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Leitsatz:
Ergibt sich aus einem Konnossement, daß der Zeitcharterer Verfrachter sein soll, dann gilt wegen des Vorrangs dieser individuellen Abrede die in den Konnossementsbedingungen enthaltene Identity-of-Carrier-Klausel nicht, nach der der Reeder Verfrachter ist.
Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 4. Februar 1991
II ZR 52/90
(Landgericht Bremen, Oberlandesgericht Bremen)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die in Monrovia (Liberia) ansässige beklagte Reederei wegen eines Ladungsschadens in Anspruch, für den sie als Transportversicherer eingetreten ist. Die Beklagte hatte das Schiff „H" auf Zeit an die AEL verchartert und diese Firma in Klausel 55 der Charter Partie bevollmächtigt, Konnossemente im Namen des Kapitäns und/oder des Eigners zu zeichnen. Ferner hatte der Kapitän des Schiffes die Fa. "I" bevollmächtigt, in seinem Namen u. a. Konnossemente in Übereinstimmung mit der Charter Partie zu unterzeichnen.
Über die Ladung, die auf der Reise beschädigt worden ist, ist ein Konnossement ausgestellt worden. Unterzeichnet hat es die Fa. „I" „as agents". An der Stelle, an der üblicherweise der Verfrachter aufgeführt ist, befindet sich eine Flagge mit den Buchstaben „AEL" und dem Text: „AEL as Managing Agents: 0. Schiffahrtsgesellschaft".
Die Konnossementsbedingungen (KB) enthalten in der Präambel eine Identity of Carrier (IoC)-Klausel, nach der die als Agentin aufgeführte „0" Schiffahrtsgesellschaft stets nur für den Eigner handelt, so daß der Vertrag zwischen „Merchant" und „Owner" geschlossen werde. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage für zulässig erklärt. Die Revision hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. ...
2. In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Entgegen der Annahme der Vorinstanzen ist die hei dem Landgericht Bremen erhobene Klage unzulässig. Die Beklagte, die ihren Sitz in Monrovia hat, hat in Bremen keinen Gerichtsstand. Die in den KB niedergelegte Gerichtsstandsklausel bindet sie nicht.
Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts greift die Revision mit Recht an.
a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsurteils, daß die Zuständigkeitsfrage nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Die in den KB getroffene Gerichtsstandsvereinbarung enthält eine verdeckte Rechtswahl (vgl. BGH, Urt. v. 1. Juli 1964 — VIII ZR 266/62, WM 1964, 1023; Urt. v. 5. Dezember 1966 — II ZR 232/64, VersR 1967, 156; Prüßmann/Rabe, Seehandelsrecht 2. Aufl., Vor § 556 Anm. VI D 2 b). Das Zustandekommen und die Wirksamkeit solcher Klauseln ist nach der Rechtsprechung des Senats nach dem Recht zu beurteilen, das anzuwenden wäre, wenn die Klausel wirksam wäre (BGHZ 99, 207, 210).
b) Nicht rechtsfehlerfrei ist hingegen die Annahme des Berufungsgerichts, in dem von einem Vertreter des Reeders ausgestellten Konnossement sei der Name des Verfrachters nicht angegeben, so daß gemäß § 644 Satz 1 HGB der Reeder als Verfrachter gelte.
Die Aufführung der AEL auf der Vorderseite des Konnossements an der dem Verfrachter vorbehaltenen Stelle und die in den kleingedruckten KB enthaltene IoC-Klausel widersprechen einander. Dieser Widerspruch kann nicht — wie das Berufungsgericht gemeint hat — dadurch aufgelöst werden, daß der loC-Klausel der Vorrang eingeräumt wird. Vielmehr folgt aus § 4 AGBG, daß die individuelle Vertragsbestimmung vorgeht, wenn sie mit einer entgegenstehenden Klausel aus Allgemeinen Geschäftsbedingungen zusammentrifft.
c) Eine solche individuelle Festlegung, wer Verfrachter der Ladung sein sollte, ergibt sich entgegen dem Verständnis des Berufungsgerichts aus der die individuellen Eintragungen enthaltenden Seite des Konnossements. ..
Die auffällige und hervorgehobene Eintragung der Flagge und des Namens des Zeitcharterers an der dem Verfrachter vorbehaltenen Stelle und das Fehlen jeglichen auf ein Vertretungsverhältnis hinweisenden Zusatzes zeigt, daß die AEL die Rolle des Verfrachters in dem Konnossementsverhältnis übernehmen wollte. Die auf die „0" und die „I" hinweisenden Zusätze stehen dem nicht entgegen. Denn aus ihnen ergibt sich allein, daß diese Firmen nicht Vertragspartner des Seefrachtvertrages sein, sondern nur als Vertreter handeln wollten. Mit Recht hat das Berufungsgericht festgestellt, daß die Zusätze „as managing agents" bzw. „as agents" nichts darüber aussagen, für wen diese beiden Gesellschaften auftraten. Aus ihnen ergab sich insbesondere nicht, daß ein Vertretungsverhältnis zu der Beklagten bestand. Der Ablader, dem als erstem das Konnossement gegeben wurde, mußte nach dem äußeren Bild der Urkunde annehmen, daß sich die AEL der „0" und diese der „I" bediente.
