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Leitsatz:
Die Eröffnung des Seerechtlichen Verteilungsverfahrens unterbricht den Rechtsstreit wegen eines Anspruchs aus der Verwendung des Schiffes auch dann, wenn sie erst während des Revisionsrechtszuges erfolgt. In diesem Fall kann der Rechtsstreit ebenfalls fortgeführt werden, soweit der Gläubiger die unbeschränkte Haftung des Reeders( Schuldners) behauptet und daher den Anspruch außerhalb des Verteilungsverfahrens weiterverfolgen will. § 561 Abs. 1 ZPO steht dem Vortrag neuer Tatsachen seitens der Parteien zur Frage einer unbeschränkten Haftung des Schuldners nicht entgegen. Bereedert eine Personengesellschaft ein Schiff, so gilt für einen persönlich haftenden Gesellschafter, der zugleich Kapitän des Schiffes ist, nicht die Regelung des § 487 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 25. April 1988
II ZR 252/86
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht
Hamburg)
Zum Tatbestand:
Die in Marokko ansässige Klägerin hatte eine Partie von 1030t Johannisbrot-Früchten an die schweizerische Firma G. — fob gestaut Kenitra — verkauft, die die Ware ihrerseits an die Firma A. in Irland weiterveräußerte. Nach Verschiffung der Partie mit dem MS „Dithmarschen" im Januar 1984 von Kenitra/Mehdia (Marokko) nach Kinsale (Irland) wurde sie dort ohne Rückgabe des in 3 Ausfertigungen ausgestellten Konnossements an A. ausgeliefert. Das Schiff wurde von der Beklagten zu 1) bereedert, deren persönlich haftende Gesellschafter der Beklagte zu 2) und der Beklagte zu 3), letzterer gleichzeitig als Kapitän des Schiffes, waren. Das Konnossement, von dem die Klägerin gleichlautende Ausfertigungen besitzt, war vom Beklagten zu 3) unterzeichnet, gibt den Namen des Verfrachters nicht an und ist an Order gestellt. Die Klägerin hat die nicht indossierten Konnossementsausfertigungen von der Firma P. erhalten, die für sie im Ladehafen als Spediteur und Zollagent tätig war.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz von über 417000,— DM, da sie auch von G. aus dem vereinbarten Akkreditiv nicht den Kaufpreis erhalten hat.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr in Höhe von rd. 357000,— DM stattgegeben, im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Nach Zustellung des Berufungsurteils, gegen das die Beklagten Revision eingelegt haben, hat die Beklagte zu 1) das Verteilungsverfahren nach der Seerechtlichen Verteilungsordnung beantragt, das vom Amtsgericht Hamburg hinsichtlich der Ansprüche wegen der Auslieferung der Partie unter gleichzeitiger Festsetzung der Haftungssumme auf annähernd 70000,— DM eröffnet wurde. Gegenüber der Ansicht der Beklagten, daß mit der Eröffnung des Verteilungsverfahrens der Rechtsstreit unterbrochen sei, vertritt die Klägerin die Auffassung, daß dies in der Revisionsinstanz nicht zu beachten sei und die Verfolgung ihrer Ansprüche nicht berühre. Da der Beklagte zu 3) die Partie ohne Rückgabe einer Konnossementsausfertigung ausgeliefert und damit deren Verlust verschuldet habe, könnten die Beklagten den entstandenen Schaden nicht beschränken.
Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„....
1. Nach der Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen vom 17. Juli 1987 — BGBl. II 407 ist dieses Übereinkommen für die Bundesrepublik Deutschland am 1. September 1987 in Kraft getreten und damit auch die geänderte Fassung der §§ 486 bis 487 e HGB (Beschränkung der Haftung für Seeforderungen) durch das Zweite Seerechtsänderungsgesetz vom 25. Juli 1986 — BGBl. 1 1120 (vgl. dessen Art. 11 Abs. 1) sowie die Seerechtliche Verteilungsordnung vom 25. Juli 1986 — BGBl. 11130 (vgl. deren §40 Abs. 1). Die Neuregelungen bleiben jedoch außer Betracht in den Fällen, in denen das Ereignis vor dem 1. September 1987 eingetreten ist, aus dem die Ansprüche entstanden sind, für welche die Haftung beschränkt werden kann (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 des Zweiten Seerechtsänderungsgesetzes, § 38 Abs. 1 Satz 2 SeeVertO 1986). Danach sind im Streitfall die §§ 486 bis 487 d HGB (Beschränkung der Haftung des Reeders, des Charterers und der Schiffsbesatzung) in der bis zum 31. August 1987 geltenden Fassung und die Vorschriften der Seerechtlichen Verteilungsordnung vom 21. Juni 1972 anzuwenden (vgl. auch Herber, TranspR 1986, 327/328).
