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Leitsätze:
- 1) Verhaltenspflichten des Talfahrers auf der Fahrt mit Radar und bei unsichtigem Wetter.
2) Bei einer durch Nebelfetzen auf 200 bis 150 m eingeschränkten Sicht verstößt ein Bergfahrer gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht, wenn er einen Übergang macht, obwohl noch mit Talfahrt zu rechnen ist. Infolge der Ausbreitung der Radarschiffahrt muß die Nichtradarfahrt bei jedem Wetter in Rechnung stellen, daß gegenkommende, aber noch nicht wahrgenommene Radarfahrer im Revier sind.
3) Ein Schiffer, der nach Sicht fährt, ist grundsätzlich nicht gehalten, daneben das Radargerät zu benutzen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 24. Juni 1974
II ZR 46/73
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Bei Rhein-km 511,5 kam es zwischen dem der Klägerin gehörenden, zu Berg fahrenden TMS V und dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten und zu Tal fahrenden TMS U zum Zusammenstoß, als V, aus der kleinen Gieß kommend, einen Obergang zum linken Ufer machte und U, von rechtsrheinisch kommend in die - linksrheinisch befindliche - Große Gieß einlaufen wollte.
Die Klägerin verlangt Ersatz ihres Schiffsschadens von ca. 116000,- DM mit der Begründung, daß U die Weisung des Bergfahrers zur Backbordbegegnung nicht befolgt, sondern mit blauer Seitenflagge und weißem Blinklicht eine Steuerbordbegegnung zu erzwingen versucht habe und in den Kurs von V hineingefahren sei. Auch habe U keine Schallzeichen gegeben und trotz durch Nebel eingeschränkter Sicht keine Lichter geführt. Die Beklagten sind der Meinung, daß V, das im Gegensatz zu U nicht mit Radar und ohne Ausguck gefahren sei, die Fahrt wegen der Sichtweiten von nur 100 bis 200 m habe einstellen müssen. MTS V sei, als es der Beklagte zu 2 auf dem Radarschirm von MTS U erkannt habe, noch in der Kleinen Gieß gefahren, während letzteres bereits - einer Ubung der Talfahrt entsprechend - auf die Große Gieß zugehalten habe. Plötzlich habe aber V nach Verlassen der Kleinen Gieß den Kurs hart nach Steuerbord genommen, wodurch der Zusammenstoß erfolgt sei.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage zu 1/4 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; das Rheinschiffahrtsobergericht hat den Anspruch zur Hälfte für berechtigt angesehen. Die Revision der Klägerin ist zurückgewiesen worden. Auf die Revision der Beklagten ist das erstinstanzliche Urteil wiederholt worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 1 Nr. II Ziff. 1 a) der für den Unfalltag geltenden Bekanntmachung für die Rheinschiffahrt über die Fahrt mit Radar und bei unsichtigem Wetter vom 10. Juli 1968 (VkBl. S. 373) müssen Talfahrer, sobald sie auf dem Radarschirm Fahrzeuge bemerken, deren Kurs nicht den Eintritt jeglicher Gefahrenlage ausschließt, das Dreitonzeichen geben und dieses Signal, so oft wie notwendig, wiederholen; ferner sind sie nach § 1 Nr. II Ziff. 2 der Bekanntmachung in einem derartigen Falle verpflichtet, die Geschwindigkeit zu vermindern und, falls nötig, Bug zu Tal anzuhalten oder aufzudrehen. Dabei ist unter Kurs nicht lediglich die Lage und Fahrtrichtung der anderen Fahrzeuge bei ihrer Wahrnehmung auf dem Radarschirm zu verstehen. Vielmehr ist auch zu beachten, welchen Weg diese voraussichtlich nehmen können und werden. Deshalb darf der Radartalfahrer nur dort von der Abgabe des Dreitonzeichens, der Fahrverminderung oder dem Stoppen absehen, wo er, wie regelmäßig im Falle einer Kursverständigung, gewiß sein kann, daß der Kurs der anderen Fahrzeuge im Revier den Eintritt jeglicher Gefahrenlage ausschließt (vgl. auch BGH, Urt. v. 20. 9. 1973 - II ZR 119/72*, VersR 1974, 188). Bestehen daran auch nur geringe Zweifel, so muß er im Interesse einer sicheren Abwicklung des Verkehrs nach den Bestimmungen des § 1 Nr. II Ziff. 1 a) und Ziff. 2 der Bekanntmachung vom 10. Juli 1968 beziehungsweise nunmehr des § 6.35 Nr. 2 RheinSchPolVO 1970 handeln.
