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II ZR 22/73 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Date du jugement: 02.12.1974
Numéro de référence: II ZR 22/73
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zu den Pflichten eines Schiffsführers, der bei Dunkelheit zu Tal wendet.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 2. Dezember 1974

II ZR 22/73

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim; Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

Das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS M, das im Bereich der Wuppermündung zusammen mit anderen Stilliegern am linken Rheinufer gelegen hatte, nahm im November 1969 gegen 5 Uhr morgens über Backbord drehend die Talfahrt auf. Etwa 1/3 der Strombreite aus dem rechten Ufer stieß es mit dem Vordersteven gegen das Steuerbordschiff des zu Berg fahrenden, der Klägerin zu 1 gehörenden und von der Klägerin zu 2 kaskoversicherten MS R, das schwer beschädigt wurde.
Die Klägerin zu 1 verlangt Schadensersatz in Höhe von ca. 44 000,- DM, die Klägerin zu 2 in Höhe von ca. 94 000,DM mit der Behauptung, daß der Beklagte zu 2 ein unzulässiges Wendemanöver durchgeführt und mit dem Drehen des MS M ohne Schallzeichen begonnen und ohne Grund in einem viel zu weiten Bogen durchgeführt habe, als MS R sich höchstens noch 200 m unterhalb befunden habe.
Die Beklagten behaupten, der Abstand habe bei Wendebeginn 300 m betragen, was für ein gefahrloses, vorher durch Schallzeichen angekündigtes Drehmanöver genügt habe.

Der völlig übermüdete Rudergänger des MS R habe das Drehen von MS M zu spät bemerkt und sei zunächst bei weißem Blinklicht mit Backbordkurs in den Drehkreis des MS M hineingefahren. Sodann habe er das von diesem erwiderte Blinklicht wieder gelöscht und Steuerbordkurs genommen.
Rheinschiffahrts- und Rheinschiffahrtsobergericht haben die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Abstand zwischen MS M und MS R bei Wendebeginn 300 m betragen hat. Nach seiner Ansicht war es unzulässig, in der Dunkelheit „bei so geringer Entfernung von durchgehender Bergfahrt" talwärts zu wenden.

Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, das Wendemanöver des MS M sei nicht zulässig gewesen.

Ein Schiffsführer, der sein Fahrzeug bei Dunkelheit wenden will, muß besonders vorsichtig und aufmerksam sein. Zwar darf er sich auch dann darauf verlassen, daß die durchgehende Schifffahrt ihr Verhalten entsprechend den Vorschriften der §§ 46, 47 RheinSchPolVO (nunmehr: § 6, 13 RheinSchPolVO 1970) einrichten und demgemäß das Wendemanöver unterstützen wird. Jedoch muß er dabei in Rechnung stellen, daß die Dunkelheit das Beobachten und Beurteilen der Lage im Revier erschwert, es insbesondere leichter zu Fehleinschätzungen über die Entfernungen zwischen den einzelnen Fahrzeugen oder deren Geschwindigkeiten kommen kann. Außerdem muß er berücksichtigen, daß es für die durchgehende Schiffahrt oftmals schwierig oder sogar unmöglich sein kann, das Wendemanöver oder die Kursabsichten des Drehenden von Anfang an zu erkennen. Deshalb darf er das Wenden erst beginnen, wenn er nach sorgsamer Abwägung aller dieser Umstände und der sonstigen Gegebenheiten im Revier sicher sein kann, daß das Manöver gefahrlos durchzuführen ist.

Das war, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, für MS M nicht der Fall. Zwar mag es im allgemeinen zutreffen, daß ein bei Wendebeginn noch 300 m von dem Wendenden entfernter Bergfahrer das Manöver unterstützen kann, ohne zu unvermittelten Reaktionen gezwungen zu sein. Hier durfte jedoch die Führung des MS M nicht damit rechnen, daß der sich verhältnismäßig rasch nähernde Bergfahrer (etwa 200 m in der Minute) das Drehen ihres Fahrzeugs von Anfang a n bemerken werde. Denn einmal hat das Berufungsgericht nicht festzustellen vermocht, daß MS M das Manöver durch Schallzeichen angekündigt hat. Zum anderen war wegen der Dunkelheit „die Erkennbarkeit eines Schiffes schon bei einem Abstand von etwa 200 m von dem Hervortreten seiner Lichter entscheidend abhängig". Von den Fahrtlichtern des MS M war aber für die (von hinten kommende) Bergfahrt zunächst nur das Hecklicht sichtbar, dieses jedoch nur schwer von den Nachtlichtern der linksrheinischen Stillieger und den Lichtern eines sich dahinter befindenden großen Industriewerks zu unterscheiden.

