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Leitsatz:
Beweislastfragen, wenn der Anhangschiffer die Weisung des Schleppzugführers, auf den Heckankern kopfvor zu länden, nicht befolgt.
Urteil des Bundesgerichtshofes vom 14. Juni 1965
II ZR 220/63
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort / Schiffahrtsobergericht Köln).
Zum Tatbestand:
Wegen starken Nebels stellte der Schlepper F die Talfahrt ein und ließ seine Anhänge - backbords den der Klägerin gehörenden Kahn H, steuerbords den Kahn M - bei Orsoy kopfvor länden, fierte die Drähte, wendete sich zu Berg und legte sich mit laufender Maschine an die Steuerbordseite des kopfvor zu Tal liegenden Kahnes M.
Sodann kam das der Nebenintervenientin gehörende Schleppboot A mit 2 beladenen Anhängen zu Tal, und zwar steuerbords mit dem Beklagten zu 1 gehörenden und von ihm geführten Kahn W, backbords mit dem den Beklagten zu 2 a und 2 b als Miteigentümern gehörenden Kahn R. Der Kapitän von A gab die Absicht zum Aufdrehmanöver auf und erteilte darauf den Befehl, die Kähne kopfvor zu länden, was jedoch nicht befolgt wurde. Infolgedessen trieb der Schleppzug zu Tal, wobei das Boot A zur Strommitte gerichtet war und die Kähne W und R auf H und M zutrieben. Letztere versuchten durch Fieren der Ketten usw. den Anhängen W und R die Vorbeifahrt an H zu ermöglichen, was jedoch mißlang. Kahn W geriet gegen das Achterschiff von H, der ebenso wie W erheblich beschädigt wurde. Geringere Schäden erlitt M und R. Die Klägerin und die Nebenintervenientin führen den Unfall darauf zurück, daß die Kahnführer von W und R der Aufforderung ihres Schleppbootes, durch Setzen der Anker kopfvor zu länden, nicht nachgekommen sind.
Die Beklagten meinen, daß Boot A den Unfall schuldhaft verursacht habe, weil es fahrlässig unterlassen sei, rechtzeitig aufzudrehen. Der Aufforderung des Bootes, die Anhänge kopfvor zu Tal zu länden, hätte man wegen des hohen Wasserstandes (5,61 m Ruhrorter Pegel) und wegen der vollen Abladung der Kähne nicht nachkommen können. Die Befolgung des Befehls hätte auch nichts genutzt. Die Kähne H und M seien ferner mit J schuldig, weil sie mitten im Fahrwasser gelegen hätten. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Auch die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Recht hat das Berufungsgericht den Beklagten die Beweislast für ihre Behauptung, die Befolgung der Weisung des Schleppzugführers hätte die Besatzung der Anhänge, die Anhänge selbst und andere Schiffe gefährdet, auferlegt. Dabei spielt die Frage der Beweislastverteilung beim Schleppvertrag keine Rolle, da es hier um die Schadensersatzansprüche eines Dritten geht. Zutreffend ist im angefochtenen Urteil ausgeführt, in Fragen nautischen Ermessens hätten die Anhangschiffer die Anordnungen des Schleppzugführers zu befolgen (BGHZ 28, 84,.87 ff). Die Feststellung des Berufungsgerichts, bei dem Befehl des Kapitäns von A, die Heckanker zu setzen und kopfvor zu länden, habe es sich um eine Entscheidung nautischen Ermessens gehandelt, ist rechtsfehlerfrei getroffen. Das Berufungsgericht hat auch recht, wenn es ausführt, eine derartige Anordnung des Schleppzugführers brauche nur dann nicht befolgt zu werden, wenn bei der Befolgung eine unmittelbare Gefahr drohen würde (§ 5 RhSchPVO). Das Vorliegen der Voraussetzung des § 5 hat zu beweisen, wer sich darauf beruft. Nur eine solche Beweislastverteilung kann den Zweck der Verkehrsvorschriften, die Verkehrssicherheit zu gewährleisten, erfüllen. Mit Rücksicht auf die besondere Situation, in der sich der A-Schleppzug im Zeitpunkt der Weisung seines Führers an die Anhangschiffer befand, müßten die Beklagten nicht nur beweisen, daß bei Befolgung der Weisung eine unmittelbare Gefahr drohte, sie müßten darüber hinaus beweisen, dass die bei Befolgung