Nach dem angefochtenen Urteil „kann man im Revier bei Eltville mit den beiden Fahrwassern der, Gieß auf dem Radarschirm nicht mit Sicherheit den weiteren Kurs eines Bergfahrers, der aus der Kleinen Gieß kommt und mit dem man keine Kursverständigung getroffen hat, abschätzen". Das zieht die Revision der Beklagten ohne Erfolg in Zweifel. Zwar ist es richtig, daß ein Bergfahrer gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht eines Schiffers verstößt, wenn er bei einer durch Nebelfetzen auf 200 bis 150 m eingeschränkten Sicht einen Ubergang macht, obwohl noch mit Talfahrt zu rechnen ist (BGH, Urt. v. 5. 6. 72 - II ZR 79/70, LM Nr. 55 zu RheinschiffahrtspolizeiVO v. 24. 12. 54 - VersR 1972, 853). Jedoch konnte „Union XIII" nicht darauf vertrauen, daß „VTG 17" nach dem Passieren der Kleinen Gieß rechtsrheinisch bleiben werde, weil der Radartalfahrer die Sichtverhältnisse des 1 200 m unterhalb herankommenden V nicht kannte, diese mithin für einen Übergang auf die linke Stromseite noch ausreichend sein konnten, außerdem die Bergfahrt in diesem Bereich üblicherweise nach linksrheinisch hinübergeht (vgl. hierzu die Fahrregeln im Rheinatlas S. 50), ein Übergang somit nicht überraschend war (vgl. auch BGH, Urt. v. 20. 9. 1973 - II ZR 119/72, VersR 1974, 188). Zu Recht hat deshalb das Berufungsgericht U vorgeworfen, daß seine Führung nach der Wahrnehmung des V auf dem Radarschirm keine Dreitonzeichen gegeben und im Verlaufe der weiteren Annäherung die Fahrt wegen fehlender Kursverständigung nicht unterbrochen hat.
Ohne Erfolg wendet sich die Revision der Beklagten gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, es sei seitens U verfehlt gewesen, die Zeichen für eine Steuerbordbegegnung zu zeigen und bei der Vorbeifahrt an V einen entsprechenden Kurs zu steuern, obwohl der Bergfahrer dem Talfahrer den Weg zu einer Backbordbegegnung gewiesen und diese Weisung durch Schallzeichen unterstrichen gehabt habe. Zwar ist es richtig, daß V beim Durchfahren der Kleinen Gieß (noch) die blaue Seitenflagge gesetzt und das weiße Blinklicht eingeschaltet hatte und damit der Talfahrt den Weg für eine Steuerbordbegegnung wies. Die Weisung war jedoch gegenüber U mangels Erkennbarkeit ohne bindende Wirkung. Hingegen lag beim optischen Insichtkommen der beiden Fahrzeuge für den Talfahrer die bindende Weisung zu einer Backbordbegegnung vor, da nunmehr der Bergfahrer die blaue Seitenflagge und das weiße Blinklicht nicht mehr zeigte. Da der Talfahrer dieser Weisung nicht gefolgt ist, hat das Berufungsgericht auch insoweit mit Recht ein schuldhaftes Verhalten seiner Führung angenommen.
Das Berufungsgericht ist zu Lasten der Beklagten davon ausgegangen, daß die durch Nebel eingeschränkte Sicht es erforderte, die Lichter wie bei Nacht zu führen (§ 80 Nr. 1 Abs. 3 RheinSchPolVO 1954) und daß das auf U nicht geschehen ist. Jedoch war ein solches pflichtwidriges Verhalten des Radartalfahrers nach der übereinstimmenden Ansicht beider Vorinstanzen für die Kollision nicht ursächlich, „da man diese schwachen Lichter am Tage bei Nebel nicht früher hätte wahrnehmen können, als den Schiffskörper selbst".
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat dieses Fahrzeug (V) schuldhaft gegen § 80 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO 1954 verstoßen, wonach Bergfahrer anhalten müssen, wenn sie beim Weiterfahren Gefahr laufen würden, vor einem auftauchenden Hindernis nicht rechtzeitig stoppen zu können. Zwar könne ein Bergfahrer bei einer - wie hier - auf 200 m verminderten Sicht mit einer entsprechend herabgesetzten Geschwindigkeit (§ 80 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 RheinSchPolVO 1954) die Reise unter strikter Beachtung aller sonstigen für die Fahrt bei unsichtigem Wetter zum Schutze des Verkehrs erlassenen Vorschriften fortsetzen, da er dann noch vor einem auf 200 m auftauchenden Hindernis ständig werden könne. Genüge er hierbei aber - wie vorliegend - nicht der nach § 80 Nr. 1 Abs. 2 RheinSchPolVO 1954 geltenden Pflicht, einen Ausguck aufzustellen, so könne die Fortsetzung der Fahrt nicht mehr als zuverlässig angesehen werden. Auch sei die Weiterfahrt von „VTG 17" unter Verstoß gegen § 80 Nr. 1 und 3 RheinSchPolVO 1954 unfallursächlich gewesen, weil seine Führung durch einen Ausguck früher auf die gefährliche Lage aufmerksam gemacht worden wäre und entsprechende Gegenmaßnahmen zur Abwendung einer Kollision hätte ergreifen können.
