Banque de données de juriprudence

II ZR 44/73 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Date du jugement: 24.06.1974
Numéro de référence: II ZR 44/73
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Règle du droit: § 3 Abs. 1 BSchG (bis zum 5. 9. 1972 geltende Fassung -a. F.-)
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Die Anwendung des § 3 Abs. 1 BSchG (bis zum 5. 9. 1972 geltende Fassung -a. F.-) setzt nicht nur das Verschulden eines Angehörigen der Schiffsbesatzung, sondern gegen diesen einen bestehenden Anspruch wegen Verschuldens nach schiffahrtsrechtlichen oder allgemeinen bürgerlichrechtlichen Vorschriften voraus.

2) Die Vorschriften § 92 BSchG (a. F.) und § 735 HGB treten bei einem Schiffszusammenstoß nicht als Spezialregelung an die Stelle des § 3 Abs. 1 BSchG, sondern betreffen nur einen Anwendungsfall des in § 3 Abs. 1 BSchG ausgesprochenen allgemeinen Grundsatzes, wonach ein Schiffseigner nur für ein schuldhaftes Verhalten der Besatzung einzustehen hat.

3) Zum Verhalten eines Schiffsführers bei plötzlicher Manövrierunfähigkeit seines Motorschiffs auf der Talfahrt im Neuen Fahrwasser.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 24. Juni 1974

II ZR 44/73

(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Auf Höhe von Bingen fuhren das der Beklagten gehörende, beladene MS „BT" und das in einem Abstand von zunächst 150 m folgende - ebenfalls beladene - MS „V" der Klägerin in langsamer Fahrt rheinabwärts. Zur Vermeidung eines Auflaufens auf ein vorausfahrendes Küstenmotorschiff stellte der Schiffsführer von MS „BT" die Maschine ab. Nachdem der Lotse an Bord gekommen war, sprang jedoch die Maschine wegen eines Bruches der Steuerluftleitung nicht an.
Das Fahrzeug trieb, gefolgt von dem immer dichter auflaufenden MS „V", an der Mäuseturminsel vorbei, und stach im oberen Teil des Neuen Fahrwassers mit dem Bug in das linke Ufer ein, wobei es beide Buganker setzte. Das Hinterschifif schwenkte darauf über Steuerbord herum und kollidierte mit MS „V", das versucht hatte, zwischen MS „BT" und der an der rechten Seite des Neuen Fahrwassers befindlichen Längskribbe mit verstärkter Maschinenkraft hindurchzufahren. MS „V" wurde auf die Längskribbe gedrückt und sank infolge der erlittenen Schäden unterhalb des Neuen Fahrwassers.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadenersatz von 276000,- DM, da der Unfall auf anfänglicher Fahruntüchtigkeit des MS „BT" und auf nautischem Versagen seiner Schiffsführung beruhe.

Die Beklagte bestreitet diese Behauptungen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, die Klage jedoch abgewiesen, soweit auch eine Verurteilung der Beklagten wegen unbeechränkt persönlicher Haftung verlangt worden war.
Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach Ansicht des Berufungsgerichts war MS „BT" bei Reiseantritt fahrtüchtig. Deshalb komme eine unbeschränkt persönliche Haftung der Beklagten nach §§ 8 BinnSchG, 10 RheinSchPolVO 1954 nicht in Betracht. Hingegen hafte sie für die den Interessenten des MS „V" entstandenen Unfallschäden nach den §§ 3, 4, 114 BinnSchG beschränkt persönlich, weil „das Verhalten der Besatzung des MS „BT" nach dem Ausfall der Maschine nicht frei von schadensursächlichen nautischen Fehlern" gewesen sei.