2. Nach § 486 Abs. 1 und 5, § 487 Abs. 1 und 3 HGB a.F. können der Reeder und bestimmte weitere Personen die Haftung für vertragliche und außervertragliche Ansprüche Dritter auf Ersatz von Personen- und Sachschäden (summenmäßig) beschränken, sofern die Ansprüche aus der Verwendung des Schiffes entstanden sind und nicht einer der Ausnahmefälle gemäß § 486 Abs. 2 bis 5, § 487 Abs. 2 und 3 HGB a.F. gegeben ist. Die Haftungsbeschränkung wird durch die Eröffnung des Verteilungsverfahrens bewirkt (§ 487 a Abs. 1 HGB a.F.). Mit dem Erlaß des Eröffnungsbeschlusses werden Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, für welche die Haftung beschränkt worden ist, nach § 8 Abs. 2 SeeVertO 1972 (= § 8 Abs. 3 SeeVertO 1986) unterbrochen, bis sie gemäß § 19 SeeVertO 1972 (= § 19 SeeVertO 1986) aufgenommen werden oder bis das Verteilungsverfahren aufgehoben oder eingestellt wird. die Unterbrechung nach § 8 Abs. 2 See- VertO 1972, der § 240 ZPO nachgebildet ist (vgl. BTDrucks. VI/ 2226 S. 18), tritt auch dann ein, wenn das Verteilungsverfahren erst während der Revisionsinstanz eröffnet wird (zur entsprechenden Rechtslage im Rahmen des § 240 ZPO vgl. BGH, Urt. v. 21. November 1953 — VI ZR 203/52, LM § 146 KO Nr. 4; Urt. v. 2. Dezember 1974 — II ZR 132/731, LM § 387 BGB Nr. 53). § 8 SeeVertO 1972 bezweckt ähnlich wie § 240 ZPO, daß ein Anspruch, der schon rechtshängig ist, in dem Rechtsstreit erst weiterverfolgt werden kann, wenn er in einem gerichtlichen Verteilungsverfahren geprüft und bestritten geblieben ist (vgl. §§ 18, 19 SeeVertO 1972 sowie, BGHZ 76, 206, 209).
Allerdings kann der Rechtsstreit zwischen einem Gläubiger und dem Schuldner wegen eines Anspruchs aus der Verwendung des Schiffes trotz der Eröffnung des Verteilungsverfahrens ohne weiteres fortgesetzt werden, soweit der Gläubiger — wie hier — die unbeschränkte Haftung des Schuldners behauptet und daher den Anspruch außerhalb des Verteilungsverfahrens weiterverfolgen will. Das hat der Senat bereits für den Fall entschieden, daß das Verteilungsverfahren während der Berufungsinstanz eröffnet worden ist (BGHZ 76, 206, 210). Das kann bei einer Eröffnung des Verteilungsverfahrens während der Revisionsinstanz nicht anders sein. Insbesondere steht der Erklärung des Gläubigers, den Schuldner wegen unbeschränkter Haftung außerhalb des Verteilungsverfahrens in Anspruch zu nehmen, nicht die Vorschrift des § 561 Abs. 1 ZPO entgegen, da die Erklärung verfahrensrechtlichen Charakter hat.
3. Entgegen der Ansicht der Revision läßt sich dem von der Klägerin außerhalb des Verteilungsverfahrens weiterverfolgten Anspruch weder die Einrede mangelnder Sicherheit wegen der Prozeßkosten noch diejenige des Schiedsvertrages entgegenhalten.
a) Marokko ist wie die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaat des Haager Übereinkommens über den Zivilprozeß vom 1. März 1954 (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 46. Aufl. Anh. § 110 Anm. 3). Nach dessen Art. 17 darf den Angehörigen eines Vertragsstaats als Kläger eines Rechtsstreits keine Ausländersicherheitsleistung auferlegt werden.
...
b) .... Selbst wenn das Berufungsgericht die Voraussetzungen teilweise verkannt haben sollte, unter denen nach englischen Recht die Schiedsgerichtsklausel einer Chartepartie in ein Konnossement inkorporiert wird, so kann die Revision mit dieser Rüge keinen Erfolg haben. Im übrigen hat sie Anhaltspunkte dafür, daß das Berufungsgericht bei der Ermittlung des einschlägigen englischen Rechts § 293 ZPO verletzt haben könnte, nicht aufzuzeigen vermocht.
4. Der Revision ist ferner nicht zu folgen, soweit sie meint, die Klägerin sei für die Geltendmachung des von ihr — außerhalb des Verteilungsverfahrens weiterverfolgten — Anspruchs nicht aktiv legitimiert (wird ausgeführt). Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen diese Ausführungen. Im Gegensatz zu dem Berufungsgericht meint sie, Ablader der Güter sei G gewesen. Sie schießt das daraus, daß deren Name in den Konnossementsausfertigungen in der mit „Shipper" überschriebenen Spalte eingetragen ist. Indes wird die Abladerstellung nicht durch den Eintrag des Namens eines bestimmten an einem Seetransport beteiligten Unternehmens in dieser Spalte begründet. Vielmehr ist Ablader derjenige, der die Güter auf Grund des Frachtvertrages dem Verfrachter übergibt, sei es durch Lieferung direkt an oder auf das Schiff oder an eine Landannahmestelle des Verfrachters (Prüßmann/Rabe, Seehandelsrecht 2. Aufl. Vor § 556 Anm. II C 1; Schaps/Abraham, Seerecht 4. Aufl. Seehandelsrecht Vor § 556 Rn. 7; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S 225). Das ist hier nach den Ausführungen des Berufungsgerichts seitens des Spediteurs der Klägerin, der Firma P., geschehen, wobei diese entweder als Vertreterin der Klägerin oder im eigenen Namen gehandelt hat.
