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Leitsatz:
Die Verkehrssicherungspflicht der Wasserstraßenverwaltung darf nicht überspannt werden. Wenn eine Baufirma mit der Errichtung einer Spundwand beauftragt wird, braucht die zuständige Verwaltungsbehörde nicht die gewissenhafte Durchführung jeder einzelnen Arbeitsleistung nachzuprüfen. Sie genügt in der Regel ihrer Sorgfaltspflicht, wenn sie durch regelmäßiges Absuchen mit Peilrahmen oder durch Echolotpeilungen die Einhaltung der Solltiefe gewährleistet. Treten plötzliche Hindernisse auf, mit denen nicht zu rechnen ist, so können derartige Risiken nicht der Wasserstraßenverwaltung angelastet werden.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 9. Mai 1968
II ZR 216/65
(Schiffahrtsgericht Mannheim; Schifffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte MS I (939 t groß, mit 783 t Kohle beladen, Tiefgang 2,21 m) rakte auf der Bergfahrt im Vorkanal der Schleuse Lauffen mit dem Vorschiff und wurde erheblich beschädigt. Die Fahrwasser-Solltiefe (Normalstau) beträgt an der Unfallstelle 2,50m.
Beim anschließenden Absuchen der Kanalstrecke durch die beklagte Wasserstraßenverwaltung wurde festgestellt, daß bei Ne-km 124,295 etwa 15 m vom rechten Wasseranschnitt entfernt ein Betonbrocken von 2,0 x 2,0 x 0,9 m Größe lag, der einen abgeschnittenen Spundbohlenrest von 0,9 m Länge enthielt. Die oberste Stelle des Brockens befand sich 2,35 m unter Normalstau. Nach Bergung des Brockens ergab sich, daß I auf den Betonbrocken aufgelaufen war.
Die Klägerin, die dem Schiffseigner den Schaden ersetzt hat, verlangt Ersatz des Schadens mit der Behauptung, daß die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Schiffahrtsobergericht hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten wurde das erstinstanzliche Urteil wieder hergestellt.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Klägerin hat behauptet: Bei den Bauarbeiten für die Schleuse Lauffen habe die Beklagte eine Spundwand errichtet. Hierbei sei der Betonbrocken, auf dem später MS I gerakt habe, in die Kanalsohle gebracht und nach Abschluß der Bauarbeiten dort belassen worden. Das habe die Beklagte in der mündlichen Verhandlung zugestanden. Das Geständnis habe sie auch nicht wirksam widerrufen, da sie die Unwahrheit des Geständnisses nicht bewiesen habe. Dieser Ansicht hat sich das Berufungsgericht angeschlossen. Die Revision greift diese Ausführungen mit zahlreichen Rügen an. Ob die Ansicht des Berufungsgerichts einer rechtlichen Nachprüfung standhält, bedarf keiner Erörterung, da die Frage des Geständnisses und seines Widerrufs nicht entscheidungserheblich eist; denn das Urteil kann schon deshalb nicht aufrechterhalten werden, weil es die Sorgfaltspflicht der Beklagten überspannt.
Das Berufungsgericht stellt fest (wobei es teilweise den nicht widerlegten Behauptungen der Beklagten folgt): Die vorzuhaltende Fahrwassertiefe (Normalstau) betrage 2,50 m. Tatsächlich liege die Sohle 2,80 m unter Normalstau. Der Betonbrocken, der von einer Sprieße (Stütze) der Sprundwand herrühre, habe mit seiner Oberkante zunächst 3,30 m unter Normalstau gelegen und sei mit einer 0,50 m starken Kiesschicht bedeckt gewesen.
Als der Brocken beim Absuchen gefunden wurde, befand sich nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils die Oberkante des Brockens 2,35 m unter Normalstau. Der Brocken muß sich demnach um 0,95 m aufgerichtet haben. Wie es zu diesem Aufrichten gekommen ist, wird im angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich festgestellt. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist jedoch zu schließen, daß das Berufungsgericht der Ansicht ist, der Brocken sei durch Ankermanöver eines Fahrzeuges aus seiner ursprünglichen Lage gebracht worden. Dagegen wird im angefochtenen Urteil nicht angenommen, daß sich der Brocken durch Kolkbildung in dieser sehr erheblichen Höhe aufgerichtet haben könnte. Eine Verletzung der Verkehrsssicherungspflicht wird darin gesehen, daß die Beklagte den Brocken in der Kanalsohle belassen habe, obwohl sie gewußt habe, daß er durch mechanische Einwirkung seitens der Schiffahrt zu einem Schiffahrtshindernis aufgerichtet werden könne.
