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Leitsatz:
Zeigt der Bergfahrer der Talfahrt die blaue Seitenflagge nicht am Ende, sondern in der Mitte des Flaggenstockes, so weist er dieser nicht den Weg für eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 20. April 1970
II ZR 34/68
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das der Klägerin gehörende, beladene MS R stieß auf der Bergfahrt bei km 798,8 mit einem Talschleppzug zusammen, der aus dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten Schlepper F und den leeren, nebeneinander gemehrten und auf kurzem Strang hängenden Kähnen O und A bestand.
Die Klägerin, deren Schiff bei dem Zusammenstoß schwer beschädigt wurde, verlangt Ersatz des Schadens von fast 83 000,- DM mit der Behauptung, daß der Talschleppzug entgegen der Weisung des Bergfahrers, an Backbord vorbeizufahren, seinen Kurs nach Backbord zwecks Steuerbordbegegnung gerichtet habe. Das Boot habe bis zum Zusammenstoß die blaue Seitenflagge gezeigt.
Die Beklagten tragen vor, daß der Bergfahrer dem Talschleppzug den Weg für eine Steuerbordbegegnung gewiesen, sodann aber entgegen dieser Weisung den Kurs nach Steuerbord geändert habe.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zur Hälfte, das Rheinschiffahrtsobergericht hat sie zu 3/4 für gerechtfertigt erklärt. Die Beklagten erstreben mit der Revision die Abweisung der Klage insoweit, als ihr zu mehr als dem Grunde nach zu 3/4 entsprochen worden ist. Das Revisionsgericht hat im Ergebnis das erstinstanzliche Urteil bestätigt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, daß der Bergfahrer dem Talschleppzug die Weisung gegeben habe, an seiner Backbordseite vorbeizufahren. Es meint, ein Bergfahrer weise durch das Setzen der blauen Seitenflagge der Talfahrt nur dann den Weg für eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord, wenn er die Flagge, wie in § 38 Nr. 3a RheinSchPVO vorgeschrieben, „am Ende einer Stange" zeige. Das Berufungsgericht ist weiter der Auffassung, daß durch eine „nicht bis zur Unsichtbarkeit eingezogene" blaue Seitenflagge Unklarheit über die Kursweisung des Bergfahrers entstehen könne. In einem derartigen Falle erlangten aber die in § 38 Nr. 3 RheinSchPVO als zusätzliche Weisungsmittel vorgesehenen Schallzeichen besondere Bedeutung. Gebe, wie im Streitfall, der Bergfahrer das Schallzeichen für eine Begegnung Backbord an Backbord, so beseitige er dadurch die infolge der unklar gesetzten blauen Seitenflagge entstandene Unsicherheit über den der Talfahrt gewiesenen Weg.
Die Angriffe der Revision gegen diese Ausführungen sind unbegründet.
a) Zeichen und Lichter sind für die Sicherheit des Schiffsverkehrs unentbehrlich. Sie können aber nur dann diesen Zweck erfüllen, wenn sie ausschließlich in der vorgeschriebenen oder zugelassenen Weise gebraucht werden. Nur dann wird jeglicher Zweifel an der Bedeutung eines bestimmten Zeichens oder Lichtes ausgeschlossen. Wie wichtig für den Schiffsverkehr der richtige Gebrauch eines Zeichens oder Lichtes ist, zeigt das in §25 RheinSchPVO und in §25 BSchSO ausgesprochene Verbot, andere als die in der jeweiligen Polizeiverordnung vorgesehenen Zeichen und Lichter zu gebrauchen oder sie unter anderen als denjenigen Umständen zu benutzen, für die sie vorgeschrieben oder zugelassen sind. Zu diesem Verbot muß aber im Interesse der Sicherheit des Schiffsverkehrs die Regel treten, daß unter das Verbot fallende Zeichen und Lichter jedenfalls für den Verkehr unbeachtlich sind, wenn durch sie Weisungen an Dritte erteilt werden sollen. Zutreffend hat daher das Berufungsgericht ausgeführt, daß die blaue Seitenflagge des Bergfahrers kein Zeichen i.S.d. § 38 Nr. 3a RheinSchPVO darstellte, weil sie nicht, wie in dieser Bestimmung vorgeschrieben, am Ende des Flaggenstockes gezeigt wurde, sondern, wie die Angaben des Beklagten zu 2 im Verklarungsverfahren verdeutlichen, nur etwa in der Mitte des Flaggenstockes saß und damit für andere Verkehrsteilnehmer nicht erkennbar war, ob die Flagge lediglich nachlässig gesetzt oder aus Nachlässigkeit nichtvollständig eingezogen war. Wenn demgegenüber die Revision die Frage, ob die blaue Seitenflagge des Bergfahrers im Sinne der letztgenannten Bestimmung gesetzt war, nach der Verkehrsauffassung und unter Berücksichtigung der von ihr als Erwiderungszeichen (§ 39 Nr. 2 RheinSchPVO) angesehenen blauen Seitenflagge des Bootes beurteilt wissen will, so kann ihr nicht gefolgt werden. Eine derartige, sich zumindest nicht allein an der Vorschrift des § 38 Nr. 3a RheinSchPVO orientierende Beurteilung eines Begegnungszeichens kann nur zur Unsicherheit im Verkehr führen.
