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Leitsatz:
Befolgt der Talfahrer den ihm vom Bergfahrer für eine Begegnung gewiesenen Weg nicht, so hat er zu beweisen, dass ihm dieser keinen geeigneten Weg für die Vorbeifahrt freigelassen hat oder sonst Umstände vorgelegen haben, die es ihm erlaubten, nach § 1.05 RheinSchPV von der Vorschrift des § 6.04 Nr.5 Halbs. 1 RheinSchPV abzuweichen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 28. November 1988
(Rheinschifffahrtsgericht Mannheim; Rheinschifffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte, leere MS „ME" stieß auf der Bergfahrt bei Mannheim mit dem zu Tal fahrenden, der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten leeren MTS „K" in Höhe der Einfahrt zum Ludwigshafener Kaiserwörth-Hafen Kopf auf Kopf zusammen. Die Klägerin verlangt Ersatz des Unfallschadens und von Verklarungskosten. MS „ME" habe bei Umfahrung des Schnepfengrundes einen Seitenabstand von 40 - 50 m zum rechten Ufer eingehalten und dem Talfahrer durch die blaue Seitenflagge und weißes Funkellicht den Weg zu einer Steuerbordbegegnung gewiesen. Dieser habe die genannten Zeichen ebenfalls gesetzt und sich zunächst linksrheinisch gehalten, dann jedoch kurz vor der Begegnung den Kurs hart nach Steuerbord geändert, wodurch die Kollision verursacht worden sei.
Die Beklagten tragen vor, dass MS „ME" zunächst rechtsrheinisch gefahren sei, dabei keine Zeichen für eine Steuerbordbegegnung gegeben und eine Anfrage des Beklagten zu 2 über Sprechfunk wegen des Begegnungskurses nicht beantwortet habe. Darauf habe der Beklagte zu 2 das weiße Funkellicht ausgeschaltet und Steuerbordkurs für eine Backbordbegegnung genommen. Nunmehr habe der Bergfahrer wieder rechtsrheinischen Kurs genommen und das weiße Funkellicht gezeigt. Trotz Maschinenmanöver habe die Kollision nicht mehr vermieden werden können.
Rheinschifffahrtsgericht und Rheinschifffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Rheinschifffahrtsobergericht zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Begegnen sich Berg- und Talfahrt auf dem Rhein, so müssen - von bestimmten vorliegend nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - die Bergfahrer den Talfahrern den Weg weisen und die Talfahrer die Weisung befolgen (§ 6.04 RheinSchPV 1983). Diese mit der Neufassung der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung Ende Dezember 1954 eingeführte Regelung (vgl. deren § 38 Nr. 1 und § 39 Nr. 1 sowie Wassermeyer, Der Kollisionsprozes in der Binnenschifffahrt 4. Auflage S. 186) bezweckt, mehr Klarheit für die Begegnungskurse zwischen Berg- und Talfahrt zu schaffen (Wassermeyer a. a. O. S. 187) und damit die Sicherheit des Schiffsverkehrs zu erhöhen. Dieser Zweck legt es weiter nahe, dass die Talfahrer auch eine nicht sachgemäße oder an sich zeitiger gebotene Kursweisung der Bergfahrer befolgen müssen (vgl. Senatsurt. v. 19. Februar 1968 - II ZR 167/65 1), VersR 1968, 550, 551 und v. 25. November 1968 - ZR 136/ 67 ), VersR 1969, 321, 322; vgl. weiter Wassermeyer a. a. O. S. 197). Das kann allerdings nicht gelten, wenn ein Bergfahrer entgegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV 1983 (= § 38 Nr.1 Satz 2 RheinSchPV 1954) keinen geeigneten Weg für den Talfahrer freigelassen hat oder wenn sonst Umstände vorliegen, die es der Talfahrt nach § 1.05 RheinSchPV 1983 (vgl. auch § 5 RheinSchPV 1954) erlauben, von der Kursweisung des Bergfahrers abzuweichen. Den Beweis dafür hat der Talfahrer zu erbringen (Senatsurt. v. 26. November 1964 - II ZR 55/63 3), LM RheinschifffahrtspolizeiVO v. 24.12.1954 Nr. 18/19 und vo. 14. Juni 1965 - II ZR 220/63), VersR 1965, 757, 758).
