weil sie, insbesondere wegen ihres leichten Gewichts, durch den Schraubenstrom anderer Fahrzeuge hochgewirbelt werden und sodann deren Schrauben- oder Ruderanlage beschädigen konnten. Schon deshalb war der Beklagte als Eigner des MS F verpflichtet, unverzüglich nach den über Bord gegangenen Lukendeckeln zu suchen oder suchen zu lassen und aufgefundene Deckel sofort aus dem Kanal zu entfernen oder entfernen zu lassen.
Nach dem angefochtenen Urteil hat die Klägerin diese Pflicht des Beklagten erfüllt; auch habe ihre Tätigkeit seinem wirklichen oder mutmaßlichen Willen entsprochen. Demgegenüber verneint die Revision ein Handeln der Klägerin als auftraglose Geschäftsführerin des Beklagten, weil sie nach den verlorenen Lukendeckeln bereits aufgrund ihrer Verkehrssicherungspflicht für den Mittellandkanal habe suchen müssen. Jedoch verkennt die Revision, daß eine derartige Pflicht nicht der Annahme entgegensteht, die Klägerin habe ein Geschäft des Beklagten geführt, sofern sie nur - wovon nach den Ausführungen des Berufungsgerichts auszugehen ist - mit dem Willen gehandelt hat, auch für den Beklagten tätig zu sein (BGH, Urt. v. 10. 4. 1969 - II ZR 239/67, VersR 1969, 562; vgl. auch BGHZ 54, 15f, 160; 63, 167, 169/170).
Nach Ansicht des Berufungsgerichts wird der privatrechtliche Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten nicht dadurch ausgeschlossen, daß diese die Gefahr, die von den Lukendeckeln für den Schiffsverkehr ausging, durch polizeiliche Maßnahmen hätte beseitigen können. Diese Ansicht stimmt mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes überein, wonach die Klägerin bei der Beseitigung einer Schiffahrtsgefahr nicht auf ein polizeiliches Vorgehen beschränkt ist, sondern das auch privatrechtlich, insbesondere im Wege auftragloser Geschäftsführung, zu erreichen suchen kann (Urt. v. 14. 12. 1954 - 1 ZR 134/ 53, VRS 8, 425, 426; Urt. v. 12. 3. 1964 - II ZR 243/62, LM Nr. 70 zu § 1004 BGB; Urt. v. 10. 4. 1969 - II ZR 239/67, VersR 1969, 562). An dieser Rechtsprechung ist entgegen der Kritik von Bartlsperger (Die Aufwendungsersatzansprüche der Wasserstraßenverwaltung für Schiffs- und Ankerbergungen, ZfB 1975, 439 ff.) festzuhalten. Sie steht insbesondere nicht mit den Bestimmungen des Bundeswasserstraßengesetzes vom 2. April 1968 - BGBI. II 173 ff. (WaStrG) im Widerspruch. Dessen strompolizeiliche Vorschriften (§§ 25 ff.) entsprechen den herkömmlichen Grundsätzen des Polizeirechts. Ihre Aufnahme in das Gesetz ist erfolgt, „um zu vermeiden, daß Bundesbehörden bei der Erhaltung der Bundeswasserstraßen als Verkehrswege auf die lebhaft umstrittene Anwendung von Landesrecht oder auf Gewohnheitsrecht angewiesen sind" (Begründung zu den §§ 25 bis 29 des Gesetzentwurfs eines Bundeswasserstraßengesetzes, BTDrucks. V/352).
Das damit eine abschließende Regelung hinsichtlich aller Maßnahmen zur Beseitigung der von Dritten veranlaßten Schifffahrtsgefahren erfolgen sollte, vermag der Senat diesen Vorschriften nicht zu entnehmen. Weder der Gesetzestext noch dessen Entstehungsgeschichte geben in dieser Richtung etwas her. Da dem Gesetzgeber die langjährige Rechtsprechurng des Bundesgerichtshofes zur Zulässigkeit privatrechtlichen Handelns der Klägerin beim Vorliegen einer Schiffahrtsgefahr nicht unbekannt gewesen sein dürfte, spricht sein Schweigen dafür, daß er diese Rechtslage nicht ändern wollte. Auch § 30 WaStrG läßt eine gegenteilige gesetzgeberische Absicht nicht erkennen. Die Bestimmung räumt der Klägerin lediglich besondere Befugnisse ein, um ein Schiffahrtshindernis zu beseitigen. Sie ist, wie in der Gesetzesbegründung hervorgehoben wird, § 25 der Strandungsordnung nachgebildet. Für diese Vorschrift hat aber seit jeher gegolten, daß sie keinen Ausschließlichkeitscharakter besitzt (RGZ 73, 8 ff.; Ewald, Strandungsordnung 2. Aufl. § 25 Anm. 4). Allerdings regelt sie die Frage der Kostendeckung abschließend, sofern die zuständige Behörde nach § 25 der Strandungsordnung vorgegangen ist (Ewald aaO Anm. 18). Tritt eine solche durch den Verkauf der beseitigten Gegenstände nicht in voller Höhe ein, so kann die zuständige Behörde wegen des Mehrbetrags keinen Anspruch gegen den Eigentümer aus Geschäftsführung ohne Auftrag geltend machen. Entsprechendes gilt im Rahmen des § 30 WaStrG (Friesecke, Bundeswasserstraßengesetz § 30 Anm. V 1). Voraussetzung ist allerdings auch insoweit, daß die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung tatsächlich aufgrund der Vorschrift des § 30 WaStrG eingeschritten ist - was hier nicht der Fall war. Unabhängig davon verbleibt ihr aber der - vielfach schnellere und zweckmäßigere - Weg eines privatrechtlichen Handelns gemäß §§ 677, 683 BGB (ebenso Friesecke aaO § 8 Anm. V2; Mintzel Bundeswasserstraßengesetz § 7 Anm. 3 D; vgl. auch Nr. 90 der im VkBI. 1974, 519 ff. abgedruckten Richtlinien des Bundesverkehrsministeriums für strompolizeiliche und schiffahrtpolizeiliche Verfügungen).
