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Leitsätze:
1) Durch eine defekte Ruderanlage eines Schleppkahnes hervorgerufene Kursabweichungen dieses und eines anderen mit ihm längsseits gekoppelten Kahnes.
2) Ein Abstand von 30-50 m bei der Überholung eines Schleppzuges ist im allgemeinen ausreichend.
3) In der Regel sind die dadurch hervorgerufenen Sogwirkungen so schwach, dass ihnen durch Steuerung der überholten Schiffe begegnet werden kann.
4) Ein Rheinschifffahrtsobergericht ist aufgrund seiner allgemeinen Erfahrung befähigt, normale Fälle von Sogwirkungen überholender Schiffe ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen zu beurteilen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 27. Januar 1969
(Rheinschifffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das der Streithelferin gehörende Boot „SM" schleppte den der Beklagten gehörenden Kahn „D 126" und den backbords daneben gemeerten, bei der Klägerin versicherten Kahn „M 5" von Bingen zu Tal mit Kurs durch das Neue Fahrwasser. Als der Kapitän des dem Schleppzug folgenden, ebenfalls der Beklagten gehörenden MS „D 209" feststellte, dass seine durch das Binger Loch beabsichtigte Fahrt vom Mäuseturm freigegeben war, überholte er den Schleppzug steuerbords etwa in Höhe des Nahe-Grundes. Bei der Einfahrt in das Neue Fahrwasser fuhr „M 5" auf die „Kopfleyen" an der Mäuseturminsel auf und wurde so beschädigt, dass er unterhalb des Neuen Fahrwassers auf Grund gesetzt werden musste.
Bei „D 126" war etwa 2 Wochen vorher durch eine Anfahrung das linke Blatt des dreiflächigen Ruders beschädigt worden. Die Beklagte ließ daraufhin die beiden Seitenruder abschweißen, die nicht zu der ursprünglichen Ruderanlage gehörten, sondern erst später am Einflächenhauptruder angebracht worden waren, um das Steuern zu erleichtern. Die Ruderanlage von „D 126" wurde nach der Havarie von „M 5" durch die Schiffsuntersuchungskommission Mainz untersucht. Hierbei wurde festgestellt, dass am Ruderquadranten starke Abnutzungserscheinungen vorhanden waren. Diese Feststellung führte dazu, dass „D 126" nur die Erlaubnis für eine einmalige Fahrt und diese auch nur unter der Bedingung erteilt wurde, allein, ohne beigekoppelten Anhang, zu fahren und das mittlere Zahnsegment des Quadranten gegen ein Seitensegment noch vor der Abfahrt in Bingen auszuwechseln. Die Beklagte ließ daraufhin das mittlere Segment ausbauen und an den mittleren Zähnen Teile aufschweißen, damit das Ruder wieder weniger Spiel bekam. Nachdem die Firma, die die Seitenblätter des Ruders abgeschweißt hatte, mitgeteilt hatte, das Ruder sei unter Wasser in Ordnung, ließ die Schiffsuntersuchungskommission Mainz ihre Forderung auf Ausbesserung der Ruderanlage fallen. Die Klägerin verlangt Ersatz des von ihr erstatteten Schadens an „M 5" und seiner Ladung in Höhe von etwa 137000,- DM und behauptet, dass „D 209" das Überholmanöver mit zu hoher Geschwindigkeit und zu kurzem Seitenabstand zu den überholten Schiffen durchgeführt habe, deren Hecks dadurch nach Steuerbord angesaugt worden seien. Infolgedessen seien die Köpfe der geschleppten Kähne nach Backbord abgegangen. Der damit eingeschlagene Backbordkurs sei bis zur Einfahrt in das Neue Fahrwasser nicht mehr zu korrigieren gewesen, weil die Ruderanlage von „D 126" nicht intakt gewesen sei. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, dinglich mit dem MS „D 209" und eventuell auch mit dem Kahn „D 126" und außerdem persönlich im Rahmen der Bestimmungen des Binnenschifffahrtsgesetzes haftend, an sie die geforderten Schadensersatzbeträge zu zahlen. Die Eignerin des Bootes „SM" hat sich als Streithelferin den Anträgen der Klägerin angeschlossen.
