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Leitsatz:
Für die Beurteilung der Frage, ob eine Schiffahrtsgefahr im Sinne des § 93 Abs. 2 BSchG. vorliegt, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Rettung" beginnt. Für die Entscheidung dieser Frage, die sich als reine Rechtsfrage darstellt, sind Gutachten oder Auskünfte der Schifferbörse ohne Bedeutung.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 12. Oktober 1961
II ZR 279/59
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar Rheinschiffahrtsgericht Köln)
Zum Tatbestand:
Kahn B der Beklagten riß als dritter und letzter Anhang eines Schleppzuges oberhalb Trechtingshausen infolge Strangbruches ab. Auf dem zu Tal treibenden Schiff wurden linksrheinisch beide Anker geworfen. Der Kapitän des Bootes C des vorgenannten Schleppzuges bat den Kapitän des um die gleiche Zeit an ihm enkel zu Tal vorbeifahrenden Schleppers A der Klägerin, den Kahn B aufzunehmen und nachzubringen. Schlepper A (2400 PS) drehte unterhalb des Kahnes B auf, übergab ihm einen Strang und schleppte ihn zu Berg. Nachdem der Schleppzug wieder erreicht war und dem Kapitän von Boot C die Aufnahme des Kahnes B jedoch an dieser Stelle nicht möglich erschien, schleppte Boot A den Kahn auftragsgemäß bis Bingen.
Die Klägerin hat sich mit dem ihr gezahlten tarifmäßigen Schlepplohn von 121,86 DM für das Schleppen von Trechtingshausen nach Bingen nicht befriedigt erklärt, sondern verlangt von der Beklagten wegen angeblicher Rettung des Kahnes B aus einer Schiffahrtsgefahr gemäß § 93 Abs. 2 BSchG. einen Hilfslohn von 5800 fl. in Deutscher Mark.
Die Klage blieb in allen 3 Instanzen erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Für den Kapitän des klägerischen Bootes, das sich ohnehin auf Talfahrt befand, konnte sich die Frage, ob er dem Kahn Hilfe zur Rettung aus einer Schiffahrtsgefahr leisten sollte (und ob damit der gesetzliche Anspruch gegen die Beklagte auf Hilfslohn entstehen konnte), erst stellen, als er an dem Kahn vorbeifuhr und nach dem Aufdrehen den Kahn ins Schlepp nahm. In diesem Zeitpunkt war aber der Kahn nicht in hilfloser Lage; er lag, wie zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu unterstellen ist, bereits ruhig vor seinen Ankern an der Grenze des Fahrwassers und an einer Stelle, wo auch sonst geankert wird, so daß, für den Kapitän des klägerischen Bootes erkennbar, jedenfalls in diesem Zeitpunkt keine Schiffahrtsgefahr mehr bestand und auch keine neue Gefahr mehr zu befürchten war. Daß nur dieser Zeitpunkt entscheidend sein kann, ergibt sich aus der Erwägung, daß Voraussetzung für die Entstehung des Hilfslohnanspruchs die Rettung aus Schifffahrtsgefahr ist, daß also die Hilfe zu dieser Rettung geleistet sein muß. Für die Beurteilung der Gefahr ist demnach der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Rettung beginnt (vgl. Schaps, das deutsche Seerecht, 2. Aufl. HGB § 740 Anm. 14; OLG Hamburg HansRZ 1919, 531). Wenn das zur Rettung" herbeigeeilte Schiff überhaupt nicht in Tätigkeit tritt, weil das zu rettende" Schiff sich nicht oder nicht mehr in Schiffahrtsgefahr befindet, so liegt eine Hilfeleistung nicht vor (vgl. Schaps § 740 Anm. 38). Tritt es, sei es auch mit Zustimmung des zu rettenden" Schiffs, in Tätigkeit, ist aber eine Schifffahrtsgefahr nicht gegeben, so liegt zwar eine Hilfeleistung vor, nicht aber eine solche, die den Hilfslohnanspruch nach § 93 Abs. 2 auslöst.
Die Voraussetzungen für die Entstehung des gesetzlichen Anspruchs auf Hilfslohn waren gegen die Beklagte nicht gegeben, und zwar auch dann nicht, wenn man hierfür mit der Revision es als genügend ansieht, daß die subjektive Beurteilung der Lage durch den Rettenden und nicht das objektive Vorliegen einer Schiffahrtsgefahr für die Begründung des Hilfslohnanspruchs entscheidend ist (vgl. Vortisch-Zschucke BSchG § 93 Anm. 3).
Damit erledigt sich auch die Revisionsrüge, das Berufungsgericht hätte dem Antrag der Klägerin entsprechend ein Gutachten der Schifferbörse darüber herbeiführen müssen, ob nach der in Rheinschiffahrtskreisen herrschenden Verkehrsauffassung die Maßnahmen des Kapitäns der Klägerin als Hilfeleistung im Sinne des § 93 Abs. 2 anzusehen seien. Die Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Gefahr maßgebend ist, ist eine reine Rechtsfrage. Ob in dem maßgeblichen Zeitpunkt eine Schiffahrtsgefahr bestand, hatte das Berufungsgericht auf Grund seiner Feststellung selbst zu entscheiden; die Begutachtung durch die Schifferbörse oder eine Auskunft dieser Stelle ist hierfür ohne Bedeutung.
Die Frage des Zeitverlustes, den der Kapitän des klägerischen Bootes auf sich genommen hat, ferner der Umstand, daß er auf Auffordern hin mit seinem 2400PS starken Boot den Kahn ins Schlepp nahm, obwohl diese Tätigkeit auch von einem Vorspannboot hätte geleistet werden können, mag für die Frage des vertragsmäßigen Vergütungsanspruchs der Klägerin aus dem Schleppvertrag von Bedeutung sein, kann aber nicht zur Begründung eines Hilfslohnanspruchs herangezogen werden. Auch hat das Berufungsgericht nicht die Vorschriften des § 90 RhSchPolVO und des § 330c StBG verletzt; die Voraussetzungen für eine Anwendung dieser Bestimmungen sind nicht gegeben. Es kommt, wie bereits erwähnt, schließlich nicht darauf an, wie der Kapitän der Klägerin (und der Lotse auf dem Boot der Klägerin) die Gefahrenlage im Zeitpunkt der Wahrschau des Kapitäns des Bootes C beurteilt hat, sondern wie sich ihnen die Lage im Augenblick der Strangübergabe vernünftigerweise darstellen mußte.