des Befehls drohende Gefahr eindeutig die bei Nichtbefolgung bestehende Gefahr überstieg. Denn gerade dann, wenn sich ein Schleppzug bereits in einer Gefahrenlage befindet, kommt dem Weisungsrecht des Schleppzugführers in nautischen Ermessensfragen besondere Bedeutung zu. Die Beklagten haben aber einen solchen Beweis nicht nur nicht geführt, das Berufungsgericht hat im Gegenteil ohne Rechtsfehler festgestellt, daß die Ausführung des Befehls ein geringeres Risiko in sich getragen hätte als das Beharren in Untätigkeit oder als der Versuch des Schleppzugführers, aufzudrehen.Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die Beklagten für ihre Behauptung beweispflichtig sind, die Befolgung des Befehls hätte an dem Unfallgeschehen nichts geändert. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Nach § 80 Nr. 2 RhSchPVO müssen Talfahrer anhalten oder aufdrehen, sobald sie infolge verminderter Sicht und mit Rücksicht auf den übrigen Verkehr oder die örtlichen Umstände die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen können. Die Voraussetzungen für die Pflicht des Talfahrers zum Anhalten oder Aufdrehen muß derjenige beweisen, der sich auf Verletzung dieser Pflicht beruft. Diese Voraussetzungen waren aber hier unstreitig gegeben. Auch die Beklagten bezweifeln nicht, daß der Schleppzug im Hinblick auf die Sicht- und Verkehrsverhältnisse seine Fahrt nicht habe fortsetzen dürfen; sie erheben selbst gegen den Schleppzugführer den Vorwurf, daß er nicht aufgedreht habe. Sind aber die Voraussetzungen der Pflicht zur Fahrteinstellung gegeben, so tritt die Bedeutung des § 80 Nr. 2 RhSchPVO als Gebotsgesetzes bestimmten Inhalts in Erscheinung (a. A. anscheinend Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt 3. Aufl. S. 345). Der Talfahrer muß also die Umstände dartun und beweisen, die ihn an der Einstellung der Fahrt hinderten. Beim Schleppzug trifft diese Entlastungspflicht den Schleppzugführer in Auswirkung seiner auf seiner Befehlsgewalt beruhenden Verantwortung (§ 2 Nr. 4 RhSchPVO). Daraus folgt zwingend, daß die Verantwortung und damit auch die Entlastungspflicht auf die Anhangschiffer insoweit übergeht, als sie den Befehl des Schleppzugführers nicht respektieren. Der Schleppzugführer hat den beklagten Anhangschiffern entsprechend der zunächst ihn selbst treffenden Pflicht gemäß § 80 Nr. 2 RhSchPVO geboten, anzuhalten. Diese sind dem Befehl nicht nachgekommen. Damit trifft sie selbst die Verantwortung dafür, daß ihre Schiffe nicht angehalten haben. Die daraus folgende Entlastungspflicht der Anhänge schließt u. a. die Darlegungs- und Beweispflicht für ihre Behauptung in sich, die Strecke, die von der Stelle der Befehlsverteilung bis zum Kollisionsort zur Verfügung gestanden habe, habe nicht ausgereicht, um- ihre.. Kühne ständig zu Machen. Das Berufungsgericht stellt diese Strecke mit mindestens 500 m fest, hält es aber für möglich, daß sie 1 km betragen hat. Der im angefochtenen Urteil aus dieser Sachlage gezogene Schluß, die Anhangkähne wären bei Befolgung der Anordnung vor dem Erreichen des Kollisionsortes ständig geworden, ist rechtlich unangreifbar. Damit ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der Nichtbefolgung der Anordnung und dem Zusammenstoß gegeben.Das Berufungsgericht ist zu der Überzeugung gekommen, daß den Kahnschiffer von H kein Mitverschulden an dem Zusammenstog trifft. Die Revision wiederholt die Behauptung der Beklagten, der Kahn H habe das Fahrwasser nicht so weit wie möglich freigemacht und damit gegen § Nr 4 RhSchPVO verstoßen. Sie hat aber nichts Beachtliches gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, ein solcher schuldhafter Verstog liege nicht vor, vorgebracht. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil lassen auch keinen Rechtsfehler erkennen."