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Leitsätze:
1) Zur Pflicht der Bergfahrer und der Talfahrer, die Fahrt bei ursichtigem Wetter gegebenenfalls einzustellen.
2) Zum Anscheinsbeweis bei Nichtabgabe der vorgeschriebenen Nebelzeichen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 1. Februar 1971
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Schiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte und beladene TMS D stieß im November gegen 19.30 Uhr auf dem Rhein-Herne-Kanal etwa bei km 25,5 in Richtung Henrichenburg fahrend mit dem bei der Klägerin versicherten MS M nahezu Kopf auf Kopf zusammen.
Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner in Höhe des erstatteten Schadens von annähernd 33 000,- DM in Anspruch, weil der Beklagte zu 2 bei unsichtigem Wetter während der Vorbeifahrt von TMS D an der Backbordseite des am Südwall des Kanals stilliegenden MS G die Orientierung verloren habe, mit seinem Schiff in die nördliche Kanalhälfte geraten sei und dort MS M angefahren habe. Außerdem habe er nicht die nach § 81 Nr. 1 BSchSO vorgeschriebenen Nebelzeichen gegeben. Die Beklagten behaupten, daß die Kollision allein darauf beruhe, daß MS M in der südlichen Hälfte des Kanals gefahren und dort mit TMS D zusammengestoßen sei.
Schiffahrts- und Schiffahrtsobergericht haben die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten ist die Klage in Abänderung der vorinstanzlichen Urteile nur zu 3/4 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 81 Nr. 1 BSchSO müssen bei unsichtigem Wetter alle in Fahrt befindlichen Schleppzüge und einzelnen Fahrzeuge als Nebelzeichen „einen langen Ton" geben, der in Abständen von längstens einer Minute zu wiederholen ist. Gegen diese Vorschrift hat die Führung des TMS D, wie das Berufungsgericht rechtlich einwandfrei ausgeführt hat, verstoßen. Davon geht auch die Revision aus. Sie meint jedoch, da im Streitfall nicht feststehe, in welcher Hälfte des Kanals die Kollision erfolgt sei, lasse sich auch nicht feststellen, daß die Nichtabgabe von Nebelzeichen durch TMS D die Kollision verursacht habe; zumindest habe das Berufungsgericht das Vorliegen eines Ursachenzusammenhangs nicht hinreichend begründet. Die Rüge verkennt, daß insoweit ein Anscheinsbeweis zugunsten der Klägerin streitet.
Im Schrifttum (Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß, 3. Aufl. S. 95 und 348/349) wird für die Rheinschiffahrt die Auffassung vertreten, es obliege demjenigen, der pflichtwidrig keine Nebelzeichen gegeben habe, zu beweisen, daß diese Unterlassung für die Kollision nicht ursächlich gewesen sei. Die Auffassung wird mit dem Schutzzweck des § 81 Nr. 1 RheinSchPVO 1954, der inhaltlich mit § 81 Nr. 1 BSchSO übereinstimmt, begründet. Ihr kann nicht zugestimmt werden. Sie widerspricht der sich aus §§ 92 BSchG, 734, 735, 738 HGB ergebenden Beweislastverteilung bei der Kollision von Schiffen oder im Falle einer Fernschädigung (vgl. auch Art. 2 Nr. 1 und 2 des Genfer Übereinkommens zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen vom 15. März 1960). Auch das Berufungsgericht nimmt eine Beweislastumkehr im Streitfall nicht an. Ersichtlich weil es mit den Worten „mangels entgegenstehender Anhaltspunkte" ausdrücken, daß ein Ursachenzusammenhang zwischen der Nichtabgabe von Nebelzeichen durch TMS D und dem Zusammenstoß nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu bejahen sei. Das ist bei den Gegebenheiten des Streitfalls zutreffend. So folgt aus den Feststellungen des Berufungsgerichts über die Sichtverhältnisse im Unfallbereich, daß TMS D zumindest ab km 25,100 wo MS G kurz zuvor die Fahrt wegen des unsichtigen Wetters eingestellt hatte, gehalten war, Nebelzeichen zu geben, und zwar bei der Stärke des Nebels (Sicht am Kollisionsort nicht nennenswert mehr als 20 m) mit nur kurzen Pausen. Weiter ergibt sich aus den Geschwindigkeiten der beiden Schiffe (MS M 3 km/st = 50 m/min; TMS D - nach dem nicht näher bestrittenen Vorbringen der Beklagten - 2 km/st = 33,3 m/min), daß sie bereits Minuten vor der Kollision nicht mehr weit voneinander entfernt waren und nur langsam einander näher kamen. Dann spricht aber ohne weiteres ein Anscheinsbeweis dafür, daß man auf MS M bei einer ordnungsgemäßen Abgabe von Nebelzeichen durch TMS D auf dieses Fahrzeug aufmerksam geworden wäre, wie es übrigens umgekehrt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf Grund der Nebelzeichen des MS M auf TMS D der Fall war, und rechtzeitig die Fahrt bis zur Klärung der Lage eingestellt hätte, zumal jede Begegnung oder Vorbeifahrt an einem anderen Fahrzeug in dem schmalen Fahrwasser (nach Weska: 23,5 m bei einer Tauchtiefe von 2,5 m) bei dem starken Nebel gefährlich war. Aus dieser Sicht kommt es aber für die Frage des Ursachenzusammenhangs nicht darauf an, in welcher Hälfte des Kanals sich die Kollision ereignet hat.