Berücksichtigt man alle Umstände des Falles, so führt dies zu dem Ergebnis, daß das Schiffahrtsobergericht die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten überspannt hat. Die Beklagte hat behauptet, wenn die bauausführende Firma V. Betonsockel eingebracht haben sollte, so seien diese auf dem darunterliegenden Fels fest vergossen worden. Das Berufungsgericht zieht die Behauptung, Betonsockel seien auf dem Fels vergossen worden, nicht in Zweifel, ist aber offensichtlich der Meinung, das sei nicht ordnungsgemäß geschehen; denn es wirft der Beklagten vor, sie habe es unterlassen, sich zu vergewissern, daß das Vergießen ordnungsgemäß geschehen sei. Der Vorwurf ist nicht berechtigt. Wenn die Beklagte die Firma V. mit der Errichtung der Spundwand und damit auch mit ihrer Abstützung betraut hat (Arbeiten, die unstreitig zu den Nebenleistungen gehören), so braucht sie nicht die gewissenhafte Durchführung jeder einzelnen Arbeitsleistung nachzuprüfen. Rückschauend betrachtet ist allerdings klar geworden, daß es im Jahre 1949 beim Bau des Kanals angezeigt gewesen wäre, die ordnungsgemäße Ausführung gerade dieser Arbeit zu prüfen, daß es darüber hinaus richtiger gewesen wäre, den Betonsockel vor Inbetriebnahme des Kanals wieder zu entfernen. Vom damaligen Standpunkt aus kann aber der Beklagten kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie nicht alle unter ganz besonderen Ausnahmefällen möglichen Eventualitäten in Erwägung gezogen hat. Der Sockel war von einer 50 cm Kiesschicht bedeckt; diese Behauptung der Beklagten unterstellt das Berufungsgericht als richtig; sie ist jedenfalls nicht widerlegt. Es überspitzt aber wiederum die Sorgfaltspflicht der Beklagten, wenn es meint, die Beklagte habe in regelmäßigen Zeitabständen überprüfen müssen, ob die Lage des Sockels unverändert sei und dieser noch mit einer als Ankergrund vorgesehenen Kiesschicht von 0,5 m Stärke bedeckt sei. Da das Ankern an dieser Stelle verboten war, kann der Beklagten nicht eine besondere Sorgfaltspflicht zur Prüfung des Ankergrundes etwa deshalb auferlegt werden, weil es vorkommt, daß verbotswidrig geankert wird oder auch eine ganz ausnahmsweise Überschreitung des Ankerverbots nach § 5 BSchSO möglich ist, worauf die Revisionserwiderung hinweist. Wie wenig die Beklagte damit rechnen mußte, daß der mit dem Felsen verbundene, mit 50 cm Kies bedeckte Betonsockel eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen konnte, zeigt schon der tatsächliche Zeitablauf von 10 Jahren, in dem die Schiffahrt durch den Sockel in keiner Weise behindert wurde. Dabei haben allein im letzten Monat vor dem Unfall 98 Schiffe, die tiefer abgeladen waren als MS I, die Unfallstelle passiert. Die Beklagte genügt in der Regel, sofern nicht mit dem Auftreten bestimmter Schiffahrtshindernisse zu rechnen ist, ihrer Sorgfaltspflicht, wenn sie durch regelmäßiges Absuchen mit Peilrahmen oder durch Echolotpeilungen die Einhaltung der Solltiefe gewährleistet. Das ist hier unstreitig geschehen. Treten plötzliche Hindernisse auf, mit denen nicht zu rechnen ist, so gehört ein dadurch entstandener Schaden regelmäßig zu den Gefahren der Schiffahrt, gegen die sich die Schiffseigner versichern können und auch regelmäßig versichern. Diese Risiken können der Beklagten nicht angelastet werden (vgl. hierzu auch das Urteil des BGH VersR 1967, 468 = ZfB 1967, 264)."