Hier ist es nach dem Sachvortrag der Parteien zum Unfallhergang unbestritten, dass der Bergfahrer dem Talfahrer im Verlaufe der Annäherung die blaue Seitentafel und das weiße Funkellicht gezeigt, ihm also die Weisung erteilt hat, an der Steuerbordseite vorbeizufahren (§ 6.04 Nr. RheinSchPV 1983). Dieser Weisung ist der Talfahrer, was ebenfalls unstreitig ist, nicht gefolgt. Es war deshalb Sache der Beklagten zu beweisen, dass der Bergfahrer dem MTS „K" - z. B. wegen einer nicht zeitig genug erteilten Kursweisung - keinen geeigneten Weg für eine Steuerbordbegegnung freigelassen hat oder dass die Führung des Talfahrers auf Grund besonderer Umstände die Kursweisung des Bergfahrers nicht hat befolgen können. Dazu gehörte der Beweis über den Längs- und Seitenabstand der beiden Fahrzeuge sowie deren Kurs und Geschwindigkeit beim Zeigen der blauen Seitentafel und des weißen Funkellichts durch den Bergfahrer. Denn erst dann lässt sich ausreichend sicher beurteilen, ob in dem Nichtbefolgen der Kursweisung des Bergfahrers durch den Beklagten zu 2 kein fehlerhaftes oder nicht vorwerfbares Verhalten gesehen werden kann.
Prüft man aus dieser Sicht die Ausführungen und Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unfallhergang, insbesondere zum Längsabstand der beiden Fahrzeuge beim Zeigen der blauen Seitentafel und des weißen Funkellichts durch den Bergfahrer, so ist nicht auszuschließen, dass es die Beweislast der Beklagten verkannt hat und die Abweisung der Klage darauf beruht. So heißt es in dem angefochtenen Urteil zu Beginn der Entscheidungsgründe, dass „der der Klägerin (also dem Bergfahrer) obliegende Beweis für ihre Behauptung, der Unfall sei darauf zurückzuführen, dass die Schiffsführung des MTS "K" bei einem höhenmäßigen Abstand der Fahrzeuge von ca. 400 bis 600 m (die) von MS "ME" gegebene Kursweisung zur Begegnung Steuerbord an Steuerbord missachtet (habe), nicht geführt ist". Das wird „zusammenfassend" auf Seite 11 Abs.2 des Ber-fungsurteils nochmals „festgestellt". Zwar heißt es dann weiter: „Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Kursweisung erst erteilt wurde, als beide Fahrzeuge noch höhenmäßig etwa 200 m voneinander entfernt waren". Dieser Satz kann aber auf einer möglichen Verkennung der Beweislast der Beklagten durch das Berufungsgericht für die Umstände beruhen, die es dem Talfahrer erlaubt haben sollen, der Steuerbordkursweisung des Bergfahrers nicht nachzukommen, weshalb darin - entgegen der Revisionserwiderung - keine nach freier Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Beweisergebnisses (vgl. § 286 ZPO) rechtlich einwandfrei getroffene Feststellung gesehen werden kann.
Danach bedarf die Sache erneuter Prüfung durch das Berufungsgericht. Bei der dortigen anderweiten Verhandlung wird die Klägerin Gelegenheit haben, auf ihre weiteren Bedenken gegen das angefochtene Urteil, insbesondere auf die von ihr erhobenen Verfahrensrügen, zurückzukommen."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.2 (Sammlung Seite 1251), ZfB 1989, 1251