Das Schiffahrtsobergericht ist der Ansicht, daß der Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin auch den geltend gemachten Gemeinkostenzuschlag umfaßt. Dem ist ebenfalls zuzustimmen.
Nach § 683 Satz 1 BGB kann der Geschäftsführer wie ein Beauftragter Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, sofern - wie hier - die Ubernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Dabei sind unter Aufwendungen die besonderen Vermögensopfer zu verstehen, die er zum Zwecke der Ausführung des Geschäfts erbracht hat (Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts Bd. II 10. Aufl. S. 261/262). Ein solches Opfer kann auch darin liegen, daß der Geschäftsführer eine von ihm unterhaltene Organisation zeitweilig nicht für eigene Zwecke, sondern zur Durchführung des übernommenen Geschäfts einsetzt. Insoweit wendet er deren Geldwert dem Geschäftsherrn zu. Sein Aufwendungsersatzanspruch wird sodann durch diesen Wert bestimmt und umfaßt demgemäß auch denjenigen Teil seiner Gemeinkosten, der sich hierin niedergeschlagen hat. Dem steht nicht entgegen, daß im Schrifttum die Ansicht vertreten wird, unter den Aufwendungsersatzanspruch des Beauftragten fielen nicht dessen allgemeine Geschätfsunkosten (Hauß in Erman, Handkommentar z. BGB 5. Aufl. § 670 Anm. 2; Steffen in BGB-RGRK 12. Aufl. § 670 Rdn. 3). Letzteres läßt sich damit rechtfertigen, daß der Beauftragte nach § 662 BGB verpflichtet ist, das ihm übertragene Geschäft unentgeltlich zu besorgen. Das trifft aber für die Tätigkeit des Geschäftsführers ohne Auftrag gerade nicht zu (Steffen aaO § 683 Rdn. 7). Vielmehr wird ihm sogar die übliche Vergütung - und damit ein Verdienst - zugebilligt, wenn die Geschäftsbesorgung in seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit fällt (BGH, Urt. v .7. 1. 1971 - VII ZR 9/70, NJW 1971, 609, 912).
Hier liegt es nun so, daß die Klägerin innerhalb ihrer Wasser- und Schiffahrtsverwaltung durch organisatorische Maßnahmen die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen getroffen hat, um Gegenstände, die in das Fahrwasser einer Bundeswasserstraße geraten sind und dort die Schiffahrt gefährden können, zu suchen und nach dem Auffinden zu bergen. Diesen Teil ihrer Organisation hat sie zeitweilig zur Besorgung des von ihr für den Beklagten wahrgenommenen Geschäfts eingesetzt. Deshalb kann sie von ihm nicht nur ihren Aufwand für Kraftstoff, für die Löhne der unmittelbar mit der Sache und Bergung befaßten Bediensteten und ein angemessenes Nutzungsentgelt für die verwendeten Fahrzeuge, sondern auch die anteiligen Gemeinkosten verlangen. Daß diese hier in einer unangemessenen Höhe gefordert werden, vermag auch die Revision nicht aufzuzeigen.
Der Beklagte wird dadurch, daß er den von der Klägerin berechneten Gemeinkostenzuschlag zu entrichten hat, nicht unbillig belastet. So hätte er bei Einschaltung eines Dritten, sei es durch ihn selbst, sei es durch die Klägerin dessen übliche Vergütung tragen müssen, und zwar auch im Falle einer polizeilichen Ersatzvornahme durch die Klägerin (vgl. Engelhardt, Kommentar zum Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz § 10 Anm. IV). In dieser Vergütung schlagen sich bei einem gewerblichen Unternehmen nicht nur die anteiligen Gemeinkosten, sondern auch ein entsprechender Gewinn nieder. Auch hat bereits das Reichsgericht ausgesprochen, daß bei einem unmittelbaren Vorgehen der zuständigen Behörde, wie es § 25 der Strandungsordnung (dem, wie erwähnt, § 30 WaStrG nachgebildet ist) vorsieht, diese im Rahmen ihres Kostenanspruchs uach einen Gemeinkostenzuschlag verlangen kann (JW 1911, 159/160).
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