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II ZR 34/71 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Date du jugement: 19.02.1973
Numéro de référence: II ZR 34/71
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Begegnungen auf Strom unmittelbar nach der Ausfahrt aus einem Hafen, einem Nebenfluß oder einem Kanal. Die Kursweisung, welche beim Begegnen die Bergfahrer den Talfahrern zu geben haben, gilt grundsätzlich nur für den jeweils nächsten Talfahrer.

Bundesgerichtshof

Urteil

vom 19. Februar 1973

Zum Tatbestand:

Das der Beklagten zu 1 gehörende und vom Beklagten zu 2 geführte und beladene MS A fuhr über Steuer zur Aufnahme der Bergfahrt aus dem Hafenmund in Duisburg-Ruhrort. Nach dem Übergang zur Vorausfahrt hielt es sich rechtsrheinisch und zeigte die blaue Seitenflagge. Zu gleicher Zeit fuhr das beladene, bei der Klägerin federführend versicherte MS M aus dem oberhalb gelegenen Hafenkanal, hißte auf dem Rhein ebenfalls die blaue Seitenflagge und setzte sich, zu Tal fahrend, hinter das etwa in Strommitte zu Tal kommende MS J, welches das MS A ohne Kollision an dessen Steuerbordseite passierte. Anschließend fuhr der Bergfahrer jedoch mit dem Steven gegen die Steuerbordseite von MS M, dessen Vorderschiff wenig später sank.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Ersatz des erstatteten Schadens von ca. 180 000,- DM, weil die Kollision dadurch verursacht worden sei, dass MS A kurz vor der Begegnung mit MS M den Kopf nach Steuerbord genommen habe und dann nach Steuerbord verfallen sei.
Die Beklagten bestreiten dieses Vorbringen und sehen die Ursache der Kollision darin, dass MS M knapp vor dem herankommenden Bergfahrer aus dem Hafenkanal ausgefahren sei, irrtümlich die blaue Seitenflagge des Bergfahrers auf sich bezogen und daher dessen Kurs zwecks einer Steuerbordbegegnung gekreuzt habe. Rheinschiffahrtsgericht und Rheinschiffahrtsobergericht haben den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb ergebnislos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Berechnungen, mit denen die Revision - zur Entlastung des Bergfahrers - ein unzulässiges Ausfahrtmanöver des MS M darzutun sucht, scheitern an der Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Längsabstand zwischen diesem Fahrzeug und dem Bergfahrer etwa noch 130 m betrug, als sich MS M, allerdings noch in Backbordschräglage, in einer Entfernung von 70 bis 80 m hinter das etwa Strommitte, also steuerbords von MS A, zu Tal kommende MS J setzte. Diese Feststellung zeigt, dass es nicht zur Kollision gekommen wäre, wenn der Bergfahrer seinen zunächst etwa 50-60 m neben der Mündungslinie des Hafenkanals verlaufenden Kurs beibehalten hätte, anstatt ihn nach Steuerbord zu ändern. Hierin lag ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO 1954, woraus sich für den Bergfahrer die Pflicht ergab, die zur Strommitte hin erfolgende Ausfahrt des MS M durch Beibehaltung des bis dahin gefahrenen Kurses zu unterstützen. Ferner verletzte der Bergfahrer durch die Steuerbordkursänderung auch die Vorschrift des § 38 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954, wonach er gehalten war, der Talfahrt einen geeigneten Weg für die Begegnung freizulassen. Das war hier bei einer Backbordbegegnung nicht der Fall, weil sie zwangsläufig zur Kollision zwischen dem Bergfahrer und MS M führen musste. Außerdem verstieß MS A durch die Kursänderung nach Steuerbord gegen die Vorschrift des § 37 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954, welche bestimmt, dass beim Begegnen oder Uberholen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, ihren Kurs nicht in einer Weise ändern dürfen, welche die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte.