Die Revision der Klägerin greift diese Ausführungen ohne Erfolg an (wird ausgeführt).
Das Berufungsgericht hat keinen nautischen Fehler des Bergfahrers darin gesehen, daß er nach dem Durchfahren der Kleinen Gieß den Kurs nach linksrheinisch geändert hat; denn V sei in der Wahl des Kurses frei gewesen. Dem kann nicht zugestimmt werden: Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts hätte V die Fahrt wegen Fehlens eines Ausgucks in dem dichten Nebel überhaupt nicht mehr fortsetzen dürfen. Dann war es aber ein grober Fehler, wenn V auch noch den bisherigen - gestreckten - Kurs verließ und in Schrägfahrt das Fahrwasser querte. Wie der Senat bereits in dem Urteil vom 5. Juni 1972* - II ZR 79/70 (VersR 1972, 853) dargelegt hat, verstößt ein Bergfahrer gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht eines Schiffers, wenn er bei einer durch Nebelfetzen auf 200 bis 150 m eingeschränkten Sicht einen Ubergang macht, obwohl noch mit Talfahrt zu rechnen ist. Das muß um so mehr für ein Fahrzeug gelten, das, wie hier, überhaupt nicht genügend Sicht zur Fortsetzung der Fahrt hat. Dabei besteht auch kein Zweifel daran, daß „VTG 17" nicht davon ausgehen konnte, es werde wegen der auf etwa 200 m eingeschränkten optischen Sicht keine Talfahrt mehr kommen. Denn infolge der Ausbreitung der Radarschiffahrt und ihrer weitgehenden Unabhängigkeit von der optischen Sicht muß die Nichtradarfahrt bei jedem Wetter in Rechnung stellen, daß gegenkommende, von ihr aber noch nicht wahrgenommene Radarfahrer in Revier sind, und dementsprechend ihr Verhalten einrichten (BGH, Urt. v. 20. 9. 73 - II ZR 119/72, VersR 1974, 188).
Nicht gefolgt werden kann der Revision der Beklagten insoweit, als sie ein weiteres Verschulden des Schiffers von V darin sieht, daß er den Bildschirm des sich an Bord dieses Fahrzeuges befindlichen und eingeschalteten Radargeräts nicht beobachtet hat. Das war ihm schon deshalb nicht möglich, weil er, der sich allein im Steuerhaus seines Fahrzeugs befand, nach Sicht fuhr, deshalb die Fenster nicht verdunkeln konnte, ohne eine derartige Maßnahme das Radarbild für ihn aber kaum erkennbar war. Auch ist ein Schiffer, der nach Sicht fährt, grundsätzlich nicht gehalten, daneben das Radargerät zu benutzen, weil das vielfach zu ungenauen Beobachtungen, Mißverständnissen und Unsicherheiten führen kann.
Da das Berufungsgericht bei der Abwägung der Schwere des auf beiden Seiten obwaltenden Verschuldens (§§ 92 BinnSchG a. F., 736 Abs. 1 HGB) zu Lasten von V nicht in Betracht gezogen hat, daß dessen Führung auch deshalb ein Verschulden an der Kollision trifft, weil sie einen unzuverlässigen Übergang gemacht hat, kann die bisherige Schuldverteilung (1 : 1) keinen Bestand haben.
Sie ergibt, daß das Verschulden auf seiten der Führung des V ganz erheblich schwerer wiegt als das der Führung von U. Während die letztere im wesentlichen lediglich die Lage falsch eingeschätzt und deshalb irrtümlich mit einem Verbleiben des Bergfahrers auf seiner bisherigen Stromseite gerechnet hat, ist V praktisch blind durch den dichten Nebel gefahren und hat dann auch noch einen in solcher Lage besonders gefährlichen Ubergang ausgeführt. Beides wiegt wegen der großen Gefahren, die damit für den Schiffsverkehr verbunden waren, außerordentlich schwer. Deshalb muß die Klägerin drei Viertel ihres Schadens selbst tragen.