b) Ist demnach im Streitfall davon auszugehen, daß der Bergfahrer dem Talschleppzug nicht die Weisung erteilt hat, an Steuerbord vorbeizufahren, so konnte sein Verhalten nur dahin verstanden werden, daß er von dem Talschleppzug eine Begegnung Backbord an Backbord gefordert hat (§ 38 Nr. 2 RheinSchPVO). Diese Weisung hat er sodann durch die Abgabe des in § 38 Nr. 4 RheinSchPVO vorgesehenen Schallzeichens bestätigt. Wenn die Führung des Bootes das Zeichen nicht wahrgenommen hat, so geht das zu ihren Lasten.
Das Berufungsgericht erblickt ein Mitverschulden der Führung des Bergfahrers lediglich darin, daß sie die blaue Flagge nicht vollständig eingezogen hatte und dadurch das Mißverständnis des Beklagten zu 2 über die Kursweisung des Bergfahrers bewirkte. Der Revision ist zuzugeben, daß das Berufungsgericht mit dieser Würdigung das Verhalten der Führung des Bergfahrers nicht erschöpfend beurteilt hat. Dieser ist auch zum Vorwurf zu machen, daß sie, die durch klare Weisung für eine gefahrlose Begegnung mit dem Talschleppzug zu sorgen hatte, die Ursache des Mißverständnisses des Beklagten zu 2 selbst dann nicht beseitigte, als sie, wie Schiffsführer B. (MS R) im Verklarungsverfahren eingeräumt hat, an der blauen Seitenflagge des Bootes erkannte, daß dessen Führung ihre Kursweisung offenbar falsch verstanden hatte. Zudem hätte der Bergfahrer bereits in diesem Augenblick die Maschine stoppen müssen und nicht mit halber Kraft weiterfahren dürfen, um mehr Zeit für eine Klärung des Mißverständnisses zu gewinnen.
Eine Zurückverweisung der Sache zur erneuten Abwägung des beiderseitigen Verschuldens durch das Berufungsgericht ist nicht erforderlich. Vielmehr kann der Senat die nach §§ 92 BSchG, 736 Abs. 1H GB, 254 BGB vorzunehmende Schuldverteilung selbst durchführen, weil ihm alle hierfür erforderlichen Unterlagen vorliegen (BGH LM § 254 (G) BGB Nr. 3; VersR 1969, 343, 345). Nimmt man in Betracht, daß die Führung des Bergfahrers die erste Unfallursache gesetzt, die Quelle des von ihr erkannten Mißverständnisses des Beklagten nicht, wie es ihre Pflicht gewesen, beseitigt und die Gefahr einer Kollision nicht durch ein sofortiges Stoppen der Maschine - zumindest - verringert hat, so erscheint es angemessen, daß sie trotz der schweren Fehler des Beklagten zu 2 nicht nur 1/4, sondern - entsprechend der Schuldverteilung des Rheinschiffahrtsgerichts - die Hälfte ihres Unfallschadens zu tragen hat."