Banque de données de juriprudence
Leitsatz:
Aneinander vorbeifahrende Schiffe haben zu berücksichtigen, daß der von den Fahrzeugen ausgehende Druck und Sog um so größer ist, je höher ihre Geschwindigkeit ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 5. Mai 1977
II ZR 42/75
(Schiffahrtsobergericht Hamm)
Zum Tatbestand:
Das beladene, bei der Klägerin versicherte MS R begegnete auf der Talfahrt nach einer starken Rechtskrümmung der Weser bei km 258,2 steuerbords dem beladenen, der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten TMS E. Dabei hatte MS „Regina" mit dem Heck Grundberührung und erlitt Schäden am Ruder.
Die Klägerin verlangt Ersatz des erstatteten Schadens in Höhe von ca. 25 000,- DM, weil der Beklagte zu 2 mit unvermindert hoher Geschwindigkeit an MS R vorbeigefahren und der Talfahrer dadurch mit dem Heck auf Grund geraten sei.
Die Beklagten bestreiten dies und behaupten, daß die Geschwindigkeit des TMS E rechtzeitig und genügend herabgesetzt worden sein. Der Talfahrer sei in der Rechtskrümmung zu weit nach links gefahren und bei dem Versuch, mit Steuerbordkurs aus dem Hang herauszukommen, mit dem Achterschiff noch weiter nach Backbord und dort auf eine Untiefe geraten.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Schifffahrtsobergericht hat ihr dem Grunde nach stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Daß aneinander vorbeifahrende Schiffe sich - insbesondere in einem engen Fahrwasser oder bei niedrigem Wasserstand - wechselseitig beeinflussen, ist in Schiffahrtskreisen allgemein bekannt (vgl. auch Miller, Untersuchungen über die gegenseitige Kursbeeinflussung von Schiffen auf Binnenwasserstraßen, Schiff und Hafen 1967, 393 ff., sowie Miller, Untersuchungen über die wechselseitige Beeinflussung der Absenkung bei aneinander vorbeifahrenden Schiffen, Zeitschrift für Binnenschiffahrt 1969, 465 ff.). Ebenso weiß jeder Schiffsführer, daß der von seinem Fahrzeug ausgehende Druck und Sog um so größer ist, je höher dessen Geschwindigkeit ist. Fährt daher ein Schiff an einem anderen Fahrzeug mit zu hoher Geschwindigkeit vorbei, so muß seine Führung damit rechnen, daß dieses Fahrzeug außergewöhnlich stark absinken oder seitlich versetzt werden kann. Das alles berücksichtigt die Revision nicht genügend, soweit sie meint, der Beklagte zu 2 habe nicht in Rechnung stellen müssen, daß das Heck des Talfahrers um einige Meter nach Backbord geraten könne. Auch läßt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, daß der Kur des Talfahrers am äußersten Rande der Fahrrinne oder sogar außerhalb derselben verlaufen sei.
Zur Frage eines etwaigen Mitverschuldens der Führung des Talfahrers hat das Berufungsgericht lediglich bemerkt, daß „für eine Verursachung durch eigene Fahrfehler des Schiffsführers von MS R nach dem Sachverständigengutachten jeder Anhaltspunkt" fehle. Da der Sachverständige aber insoweit auch nur ausgeführt hatte, „er sehe keinerlei Anhaltspunkte für ein Mitverschulden des Talfahrers MS R, insbesondere könne man dem Schiffsführer nicht vorwerfen, er habe im Ausgang der Kurve schon früher mehr nach rechts steuern müssen", hat das Berufungsgericht die Mitverschuldensfrage durch den Hinweis auf die Erklärungen des Sachverständigen nicht erschöpfend behandelt. Das rügt die Revision deshalb mit Recht. Allerdings Ist Ihr nicht zu folgen, soweit sie meint, ein Mitverschulden des Talfahrers sei schon anzunehmen, weil er während der Begegnung - angeblich - einen zu großen Seitenabstand zu dem Bergfahrer eingehalten und das Verfallen des Hecks seines Fahrzeugs um einige Meter nach Backbord nicht verhindert habe. Dem steht Im ersten Punkte entgegen, daß Druck und Sog umso stärker und damit gefährlicher gewirkt hätten, je näher der Talfahrer an den Bergfahrer herangegangen wäre, wähend die Revision im zweiten Punkte nicht beachtet, daß das Ausscheren des Hecks die Folge der durch die überhöhte Geschwindigkeit des Bergfahrers entstandenen Druck- und Sogverhältnisse war. Mit Recht weist die Revision hingegen darauf hin, daß sich das Berufungsgericht nicht mit dem Vortrag der Beklagten auseinandergesetzt hat, die Führung des MS R sei verpflichtet gewesen, den Bergfahrer durch ein Achtungsignal zur Herabsetzung seiner Geschwindigkeit zu veranlassen, wenn sie diese für überhöht angesehen hätte. Auch kann es in einem solchen Falle für den Talfahrer geboten gewesen sein, die Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs noch stärker, als von seiner Führung behauptet, herabzusetzen und damit dessen Absenkung Infolge der eigenen Fahrt so weit als möglich zu vermindern. Ist nämlich für die Führung eines Schiffes bei sorgsamer Beobachtung aller Umstände erkennbar, daß sich dieses bei der Begegnung mit einem anderen Fahrzeug bis unter die Solltiefe setzen kann, so ist sie verpflichtet, dieser Gefahr durch jede sachgerechte Maßnahme zu begegnen (BGH, Urt. v. 5. 5. 69 - II ZR 233/67, LM RheinschiffahrtpolizeiVO v. 24. 12. 1954 = VersR 1969, 706).
...“