Die Hinweise der Revision auf das Urteil des Senats vom 29. Oktober 1962, das die Kollision eines Bergfahrers mit einem aus der Ruhr in den Rhein fahrenden Schiff zum Gegenstand hatte, vermögen MS A schon deshalb nicht zu entlasten, weil jener Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Dort befand sich der Bergfahrer weniger als 300 m unterhalb, als das ausfahrende Fahrzeug die Mündungslinie der Ruhr passierte, wogegen dieser Abstand hier rd. 350 m betrug. Dort verlief der Kurs des Bergfahrers mindestens 100 m neben der rechten Stromgrenze, hier bei der Ausfahrt des MS M nur 50-60 m. Dort kam der Bergfahrer „mit guter Fahrt" heran, während er hier eine Geschwindigkeit von lediglich 2,5-3 km/st einhielt. Im übrigen geht es hier - anders als in dem damals zu beurteilenden Falle - in erster Linie um die Frage, ob MS A die - zulässige - Ausfahrt des MS M in der gebotenen Weise unterstützt und diesem Fahrzeug, nachdem es sich - erlaubterweise - in den Kurs der Talfahrt eingereiht hatte, einen geeigneten Weg für die Begegnung freigelassen hat.
Da der Bergfahrer nicht genötigt war, wegen der Ausfahrt des MS M aus dem Hafenkanal unvermittelt den Kurs oder die Geschwindigkeit zu ändern, war die Ausfahrt, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, zuverlässig (§ 50 Nr. 3 Satz 1 RheinSchPolVO 1954).