Demgegenüber kann sich die Annahme, daß diese „agents" für den Eigner gehandelt haben könnten, nur aus der auf der Rückseite des Konnossements abgedruckten loC-Klausel ergehen. Diese gilt aber wegen des Vorrangs des individuell Vereinbarten im vorliegenden Fall nicht.
d) Daß die IoC-Klausel nicht gilt, wenn die formularmäßige Benennung des Reeders als Verfrachter im Widerspruch zur individualvertraglichen Festlegung der Per son des Verfrachters steht, hat der Senat bereits für einen ähnlich liegenden Fall in seiner — erst nach Erlaß des Berufungsurteils ergangenen — Entscheidung vom 5. Februar 1990 (II ZR 15/89, WM 1990, 679 = TranspR 1990, 163; vgl. ferner Ulmer/ Brandner/Hensen, AGBG 6. Aufl., § 4 Rdn. 50; Rabe, TranspR 1989, 81, 86 f.) ausgesprochen. Hieran hält er nach erneuter Prüfung und auch unter Einbeziehung der von Herber (TranspR 1990, 147 ff.) geäußerten Bedenken fest. Insbesondere ist der von diesem vertretenen Auffassung nicht zu folgen, daß ein die Anwendung des § 4 AGBG rechtfertigender Widerspruch zur loC-Klausel nur dann vorliege, wenn eine „ausdrückliche individuelle Angabe über die Verfrachtereigenschaft" gemacht worden sei (aaO S. 148). Nicht die ausdrückliche Bezeichnung ist maßgeblich. sondern die Sicht des Empfängers eines solchen Konnossements. Der Ablader — entsprechendes gilt für die weiteren Inhaber des Konnossements bis hin zum Empfänger der Ware — kann nach dem beschriebenen äußeren Erscheinungsbild nur annehmen, daß die AEL Verfrachter sein sollte, er sich also an diese Gesellschaft wegen der konnossementsmäßigen Haftung zu halten habe.
Dieses Ergebnis ist — anders als dies bei Herber (aaO) anklingt — weder sachwidrig noch unbillig: der historische Grund für die loC-Klausel, nämlich dem Verfrachter die Haftungsbeschränkungen der Reederhaftung zugute kommen zu lassen, ist mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches und anderer Gesetze (Seerechtsänderungsgesetz) vom 21. Juni 1972 (BGBl. I S. 966) entfallen. Der Zeitcharterer betreibt mit dem samt Besatzung gecharterten Schiff auf eigene Rechnung Seetransporte. Soweit es um von ihm geltend zu machende Ansprüche geht, will er durchaus der Berechtigte sein. Warum er nicht auch der konnossementsmäßig Verpflichtete sein soll, wenn es um die gegen den Verfrachter gerichteten Forderungen geht, sondern den Anspruchsteller auf den Reeder soll verweisen dürfen, ist nicht einzusehen.
e) Für die Anwendung des § 644 Satz 1 HGB und die gesetzliche, nur subsidiär eingreifende Haftung des Reeders ist entgegen der Meinung des Berufungsgerichts kein Raum, vielmehr steht die AEL als Verfrachter fest. Zu Unrecht beruft sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Meinung auf die Entscheidung des Senats vom 10. Oktober 1957 (BGHZ 25, 300). Wie den Entscheidungsgründen (aaO S. 306) zu entnehmen ist, hat der Senat nicht allgemein ausgesprochen, daß bei inhaltlich falscher Verfrachterangabe § 644 Satz 1 HGB eingreift; vielmehr soll dies lediglich dann gelten, wenn unstreitig der im Konnossement angegebene Verfrachter diese Eigenschaft nicht hat. Dann ist es gerechtfertigt, der fehlerhaften Angabe im Konnossement kein entscheidendes Gewicht beizumessen und die Urkunde so zu behandeln, als fehle die Bezeichnung des Verfrachters ganz. So liegt der hier zu entscheidende Fall jedoch nicht. Der Gedanke ist auch nicht verallgemeinerungsfähig, wie schon § 644 Satz 2 HGB zeigt, der dem Reeder die Haftung für falsche Verfrachterangaben auferlegt, ohne ihm selbst die Verfrachterstellung zuzuweisen.
f) Auch der vorliegende Fall nötigt nicht zu einer Stellungnahme zu der von Karsten Schmidt (TranspR 1989, 41, 44; JuS 1987, 425 ff.; 433; ders. „Verfrachterkonnossement, Reederkonnossement und Identity of Carrier-Klausel" S. 29-37) vertretenen Auffassung, nach der Reeder und Verfrachter gesamtschuldnerisch den Ladungsbeteiligten aus dem Konnossement haften. Denn wegen der aus § 4 AGBG folgenden Unanwendbarkeit der loC-Klausel liegt kein Anwendungsfall des § 644 Satz 1 HGB vor, vielmehr steht die AEL als konnossementsmäßiger Verfrachterin fest (vgl. Sen. Urt. WM 1990 aaO, 681)".
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1991 - Nr.10 (Seite 435 f.); ZfB 1991, 435 f.