Die Beklagte bestreitet das Vorbringen der Klägerin und behauptet, der Unfall sei auf einen falschen Kurs des Schleppbootes, auf die falsche Lage einer Fahrwasserbegrenzungstonne, die den Kurs des Schleppbootes beeinflusst habe, oder darauf zurückzuführen, dass die Steuerbarkeit des Kahns „M 5" durch Kopflastigkeit beeinträchtigt worden sei.
Die Klage wurde vom Rheinschifffahrtsgericht abgewiesen, vom Rheinschifffahrtsobergericht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt mit der Maßgabe, dass die Beklagte dinglich mit dem Kahn „D 126" und im Rahmen der Bestimmungen des Binnenschifffahrtsgesetzes auch persönlich hafte; im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Die Revisionen der Parteien wurden zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
I.
1. Das Berufungsgericht hat den Zustand der Ruderanlage von „D 126" als Unfallursache
angesehen und ausgeführt:
Das nach dem Abschweißen der Seitenruder entstandene große Einflächenruder habe weitergestellt werden müssen, um die gleiche Steuerwirkung zu erzielen, wie bei dem besser wirkenden Dreiflächenruder. Die Anschläge des Ruders seien aber nach dem Abschweißen der Seitenblätter nicht verändert worden. Außerdem hätten die Segmente der Ruderanlage deutlich sichtbare Verschleißerscheinungen gezeigt, die zu den Maßnahmen der Schiffuntersuchungskommission Mainz geführt hätten. Auch die Beklagte habe hinsichtlich des Zustandes ihrer Ruderanlage Bedenken gehabt, wie sich daraus ergebe, dass sie angeordnet gehabt habe, das Schiff auf der Unfallfahrt nicht voll abzuladen. Die Bedienung des Ruders habe auch schon vor der Havarie zu Schwierigkeiten geführt.
Zusammenfassend lasse sich sagen, dass die Ruderanlage von „D 126" mindestens die Fahrt mit einem beigekoppelten Kahn nicht zugelassen habe und dass sich das auf der Unfallfahrt auf allen Schiffen deutlich gezeigt habe. Für die Beklagte seien die sich aus der Beikoppelung eines weiteren Kahns ergebenden Schwierigkeiten voraussehbar gewesen. Sie habe die Beikoppelung verbieten müssen.
2. Die Revision greift diese Ausführungen zu Unrecht an.
a) Sie geht davon aus, das Berufungsgericht habe die Mängel der Ruderanlage darin erblickt, dass „D 126" nach dem Abschweißen der Seitenflächen wie vor deren Anbringung wieder mit dem Einflächenruder gefahren sei. Sie reißt damit einen Satz der Entscheidungsgründe aus dem Zusammenhang und wird dem Berufungsurteil nicht gerecht. Daher gehen ihre Ausführungen darüber, dass mit einem Einflächenruder etwa die gleiche Ruderwirkung zu erzielen sei, wie mit einem Dreiflächenruder, am Berufungsurteil vorbei.
b) Die Revision hält es für unmöglich, dass der Zustand der Zahnsegmente und die nach dem Abschweißen der Seitenblätter unverändert gebliebenen Anschläge des Ruders unfallursächlich geworden sind. Immerhin waren die Verschleißerscheinungen am Mittelsegment derart, dass die Schiffuntersuchungskommission eine Reparatur verlangte und die Beklagte an den mittleren Zähnen Teile aufschweißen ließ. Die Anschläge sind nach dem Abschweißen der Seitenblätter nicht verändert worden, obwohl das hätte geschehen müssen.
c) Damit ist auch der Vorwurf der Revision unberechtigt, das Berufungsgericht habe zur Frage der Unfallursächlichkeit der Ruderanlage von „D 126" einen Sachverständigen anhören müssen.
d) Die Revision will einen logischen (physikalischen) Fehler darin sehen, dass das Berufungsgericht nicht der Ansicht der Beklagten gefolgt ist, beide Anhangkähne hätten überwiegend von „M 5" ausgesteuert werden müssen. Die unterschiedliche Größe der beiden Kähne, ihr verschiedener Tiefgang und die Wasserverhältnisse vor und an der Einfahrt ins Neue Fahrwasser im Zusammenhang mit der Backbord-Schräglage der Kähne lassen jedoch die zu diesem Punkt von der Beklagten vertretene Ansicht nicht als richtig erscheinen.
II.