Die gegenteilige, auch nicht eingehender begründete Ansicht der Revision beachtet nicht hinreichend, daß das Topplicht und die Seitenlichter eines Schiffes nur bis 22° 30' hinter dessen Querlinie sichtbar sind (§ 28 Buchst. a und b RheinSchPolVO 1954). Bis zum Sichtbarwerden weiterer Fahrtlichter des MS M konnte sich demnach der Bergfahrer so weit genähert haben, daß ihm nur noch die Möglichkeit zu unvermittelten Reaktionen vor dem vor ihm in Schräglage auftauchenden Fahrzeug blieb, zumal er zunächst auch nicht wissen konnte, ob er einen Querfahrer oder ein talwärts drehendes Fahrzeug vor sich hatte. Deshalb hätte MS M, wenn seine Führung diese Umstände bedacht hätte, das Wendemanöver nicht mehr beginnen dürfen, nachdem MS R bereits auf 300 m herangekommen war.

Das Berufungsgericht ist weiter der Ansicht, MS M habe auch deshalb die Kollision mit MS R verschuldet, weil es nicht in einem möglichst engen Drehkreis gewendet, sondern das Manöver in einem weiten Bogen durchgeführt habe. Demgegenüber meint die Revision, MS M habe bei der Vornahme des Manövers berücksichtigen müssen, daß MS R und ein diesem Fahrzeug nachfolgender Schubverband das weiße Blinklicht - jedenfalls zu Beginn des Wendens - nicht gezeigt hätten, weshalb MS M der Weg zu einer Backbordbegrenzung mit der Bergfahrt gewiesen gewesen sei, Ferner hätte ein Drehen des MS M in einem engen Bogen auch deshalb nicht erfolgen können, weil MS R im Raum der Fahrwassermitte linksrheinisch und dahinter der Schubverband noch etwas nach Steuerbord versetzt gefahren seien. Dem ist entgegenzuhalten:

a) Ein talwärts drehendes Fahrzeug ist bis zur Beendigung dieses Manövers kein Talfahrer; für ein solches Fahrzeug gelten daher nicht die Kursweisungen der Bergfahrt nach § 38 Nr. 2 oder Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 (jetzt: § 6.04 RheinSchPolV0 1970) - BGH, Urt. v. 12. 3. 62 - II ZR 169/60, LM Nr. 12 zu RheinschiffahrtspolizeiVO v. 24. 12. 1954 = VersR 1962, 417, 419. Das Drehen des MS M im weiten Bogen läßt sich daher nicht mit dem - unrichtigen - Bemerken rechtfertigen, die Bergfahrt habe ihm den Weg zu einer Backbordbegegnung gewiesen.

b) Sofern nicht die Verkehrslage ein Drehen im weiten Bogen gebietet, muß der Wendende einen Drehkreis wählen, der nicht über das für die Durchführung seines Manövers notwendige Mal hinausgehen darf (BGH, Urt. v. 23. 2. 70 - II ZR 64/69, LM Nr. 48 zu RheinschiffahrtspolizeiVO v. 24. 12. 1954 = VersR 1970, 565). Hier lag es bei einer Fahrwasserbreite von etwa 300 m nun so, daß der Raum zwischen dem in Fahrwassermitte oder etwas linksrheinisch davon fahrenden MS R und dem linken Ufer dem nur 67 m langen, etwa 30 bis 50 m aus dem linken Ufer heraus drehenden (BU S. 11 oben) MS M genügend Platz für ein Wenden im engen Bogen bot.

Das Berufungsgericht verneint jedes Mitverschulden des MS R an dem Schiffszusammenstoß. Umstände, welche die Aufstellung eines Ausgucks geboten hätten, seien nicht er. sichtlich. Auch lasse sich nicht feststellen, daß das Wendemanöver des MS M von MS R aus auf eine größere Entfernung als 150 m erkennbar gewesen sei und der Rudergänger des Bergfahrers das Wendemanöver infolge Übermüdung zu spät wahrgenommen habe. Diesem könne auch nicht vorgeworfen werden, den Kurs des von ihm gesteuerten Fahrzeugs kurz vor dem Auftauchen des MS M nach Backbord geändert zu haben, da er in der Wahl des Kurses frei gewesen sei. Daß er mit der Kursänderung das weiße Blinklicht eingeschaltet habe, habe für die Kollision keine Bedeutung gehabt. Daß er sodann nach dem Insichtkommen des MS M den Backbordkurs und das Blinklicht beibehalten und den Zusammenstoß allein durch Zurückschlagen zu vermeiden gesucht habe, sei nicht zu beanstanden.

Auch gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision ohne Erfolg.