Nach § 3 Abs. 1 BinnSchG in der bis zum 5. September 1972 geltenden Fassung (vgl. Art. 2 Nr. 1 und Art. 5 des Gesetzes zu dem Ubereinkommen zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen sowie zur Änderung des Binnenschiffahrtsgesetzes und des Flößereigesetzes vom 30. August 1972 - BGBI. 11 1005) ist der Schiffseigner für den Schaden verantwortlich, welchen eine Person der Schiffsbesatzung einem Dritten durch ihr Verschulden in Ausübung ihrer Dienstverrichtungen zufügt. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt allerdings nicht nur das Verschulden eines Angehörigen der Schiffsbesatzung voraus, sondern daß gegen diesen wegen seines Verschuldens ein A n s p r u c h, sei es auf Grund der schiffahrtsrechtlichen oder der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften, besteht (BGHZ 26. 152, 157; BGH, Urt. v. 3. 12. 64 - LM Nr. 5 zu § 3 BinnSchG). Das ist in dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich ausgeführt, zwingt deshalb aber nicht, wie die Revision meint, zu dessen Aufhebung. Denn abgesehen davon, daß es wegen der adjektizischen Haftung des Schiffseigners auch Sache des Senats ist, selbst zu prüfen, ob ein derartiger Anspruch gegen ein Mitglied der Besatzung des MS „BT" gegeben ist, geht das Berufungsgericht, wie der Zusammenhang seiner Darlegungen ergibt, von dem Bestehen eines solchen Anspruchs gegen Schiffsführer D. aus.