MS M hat auch nicht, wie die Revision meint, die Vorschrift des § 50 Nr. 2 und Nr. 3 Satz 2 RheinSchPolVO 1954 verletzt, weil es zunächst das Schallzeichen „3 x lang, 1 x kurz" gab - das übrigens von dem Bergfahrer nicht gehört worden ist -, nach dem Verlassen des Hafenkanals aber nicht unmittelbar gestreckt zu Tal, sondern in Talschräglage zur Strommitte fuhr, um sich dort in den Kurs der Talfahrt einzureihen. Denn darin lag keine zu diesem Zeichen in Widerspruch stehende Querfahrt. Die gegenteilige Auffassung (vgl. BGH VersR 1962, 1200, 1201 - Urt. v. 29. 10. 1962 - II ZR 192/60) hat der Senat bereits in dem Urteil vom 20. Oktober 1969 - II ZR 39/68 (VersR 1970, 34 ff)') aufgegeben. Auch wäre eine Querfahrt des MS M, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ebenfalls erlaubt gewesen, weil auch sie den Bergfahrer nicht gezwungen hätte, unvermittelt den Kurs oder die Geschwindigkeit zu ändern (vgl. § 47 Nr. 1 RheinSchPolVO 154).
Die Frage, ob MS M die blaue Seitenflagge des Bergfahrers zu früh auf sich bezogen und erwidert hat, hat das Berufungsgericht dahin beantwortet, es sei jedenfalls unter den gegebenen Umständen die sicherste Art gewesen, mögliche Missverständnisse über den Begegnungskurs zwischen MS M und MS A zu vermeiden, wenn sich MS M unter Erwiderung der blauen Seitenflagge des Bergfahrers in den Kurs der übrigen Talfahrer eingereiht habe. Hierzu ist zu bemerken:
MS M war nach dem Passieren der Mündungslinie des Hafenkanals Talfahrer. Als solcher hatte es bei Begegnungen mit der Bergfahrt den Weg zu nehmen, den ihm diese nach § 38 RheinSchPolVO 1954 wies (§ 39 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954). Auch hatte es nach § 39 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954 die Sichtzeichen zu erwidern, welche ihm die Bergfahrt nach § 38 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 gab (blaue Seitenflagge oder weißes gewöhnliches Blinklicht). Nun gilt aber, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, die Festlegung des Begegnungskurses durch einen Bergfahrer grundsätzlich nur für den jeweils nächsten Talfahrer. Das ist zwar in der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung nicht ausdrücklich ausgesprochen, ergibt sich aber aus den für den Bergfahrer allein vorgesehenen Weisungsmöglichkeiten (kein Zeichen bei einer Backbordbegegnung; blaue Seitenflagge oder weißes Blinklicht bei einer Steuerbordbegegnung), welche es nicht gestatten, bereits vor Beendigung der Vorbeifahrt des nächsten Talfahrers dessen Nachkommer eine Kursweisung nach § 38 Nr. 2 oder Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 (jetzt: § 604 Nr. 2 oder Nr. 3 RheinSchPolVO 1970) zu erteilen. Da MS M die Ausfahrt aus dem Hafenkanal so angelegt hatte, dass seine Begegnung mit MS A erst auf die Begegnung zwischen diesem Fahrzeug und MS J folgte, war es nach dem Verlassen des Hafenkanals für MS A nicht der nächste Talfahrer. Geht man daher bei der Prüfung der Frage, von wann ab MS M die blaue Seitenflagge des Bergfahrers auf sich zu beziehen und zu erwidern hatte, von dem vorstehend dargelegten Grundsatz aus, so durfte dies nicht vor der Beendigung der Begegnung zwischen MS A und MS J geschehen (vgl, auch § 38 Abs. 3 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954). Mit einer Anwendung dieses Grundsatzes wird man aber den besonderen Gegebenheiten des hier zu beurteilenden Unfallgeschehens nicht voll gerecht. Allerdings kann dem MS M nicht, wie das Rheinschiffahrtsgericht gemeint hat, in diesem Punkte die Rechtsprechung des Senats weiterhelfen, wonach der Bergfahrer einem Fahrzeug, das einen Hafen verlassen will, eine Kursweisung nach § 38 RheinSchPolVO 1954 schon vor dessen Hafenausfahrt geben und die Weisung von dem Ausfahrenden - soweit § 39 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954 eine Erwiderung vorschreibt - erwidert werden muss, sofern vorauszusehen ist, dass es zwischen dem Bergfahrer und dem Ausfahrenden zu einer Begegnung auf dem Strom kommen wird und die - vorzeitige - Zeichengebung zur Klarheit über den Begegnungskurs erforderlich ist (BGH LM Nr. 47 zu RheinschiffahrtpolizeiVO v. 24. 12. 1954 = Urteil v. 23. 6. 1969 - 1I ZR 251/67; VersR 1972, 1432) - Urteil v. 9. 12. 1971 - II ZR 19/703). Denn durch diese Rechtssprechung hat der Satz, dass die Kursweisung eines Bergfahrers nach § 38 RheinSchPolVO 1954 grundsätzlich nur für die jeweils nächste Begegnung gilt, keine Änderung erfahren. Jedoch ist hier zu Gunsten des MS M in Betracht zu ziehen, dass es nach dem von ihm gewählten - zulässigen - Ausfahrtkurs unmittelbar hinter MS J gelangen musste, diesem Fahrzeug bereits der Kurs zu einer Steuerbordbegegnung von dem Bergfahrer gewiesen war und MS A dem nachfolgenden MS M praktisch nur dieselbe Kursweisung erteilen konnte, wenn es zu keiner Kollision zwischen diesen beiden Fahrzeugen kommen sollte. Der Fall liegt demnach nicht anders als bei der Begegnung zwischen einem Bergfahrer und einer Reihe von in Kiellinie einander folgenden Talfahrern, die der Bergfahrer wegen der von ihnen eingehaltenen - geringen - Abstände entweder alle nur an seiner Backbordseite oder alle nur an seiner Steuerbordseite gefahrlos vorbeifahren lassen kann, so dass die Kursweisung für die erste Begegnung zwangsläufig auch die weiteren Begegnungskurse festlegt. Infolgedessen erstreckt sich hier die dem ersten Talfahrer erteilte Kursweisung praktisch auch auf die nachfolgenden Begegnungen. Deshalb erscheint es nicht unzulässig und stellt insbesondere kein unerlaubtes „Ansichreißen" der Weisungsbefugnis des Bergfahrers durch einen der nachfolgenden Talfahrer dar, wenn dieser die blaue Seitenflagge zeigt, bevor sein Vordermann an der Steuerbordseite des mit beigesetzter blauer Seitenflagge herankommenden Bergfahrers vorbeigefahren ist. Das entspricht auch der tatsächlichen Handhabung der Dinge durch die Schiffer in derartigen Fällen. Aus dieser Sicht lag aber zumindest von dem Zeitpunkt ab, von welchem sich MS M in die Kurslinie der Talfahrt unmittelbar hinter MS J einreihte, kein Verstoß dieses Fahrzeugs gegen die Vorschriften der §§ 38, 39 RheinSchPolVO 1954 (mehr) vor. Im übrigen konnte die blaue Seitenflagge des MS M zu keinem Zeitpunkt zu Missverständnissen über den Begegnungskurs mit MS A führen, so dass ein etwaiges zu frühes Setzen der Flagge für die Kollision jedenfalls ohne Bedeutung war.