Banque de données de juriprudence
Leitsatz:
Zur Frage des Anscheinsbeweises für das Verschulden der Schiffsführung, wenn ein Dalben durch eine Schiffsberührung plastisch verformt wird.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 21. April 1977
II ZR 37/75
(Landgericht Aurich; Oberlandesgericht Oldenburg)
Zum Tatbestand:
Die von der Beklagten zu 1 bereederte, vom Beklagten zu 2 geführte „O J" scherte bei der Einfahrt in die Seeschleuse Emden nach Backbord aus und geriet gegen einen Dalben der auf dieser nördlichen Reihe befindlichen Leitdalben.
Die Klägerin verlangt als Eigentümerin der Schleusenanlage wegen der angeblichen plastischen Verformung des Dalben Ersatz des Schadens in Höhe von etwa 42 500,- DM. Der Beklagte zu 2) habe sich mit seinem Fahrzeug mit zu geringer Geschwindigkeit der Schleuseneinfahrt genähert und den Verhältnissen (Wasserdruck auf das Steuerbordschiff infolge der asymetrischen Form des Vorhafenbeckens; kräftige Windböen, zwischen 5 und 9 m/sec von Backbord achtern) nicht genügend Rechnung getragen. Wegen dieser Gegebenheiten sei es falsch gewesen, den stärksten der 4 Schlepper zum Assistieren vorne an Steuerbord anstatt achtern an Backbord einzusetzen. Außerdem habe er beim Ausscheren des Schiffes ein falsches Maschinenmanöver („halbe Kraft voraus" statt „rückwärts") angeordnet.
Die Beklagten bestreiten ein nautisch falsches Verhalten und auch die plastische Verformung des Dalbens infolge der unvermeidbaren Berührung. Zumindest sei der Dalben bereits schadhaft gewesen und habe seine volle Arbeitskraft nicht mehr besessen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Dalben sind allgemein so beschaffen, daß sie Berührungen durch nautisch richtig geführte Schiffe ohne plastische Verformung standhalten. Kommt es daher durch eine Schiffsberührung zu einer solchen Verformung, so spricht der Anscheinbeweis dafür, daß sich die Führung des gegen den Dalben geratenen Schiffes nautisch falsch, verhalten hat, so daß ihr Fahrzeug mit ungewöhnlicher, d. h. die Arbeitskraft des Dalbens übersteigender Wucht gegen diesen geraten ist. Dieser Anscheinsbeweis greift hier zu Gunsten der Klägerin ein, da - nach den rechtlich einwandfreien Feststellungen des Berufungsgerichts - auch der mittlere Leitdalben der nördlichen Dalbenreihe bis zur Berüh¬rung durch die „O J" eine für seine Zweckbestimmung ausreichende Arbeitskraft besessen hat und erst durch dieses Ereignis plastisch verformt worden ist.
Die Beklagten haben den gegen die Führung der „O J" sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Hierfür genügt nicht, wie die Revision meint, schon der Umstand, daß das Fahrwasser im Schleusenvorhafen beengt und die Fahrrinne zwischen den Dalbenreihen nur 40 m breit ist. Das mag der Grund dafür sein, daß einzelne, insbesondere große Fahrzeuge beim Durchfahren des Vorhafens in Richtung Schleuse gegen die Leitdalben geraten können. Jedoch zeigt dieser Umstand allein nicht die Möglichkeit auf, daß eine solche Berührung auch bei nautisch richtigem Verhalten zur plastischen Verformung einzelner Dalben führen kann. Auch hilft der Revision nicht weiter, daß das Vorhafenbecken - aus der Sicht der Schleuse - eine asymetrische Gestalt hat und dadurch der Raum auf der Steuerbordseite der sich der Schleuseneinfahrt nähernden Schiffe wesentlich kleiner als auf der Backbordeite ist. Das bewirkt zwar, daß diese Schiffe während der Fahrt durch den Schleusenvorhafen infolge des höheren Staudrucks des Wassers auf der Steuerbordseite einen Backborddreh erhalten. Dem können sie aber nach den Ausführungen des Berufungsgerichts durch nautisch richtiges Verhalten wirksam begegnen. [...] Es geht nicht darum, ob das Berufungsgericht einen bestimmten nautischen Fehler der Führung der „O J" verfahrensrechtlich einwandfrei festgestellt hat, sondern ob die Beklagten einen möglichen Geschehensablauf aufgezeigt haben, der den gegen die Führung der „O J" sprechenden Anscheinsbeweis entkräftet. Für das letztere könnte allerdings, wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, der Vortrag der Beklagten bedeutsam sein, daß die hydrodynamischen Kräfte im Schleusenvorhafen für die Führung der „O J" wegen der plumpen und bauchigen Form des Schiffskörpers nicht beherrschbar gewesen seien. Indes haben die Beklagten den zum Nachweis dieser Behauptung angekündigten Antrag auf Durchführung eines Modellversuchs „ausdrücklich noch nicht" gestellt. Daß das, wie die Revision annimmt, später geschehen sein soll, ist nicht ersichtlich. Auch liegt kein Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 139 ZPO vor, weil es von sich aus nicht die Frage aufgeworfen hat, ob die Beklagten den angekündigten Beweisantrag noch stellen wollen. Hierzu hatte es schon deshalb keinen Anlaß.
Danach ist davon auszugehen, daß der Beklagte zu 2 die Beschädigung des Dalbens verschuldet hat. Gemäß § 823 Abs. 1 BGB hat er diesen - der Höhe nach nicht weiter bestrittenen - Schaden der Klägerin zu ersetzen.“