Auch die Revision der Klägerin kann keinen Erfolg haben. Sie ist zwar zulässig, da die Klägerin ein schutzwürdiges Interesse an einer Verurteilung der Beklagten zur dinglichen Haftung auch mit „D 209" hat, weil der Wert von „D 126" zur Deckung des Schadens möglicherweise nicht ausreicht. Sie ist aber sachlich nicht begründet.
1. a) Das Berufungsgericht meint: Die Schiffsführung von „D 209" treffe kein Verschulden an
dem Unfall, weil für das Überholen unzweifelhaft hinreichender Raum vorhanden gewesen sei und die
Klägerin nicht bewiesen habe, dass der Schiffsführung von „D 209" bei, Durchführung des Überholens nautische Fehler unterlaufen seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht bewiesen,
dass „D 209" den Schleppzug in einem Seitenabstand von weniger als 30-50 m überholt habe. Ein solcher Abstand sei ausreichend, um die überholten Schiffe nicht in Gefahr zu bringen. Zwar seien Sogwirkungen nicht ausgeschlossen, doch seien diese in aller Regel so schwach, dass ihnen durch Steuerung der überholten Schiffe begegnet werden könne. Das sei wegen des mangelhaften Zustandes der Steuerungsanlage von „D 126" nicht möglich gewesen. Da „D 209" nur ein kleines Schiff sei, habe von ihm ohnehin keine bedeutende Sogwirkung ausgehen können.
b) aa) Die Revision beanstandet, dass das Berufungsgericht die von „D 209" ausgehende Sogwirkung auf Grund seiner Erfahrung beurteilt und hierzu keinen Sachverständigen gehört hat. Die allgemeine Erfahrung eines Senats eines Rheinschifffahrtsobergerichts reiche nicht aus, um einen Fall der vorliegenden Art beurteilen zu können, denn hier gehe es um eine „schwierige Frage". Das kann für die Beurteilung des hier vorliegenden Sachverhalts nicht anerkannt werden.
bb) Die Revision rügt weiter, das Berufungsgericht habe übersehen, dass das Verschulden der Schiffsführung von „D 126" ein Verschulden der Führung von „D 209" nicht auszuschließen brauche. Das hat das Berufungsgericht auch nicht übersehen. Es hat festgestellt, dass „D 209" den Schleppzug mit hoher Geschwindigkeit überholt habe und dies für den Unfall auch kausal gewesen sei, weil die Hecks der geschleppten Kähne nach Steuerbord angesaugt worden seien, so dass die Köpfe nach Backbord aus dem Ruder gelaufen seien. Es hat aber ein Verschulden der Schiffsführung von „D 209" verneint, weil das kleine Schiff mit der gewählten Geschwindigkeit habe überholen können, wenn die Ruderanlage von „D 126" in Ordnung gewesen wäre, und die Schiffsführung von D 209" nicht gewusst habe, dass dies nicht der Fall war.
2. Das Berufungsgericht hat auch nicht, wie die Revision meint, die Beweislast verkannt.
Den Oberholenden trifft die Beweislast dafür, dass das Fahrwasser unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs unzweifelhaft hinreichenden Raum für das Überholen bot (BGH VersR 1960, 594 m.w.Nachw.). Hierauf kommt es jedoch im vorliegenden Fall nicht an, da das Berufungsgericht auf S. 8 seines Urteils als erwiesen angesehen hat, dass „D 209" nicht nur zu Beginn, sondern während des ganzen Überholvorganges unzweifelhaft hinreichenden Raum für die Oberholung hatte. Aus diesem Grunde passt das Urteil des Senats vom 9. Januar 1964 - II ZR 121/62 (LM Nr. 13 RhSchPVO) nicht, auf das sich die Revision beruft. Steht aber fest, dass für das Überholen unzweifelhaft hinreichender Raum vorhanden war, so greift die allgemeine Regel ein, dass der Geschädigte das ursächliche Verschulden des Schädigers zu beweisen hat (BGH VersR 1960, 594; 1957,194). Diesen Beweis sieht das Berufungsgericht (vgl. S. 9 seines Urteils) nicht als geführt an, weil „D 209" den Schleppzug in einem Abstand von 30-50 m überholt habe und bei einem solchen Abstand die Sogwirkungen unter den hier gegebenen Umständen so gering gewesen seien, dass ihnen durch Steuerung der überholten Schiffe hätte begegnet werden können."