Der Führung des TMS D ist nicht nur vorzuwerfen, daß sie keine Nebelzeichen gegeben hat. Vielmehr war es auch nautisch falsch, die Fahrt im Nebel fortzusetzen. Das Berufungsgericht hat diesen Gesichtspunkt nicht erörtert. Davon kann jedoch nicht abgesehen werden. Denn, wie noch auszuführen sein wird, trifft die Führung von MS "M"ein Mitverschulden an dem Zusammenstoß, so daß vorliegend eine Abwägung nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens zu erfolgen hat (§§ 92 BSchG, 736 Abs. 1 HGB).
Bei unsichtigem Wetter gilt nicht nur für die Talfahrer, sondern auch für die Bergfahrer die sich bereits aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht eines Schiffes ergebende Regel, daß sie die Fahrt einstellen müssen, sofern sie diese mit Rücksicht auf die verminderte Sicht, den übrigen Verkehr und die örtlichen Umstände nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen können. Wenn es in § 80 Nr. 3 BSchSO heißt, Bergfahrer müßten anhalten, wenn sie beim Weiterfahren Gefahr laufen würden, vor einem auftauchenden Hindernis nicht rechtzeitig anhalten zu können, so beinhaltet diese Formulierung keine Abweichung von der dargelegten Regel, die übrigens in § 80 Nr. 2 BSchSO für Talfahrer auch ausdrücklich festgelegt ist. Vielmehr sollte durch die von § 80 Nr. 2 BSchSO abweichende Fassung der Nr. 3 dieser Vorschrift lediglich dem Umstand Rechnung getragen werden, daß Fahrzeuge, welche die Strömung gegen sich haben, die Fahrt wesentlich schneller und einfacher einstellen können als solche, die mit der Strömung fahren (Kählitz, Das Recht der Binnenschiffahrt Bd. II § 80 BSchSO Anm. 8; Wassermeyer aaO S. 332 ff; vgl. auch die Zusammenfassung von § 80 Nr. 2 und 3 RheinSchPVO 1954 in § 6.30 Nr. 2 RheinSchPVO 1970). Ferner wird dadurch verdeutlicht, daß auch Bergfahrer, die bei unsichtigem Wetter noch beide Ufer oder jedenfalls noch ihren „guten Wall" sehen, die Fahrt einstellen müssen, wenn sich die Sicht so verschlechtert hat, daß sie die Strecke nicht mehr überblicken können, die sie für das rechtzeitige Anhalten ihres Fahrzeuges vor einem auftauchenden Hindernis benötigen.
Prüft man das Verhalten des TMS D an Hand dieser Grundsätze, so kann es keinen Zweifel geben, daß das Schiff bei einer Sicht von zuletzt nicht nennenswert mehr als 20 m die Fahrt hätte einstellen müssen.
Jedoch war auch MS M verpflichtet, die Fahrt einzustellen, sobald sich die Sicht so verschlechterte, daß seine Führung die Strecke nicht mehr übersehen konnte, die für ein rechtzeitiges Anhalten des Schiffes vor einem auftauchenden Hindernis nötig war. Auch wenn, wie nach den Ausführungen des Berufungsgerichts zu unterstellen ist, der Nordwall des Kanals stets in Sicht des MS M blieb, so kann weder dieser Umstand allein noch im Zusammenhang mit den Darlegungen des Berufungsgerichts über die übliche Fahrweise von Gegenkommern die Fortsetzung der Fahrt in den unterhalb derUechtingstraßenbrücke auftretenden starken Nebel rechtfertigen. Denn für die Führung des MS M bestand auch unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kein hinreichenderAnhalt dafür, daß die nördliche Hälfte des Kanals frei von Hindernissen war. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts konnte sie auch nicht darauf vertrauen, daß sich deshalb keine anderen Fahrzeuge im Revier befinden würden, weil die Nebelzeichen ihres Schiffes ohne Antwort geblieben waren. Nebelzeichen können verschluckt oder leicht überhört werden (Wassermeyer aaO. S. 338). Das weiß jeder Schiffsführer. Dem Berufungsgericht kann deshalb nicht gefolgt werden, wenn es jedes Mitverschulden der Führung des MS M an der Kollision verneint.
Den Führungen beider Schiffe ist vorzuwerfen, daß sie die Fahrt entgegen der Vorschrift des § 80 Nr. 2 bzw. Nr. 3 BSchSO fortgesetzt haben. Das würde an sich eine hälftige Schadensteilung rechtfertigen. Zum Nachteil der Beklagten, und zwar sehr wesentlich, fällt aber außerdem die Nichtabgabe von Nebelzeichen durch TMS D, ins Gewicht. Wenn ein Schiff entgegen der Bestimmung des § 80 Nr. 3 BSchSO die Fahrt fortsetzt und dabei noch nicht einmal Nebelzeichen gibt, so handelt seine Führung besonders leichtfertig. Es erscheint deshalb angemessen, daß die Beklagten 3/4 des Schadens der Interessenten des MS M zu tragen haben."