...
5. In der Auslieferung der Güter in Kinsale an einen Empfänger (A.), der mangels Besitz einer Konnossementsausfertigung zum Empfang der Güter nicht berechtigt war, ist deren Verlust im Sinne des § 606 Satz 2 HGB zu sehen (Prüßmann/Rabe a.a.O. § 606 Anm. C 1 a).
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Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, daß die Beklagten der Klägerin für den Verlust der Güter nach §§ 485, 511, 512, 606, 607 Abs. 1, §§ 644, 654 Abs. 1 und 3, §§ 128, 161 Abs. 2 HGB schadensersatzpflichtig sind.
6.... Infolge der unberechtigten Auslieferung der Güter an A. hat die Klägerin die Möglichkeit, über diese selbst verfügen zu können oder sie auf andere Weise zu verwerten, verloren. Anhaltspunkte dafür, daß die Güter jetzt noch vorhanden oder für die Klägerin greifbar sind, bestehen nicht. Auch ist dem vorgetragenen Sachverhalt nicht zu entnehmen, daß sie über eine realisierbare Kaufpreisforderung gegenüber G. verfügt. Infolgedessen ist der Klägerin durch den Verlust der Güter ein Schaden in Höhe des Werts derselben entstanden, so daß ihr dieser im Rahmen des § 658 Abs. 1 HGB (gemeiner Handelswert bei Beginn der Löschung am Bestimmungsort) zu ersetzen ist.
7. ...
a) Die Beklagten haben erstmals im Berufungsverfahren vorgetragen, daß sie sich für den Fall einer Haftung „auf die Haftungslimitation gemäß §§ 486, 487, 487 a HGB berufen". Dazu haben sie ausgeführt, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, daß eine Haftungsbeschränkung hier nicht zulässig sei, „da als schadensursächlich allenfalls das Verhalten des Kapitäns bei der Auslieferung ohne Konnossement gesehen werden könnte".
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Insoweit ist zu bedenken, daß das Revisionsverfahren grundsätzlich von Beweisaufnahmen freizuhalten ist (Stein/Jonas/ Grunsky a.a.O. § 561 Rn. 26). Im allgemeinen wird es deshalb sinnvoll sein, diese Klärung dem Berufungsgericht unter Zurückverweisung der Sache zu übertragen (vgl. auch BGH, Urt. v. 21. Juni 1976 — III ZR 22/75, LM § 341 ZPO Nr. 2; vgl. ferner BGHZ 5, 240, 249; 36, 348, 356). Dazu besteht hier allerdings kein Anlaß. Die Klägerin hat schon in der Klageschrift vorgebracht, daß die Auslieferung der Güter an A durch den Beklagten zu 3 erfolgt ist. Dieses Vorbringen hat sie im Revisionsrechtszug im Hinblick auf die von ihr bejahte unbeschränkte Haftung der Beklagten wiederholt. Die Beklagten haben ebenfalls in den Vorinstanzen darauf hingewiesen.
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b) Neben seiner Befugnis, die Beklagte zu 1 auf Grund seiner Stellung als persönlich haftender Gesellschafter zu vertreten (§ 125 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB), war der Beklagte zu 3 als Kapitän des MS „Dithmarschen" auch Mitglied der Schiffsbesatzung (§ 481 HGB). Für diese gilt nach § 487 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 HGB a.F., daß sie ihre Haftung entsprechend den für den Reeder geltenden Vorschriften beschränken kann, sofern sie den Schaden des Gläubigers in Ausübung ihres Dienstes verursacht hat. Ferner bestimmt § 487 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F., daß die Beschränkung der Haftung einer Person der Schiffsbesatzung nicht durch ihr Verschulden ausgeschlossen wird, es sei denn, daß sie zugleich Reeder oder Charterer ist und den Schaden in dieser Eigenschaft verursacht hat, oder daß sie den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat. Nun ist der Beklagte zu 3 nicht Reeder oder Mitreeder des MS „Dithmarschen" gewesen, sondern persönlich haftender Gesellschafter der Reederei (Beklagte zu 1). Aber auch in dieser Eigenschaft kann auf ihn die Regelung des § 487 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. nicht — auch nicht sinngemäß — angewandt werden. Die Vorschrift geht auf Art. 6 Abs. 3 des Brüsseler Übereinkommens vom 10. Oktober 1957 über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen zurück (vgl. auch BTDrucks. VI/ 2225 S. 17). Diese will, daß der Reeder-Kapitän (oder der Mitreeder- Kapitän) nur für sein Verschulden als Reeder unbeschränkt haftet ... ".
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1988 - Nr.5 (Sammlung Seite 1236 f.); ZfB 1988, 1236 f.