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Leitsatz:
Macht ein Ladungsbeteiligter gegen den Verfrachter einen Schadensersatzanspruch wegen anfänglicher See- oder Ladungsuntüchtigkeit des Schiffes geltend, so muß er nicht beweisen, daß der Mangel bei Antritt der Reise vorgelegen hat. Vielmehr ist es Sache des Verfrachters, sich insoweit zu entlasten.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 23. Februar 1978
II ZR 228/75
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Während der Reise des von der Beklagten bereederten MS „O" vom 5. bis 8. Januar 1971 war ein Teil der beförderten Zelluloseballen dadurch beschädigt worden, daß an der Unterkante der vorderen Backbordseitenpforte des Schiffes infolge einer Verbiegung des Hollandprofils zwischen diesem und der Gummidichtung des Dichtrahmens der Pforte ein Leck entstanden und Wasser in das Schiff eingedrungen war.
Die Klägerin verlangt als Transportversicherer Ersatz des entstandenen Ladungsschadens von ca. 263 0000,- DM, weil das Schiff wegen des Lecks schon bei Beginn der Reise nicht fahr- und ladungstüchtig gewesen sei.
Die Beklagte behauptet, daß das Leck erst während der Reise entstanden sei, wofür sie nicht hafte. Selbst wenn das Leck schon bei Reisebeginn vorhanden gewesen sei, habe es auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlicher Verfrachters bis zum Reiseantritt nicht entdeckt werden können.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Nach § 559 Abs. 2 HGB haftet der Verfrachter „dem Ladungsbeteiligten für den Schaden, der auf einem Mangel der See- oder Ladungstüchtigkeit (des Schiffes) beruht, es sei denn, daß der Mangel bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters bis zum Antritt der Reise nicht zu entdecken war". Danach ist es ohne Zweifel Sache desjenigen, der einen Schadensersatzanspruch gegen den Verfrachter aus § 559 Abs. 2 HGB herleitet, darzutun - und gegebenenfalls zu beweisen -, daß ein Ladungsschaden vorliegt und dieser durch eine See- oder Ladungsuntüchtigkeit des Schiffes verursacht worden ist. Nun erfüllt jedoch nicht jeder derartige Mangel den Tatbestand des § 559 Abs. 2 HGB. Vielmehr muß er bereits bei Reisebeginn bestanden haben; das folgt aus den Worten „bis zum Antritt der Reise" im 2. Halbsatz der Vorschrift. Damit stellt sich die weitere Frage, ob es dem geschädigten Ladungsbeteiligten auch obliegt nachzuweisen, daß das Schiff von Anfang a n see- oder ladungsuntüchtig war. Die Frage ist, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, zu verneinen. Allerdings erscheint es zweifelhaft, ob sich diese Ansicht, wie das Schrifttum meint (vgl. Gramm, Das neue Deutsche Seefrachtrecht S. 95/96; Liesecke in der Festschrift für Karl Sieg S. 351; Lotter, Beweislast im Seefrachtrecht S. 25; Prüssmann, Seehandelsrecht § 559 Anm. D 6 a; Schaps/Abraham, Das Seerecht 4. Aufl. § 559 HGB Rnr. 17; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 242), allein schon auf die Neufassung des § 559 Abs. a HGB durch das Seerechtsänderungsgesetz vom 10. August 1937 - RGBI. 1 891 - stützen läßt, zumal hierfür weder die amtliche Begründung zu dem Gesetz (vgl. Reichs- und Preußischer Staatsanzeiger 1937 Nr. 186) noch Art. 4 § 1 des Internationalen Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über Konnossemente vom 25. August 1924 (Haager Regeln) - dem letzteren ist § 559 Abs. 2 HGB angepaßt worden - etwas hergeben. Zutreffend hat jedoch besonders Gramm aaO gegenüber der früher herrschenden Auffassung, daß der Befrachter im Rahmen des § 559 Abs. 2 HGB auch die anfängliche See- oder Ladungsuntüchtigkeit des Schiffes beweisen müsse (OLG Hamburg, HansRGZ 1932 B S. 55; Schaps, Das deutsche Seerecht 2. Aufl. § 559 HGB Anm. 6), darauf hingewiesen, daß eine solche Verteilung der Beweislast „nicht der Billigkeit" entspreche, weil sie den Ladungsbeteiligten in Beweisnot bringe. Damit hat er einen Gesichtspunkt angesprochen, der die Rechtsprechung in ähnlich liegenden Fällen bewogen hat, eine Verteilung der Beweislast nach Gefahrenbereichen vorzunehmen. Eine solche Verteilung ist auch hier geboten. Ausschlaggebend ist dabei, daß es einerseits einem Ladungsbeteiligten vielfach nur schwer oder überhaupt nicht möglich ist zu beweisen, daß die See- oder Ladungsuntüchtigkeit bereits bei Antritt der Reise bestanden hat, während es andererseits für den Verfrachter vielfach nicht schwierig sein wird, diesen - in seinem Herrschafts- und Organisationsbereich liegenden - Punkt zu klären, und, sofern ihm das einmal nicht möglich ist, er jedenfalls „näher dran" ist, die Folgen der Nichtaufklärbarkeit zu tragen (vgl. BGHZ 67, 383, 387/388). Damit wird bei objektiver Ungewißheit über den Zeitpunkt des Eintritts der See- oder Ladungsuntüchtigkeit die Frage der Beweislast wegen der gleichen Interessenlage ebenso behandelt, wie sie der Gesetzgeber in § 559 Abs. 2 Halbs. 2 HGB für den Fall gelöst hat, daß die anfängliche Untüchtigkeit feststeht und lediglich offen ist, ob der Verfrachter die gebotene Sorgfalt gewahrt hat.
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Mit Recht hat das Berufungsgericht den Umfang der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Verfrachters anhand der konkreten Umstände des Falles beurteilt. Nicht zu beanstanden ist weiter, daß es mit Rücksicht auf diese Umstände eine erhöhte Sorgfaltspflicht verlangt hat, weil Zelluloseballen besonders nässempfindlich sind, außerdem MS „O" wegen der beiden Seitenpforten in der Außenhaut nicht dieselbe Sicherheit gegen das Eindringen von Seewasser wie ein normales Frachtschiff geboten hat, ferner die Pfortenunterkanten sich wegen des Gewichts der Ladung nur ganz wenig über der Wasserlinie befunden haben und die letzte Reise des Schiffes mit einer Zelluloseladung schon fast fünf Monate zurückgelegen hat. Auch kann darin keine Überspannung der Sorgfaltspflichten der Führung des MS „O" gesehen werden, daß das Berufungsgericht mehr als eine nur optische Überprüfung der Seitenpforten vor Antritt der Reise in Husum für geboten erachtet hat. Denn eine solche reicht nach seinen weiteren Darlegungen nicht aus, um Mängel im Verschluß der Pforten zu entdecken. Ebensowenig hat das Berufungsgericht die Führung des MS „O" mit dem Verlangen überfordert, daß sie die Dichtigkeit der Pforten mit einem Kreide- oder einem Fadentest hätte überprüfen müssen.
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Auch ist ihm zuzustimmen, soweit es meint, es könne die Beklagte nicht entlasten, daß die Führung des MS „O" die Dichtigkeit der vorderen Backbordseitenpforte am 28. Dezember 1970 in Oslo mit einem Spritztest überprüft habe. Die gegenteiligen Ausführungen der Revision tragen nicht genügend dem Umstand Rechnung, daß das Schiff danach noch mehrere Reisen bis zu der am 5. Januar 1971 erfolgten Abfahrt von Husum gemacht hat.
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