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Leitsätze:
1) Die Ausfahrt aus dem Ruhrorter Hafenkanal ist unzulässig, wenn ein nahe herangekommener Talfahrer gezwungen wird, unvermittelt seinen Kurs zu ändern. Das gleiche gilt für den Querfahrer.
2) Sowohl der Ausfahrende als auch der Querfahrer müssen beweisen, daß die Voraussetzungen für die Ausfahrt oder die Querfahrt gegeben, andere Fahrzeuge also nicht gezwungen waren, ihren Kurs unvermittelt zu ändern.
3) Der Bergfahrer, der auf der Reede zu Tal wenden will, hat gegenüber dem aus einer Kanalmündung Ausfahrenden den Vorrang.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 7. Oktober 1965
II ZR 266/63
(Rheinschiffahrtsgericht DuisburgRuhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das der Klägerin gehörende Schleppboot RII hatte in Homberg den leeren Kahn R64 zwecks Talfahrt aufgenommen. Nachdem der Schleppzug zunächst hart am linken Ufer zu Berg gefahren war und dabei drei backbords neben ihm gestaffelt zu Berg fahrende Schleppzüge überholt hatte, wendete er vor diesen über Backbord, um zwischen dem rechten Ufer und den überholten Fahrzeugen zu Tal zu fahren. Etwa in Höhe der den Hafenkanal und die Ruhrmündung trennenden Mole stieß das aus dem Hafenkanal zur Bergfahrt ausgelaufene, den Beklagten zu 1 a und 1 b gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS D mit seinem Steven gegen das Steuerbordvorschiff des Bootes RII. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.
Die Klägerin verlangt Schadenersatz mit der Behauptung, daß ihr Schleppzug nach einwandfreiem,„ in weitem Bogen durchgeführten Wendemanöver schon 60-80 m seitlich vom rechten Ufer gestreckt zu Tal gelegen habe, als das MS D etwa 100 m vor RII unterhalb des Molenkopfes in Querlage aus dem Hafenkanal gekommen sei. Die Art und Weise der Ausfahrt sei fehlerhaft gewesen. D hätte erst im stillen Wasser des Hafenkanals aufdrehen müssen, um dann gestreckt auf Strom die Hafenmole zu passieren und hart rechtsrheinisch zu Berg zu fahren.
Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden; ihr Schiff habe sich richtig verhalten. Die Ausfahrt sei beim Zusammenstoß längst beendet gewesen, den der Führer des Bootes RIV dadurch schuldhaft verursacht habe, daß es beim sehr zügigen Wenden zwangsläufig in die Ruhrmündung hineingeraten sei. In dem Bestreben, den Anhang wieder vom rechten Ufer abzuziehen, sei RII mit Backbordkurs zur Strommitte hin und quer vor MS D geraten.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Rheinschiffahrtsobergericht hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Mit der nautisch richtigen Fahrweise eines Schiffes, das den bei km 780,4 befindlichen Hafenkanal verläßt, um zu Berg zu fahren, hat sich der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 1. April 1965 (VersR 1965, 513) befaßt und dort ausgeführt: Das Schiff muß so ausfahren, daß es in gestreckter Lage in ausreichender Entfernung vom Molenkopf auf den Strom kommt, um rechtzeitig den Oberblick auf Oberstrom zu bekommen. Es ist fehlerhaft, wenn das Schiff fast querliegend in unmittelbarer Nähe des Molenkopfes in den Strom hineinschießt. Diesen Fehler hat der Schiffsführer von D nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier gemacht. Der Schiffsführer von D hat durch sein nautisches Fehlverhalten nicht nur gegen § 4, sondern auch gegen § 50 Nr. 3 RhSchPVO verstoßen. Die Ausfahrt war nicht zulässig, da D den nahe herangekommenen Talfahrer gezwungen hat, unvermittelt seinen Kurs zu ändern, sei es durch Ausweichen nach Backbord oder durch Ausweichen nach Steuerbord, um das Auffahren auf das querliegende Motorschiff zu vermeiden; denn der Talfahrer konnte, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nicht wissen, wie schnell es dem 52 m langen, querliegenden Motorschiff gelingen würde, sich aufzustrecken. In der Querfahrt des MS D liegt, wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt, ein Verstoß gegen §§ 49 Nr. 1, 47 Nr. 1 RhSchPVO, da auch die Querfahrt u. a. nur gestattet ist, wenn andere Fahrzeuge nicht gezwungen sind, unvermittelt ihren Kurs zu ändern (Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen II RhSchPVO § 49 Anm. 1). Sowohl der Ausfahrende als auch der Querfahrer muß nach der klaren Fassung der Vorschriften beweisen, daß die Voraussetzungen für die Ausfahrt oder die Querfahrt gegeben sind, daß also das andere Fahrzeug nicht gezwungen war, seinen Kurs unvermittelt zu ändern. Das verkennt die Revision, wenn sie von einer Beweislast der Klägerin ausgeht. Entgegen der Meinung der Revision ist also zu Lasten der Beklagten davon auszugehen, daß RIV von D nur noch 100 m entfernt war, als das Motorschiff auf dem Strom erschien, und D den entgegenkommenden Schleppzug gezwungen hat, unvermittelt seinen Kurs zu ändern. Das hat dann zum Zusammenstoß geführt.Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht zu dem Schluß gekommen, es lasse sich nicht feststellen, daß der Unfall in adäquatem ursächlichem Zusammenhang mit dem Wenden des R-Schleppzuges stehe. Der Senat hat bereits in seinem Urteil VersR 1965, 251, 252 darauf hingewiesen, daß von der Zulässigkeit des Wendemanövers seine Durchführung zu unterscheiden ist. Ob das Wenden des Rhenania-Zuges mit Rücksicht auf die Bergschleppzüge zulässig war, brauchte das Berufungsgericht nicht zu entscheiden. Daß die beabsichtigte Ausfahrt von D aus dem Hafenkanal das Wenden des Rhenania-Schleppzuges nicht unzulässig machen konnte, steht außer Frage; der Bergfahrer, der auf der Reede zu Tal wenden will (§ 47 Nr. 2 RhSchPVO), hat gegenüber dem aus einer Kanalmündung Ausfahrenden den Vorrang. Es kann sich also nur darum handeln, ob dem Schiffsführer von R bei der Durchführung des Wendemanövers nautische Fehler (§ 4 RhSchPVO) unterlaufen sind. Dafür sind aber die Beklagten beweispflichtig. Zu Lasten der beweispflichtigen Beklagten ist davon auszugehen, daß der R-Schleppzug in gestreckter Lage und in nautisch einwandfreier Entfernung von der Ruhrmündung fuhr, als D auf dem Strom in Erscheinung trat. Damit entfällt ein Mitverschulden des klägerischen Schiffes. Daß ein Ausweichen von RII nach Steuerbord wegen der damit für seinen Anhangkahn und für etwaige aus dem Hafenkanal ausfahrende Schiffe verbundenen Gefahr bedenklich gewesen wäre, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß ausgeführt."