Nach § 92 BinnSchG in der bis zum 5. September 1972 geltenden Fassung in Verbindung mit § 735 HGB ist im Falle eines Zusammenstoßes von Schiffen, sofern dieser durch das Verschulden der Besatzung eines der Schiffe herbeigeführt ist, der Eigner dieses Schiffes zum Schadenersatz verpflichtet. Die genannten Vorschriften treten nicht, wie die Revision meint, bei einem Schiffszusammenstoß als Spezialregelung an die Stelle des § 3 Abs. 1 BinnSchG. Vielmehr betreffen sie - im Rahmen der auf dem Brüsseler Übereinkommen vom 23. September 1910 beruhenden Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen - lediglich einen Anwendungsfall des allgemeinen, in § 3 Abs. 1 BinnSchG ausgesprochenen Grundsatzes, wonach der Schiffseigner nur für ein schuldhaftes  Verhalten der Besatzung einzustehen hat (Vortisch/ Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. Anm. 7 a zu § 92 BinnSchG). Falls daher das Berufungsgericht, wie die Revision wegen der Nichterwähnung der §§ 92 BinnSchG, 735 HGB in dem angefochtenen Urteil annimmt, den Schadenersatzanspruch der Interessenten des MS „V" nicht nach diesen Vorschriften, sondern lediglich nach § 3 Abs. 1 BinnSchG geprüft haben sollte, so ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Wird ein Motorschiff infolge Ausfalls der Maschine manövrierunfähig, so muß es - erforderlichenfalls -vier kurze Töne geben (§ 24 Nr. 1 Buchst. e RheinSchPolVO 1954; vgl. auch Anlage 6 RheinSchPolVO 1970). Außerdem muß es alle Vorsichtsmaßregeln treffen, welche die allgemeine Sorgfaltspflicht und die berufliche Übung gebieten, um eine Beschädigung anderer Fahrzeuge oder eine Behinderung der Schiffahrt zu vermeiden (§ 4 RheinSchPolVO 1954; § 1.04 RheinSchPolVO 1970). Dazu gehört, daß das manövrierunfähige Fahrzeug unverzüglich das Fahrwasser so weit wie möglich frei macht und ständig wird. Stehen dem besondere Umstände entgegen, so muß es Hilfe anfordern (vgl. § 91 RheinSchPoIVO 1954 sowie §§ 3.46 und 4.01 Nr. 4 RheinSchPolVO 1970). Keinesfalls darf es sich einfach treiben lassen, insbesondere dort nicht, wo schwierige Fahrwasserverhältnisse vorliegen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat MS „BT" Schallzeichen nach § 24 Nr. 1 Buchst. e) RheinSchPolVO 1954 erstmals etwa auf Höhe des Mühlsteins (Rhein-km 529,100; vgl. Weska 1973 S. 435) gegeben, nachdem Schiffsführer D. zuvor „einen letzten Versuch unternommen hatte, selbst im Maschinenraum den Fehler aufzudecken und die Maschine doch noch in Gang zu bringen". Zu diesem Zeitpunkt war MS „BT" noch über 1000 m von dem wegen seiner Strömungsverhältnisse besonders schwierig zu befahrenden Neuen Fahrwasser (Rhein-km 530,300 bis 531,400) entfernt. Erfahrungsgemäß ist eine solche Strecke mehr als ausreichend, um ein Fahrzeug nach dem Ausfall der Maschine mit Hilfe von Ruder- und Ankermanövern aus dem Fahrwasser zu bringen und ständig zu machen. Das kann auch die Revision nicht bezweifeln. Sie meint jedoch im Gegensatz zu den von ihr angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts, vorliegend sei die Gefahr eines Ankerverlustes so groß gewesen, daß das Präsentieren der Bug- oder Heckanker für MS „BT" ein unzumutbares Risiko gewesen sei. Dann aber hätte sich dieses Fahrzeug mit besonderer Sorgfalt um die Hilfe Dritter bemühen müssen. Das hat jedoch nach den weiteren Darlegungen des Berufungsgerichts nicht im hinreichenden Maße getan. Zwar habe MS „BT" das mit einem Anhang zu Berg kommende Vorspannboot „G" zu Hilfe gerufen. Von diesem Boot habe es aber, wie die Ereignisse gezeigt hätten, keine rechtzeitige Hilfe erwarten können, denn „G" habe erst seinen Anhang loswerfen, zu Tal wenden und MS „BT" folgen müssen. Stattdessen hätte MS „BT" dem ihm folgenden MS „V" eine Wahrschau geben und dieses Fahrzeug um Hilfe bitten müssen, weil es nur die Maschinenkraft hätte unwesentlich hätte einsetzen müssen, um neben das treibende MS „BT" zu kommen, die Schiffe aneinander zu mehren und den Havaristen sodann s i c h e r durch das Neue Fahrwasser zu bringen. Letzteres bezweifelt zwar die Revision, weil das Berufungsgericht bei der Prüfung eines etwaigen Mitverschuldens des MS „V" von den möglichen Risiken einer Hilfeleistung durch dieses Fahrzeug gesprochen hat. Hier übersieht sie jedoch, daß das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang lediglich auf die möglichen Risiken einer ungebetenen Hilfe hingewiesen hat.
Da es Schiffsführer D. jedenfalls schuldhaft unterlassen hat, MS „V" um Hilfe zu bitten, und da dieses Fahrzeug, wie anschließend auszuführen sein wird, kein Mitverschulden an der Kollision trifft, kann auch unerörtert bleiben, ob die Annahme des Berufungsgerichts, das Hineinstechen des MS „BT" in das linke Ufer des Neuen Fahrwassers sei ebenfalls nautisch fehlerhaft gewesen, zutreffend ist oder ob die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision begründet sind.
Das Berufungsgericht hat jegliches Mitverschulden des MS „V" an der Kollision verneint, weil diesem Fahrzeug weder vorgeworfen werden könne, daß es dem treibenden MS „BT" zu dicht aufgelaufen sei, noch daß es den Havaristen nicht von sich aus auf Seite genommen und durch das Neue Fahrwasser gebracht habe; auch sei es nicht fehlerhaft gewesen, daß MS „V" versucht habe, unter Fahrtverstärkung zwischen MS „BT" und der Längskribbe an der rechten Seite des Neuen Fahrwassers hindurchzufahren.
Die Revision greift diese Ausführungen an (wird ausgeführt).
Diese Ausführungen beachten nicht die besonderen, vom Berufungsgericht festgestellten Gegebenheiten des Falles. Danach hat MS „V" zunächst zurückgeschlagen, um ein zu dichtes Auflaufen an das treibende MS „BT" zu vermeiden. Die Folge davon war jedoch, daß MS „V" leicht verfiel und nunmehr wieder die Maschine einsetzen mußte, um wieder genügend Druck auf dem Ruder für das Befahren der nicht leichten Strecke oberhalb und innerhalb des Neuen Fahrwassers zu haben. Ein dadurch bewirktes Näherkommen an MS „BT" kann aber nicht als ein schuldhaftes Verhalten von MS „V" angesehen werden, da es die zwangsläufige Folge einer für die Sicherheit des Schiffes unabweisbaren Maßnahme war.