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Leitsätze:
1) Verantwortlichkeit des Schleppzugführers für den richtigen Kurs des Anhangs.
2) Zum ursächlichen Zusammenhang zwischen einem nautischen Fehlverhalten und folgenschwerer Kollision.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 5. Juli 1976
II ZR 212/75
(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte, beladen zu Berg fahrende MS M begegnete, als es im Bereich der Straßenbrücke Wesel-Büderich einen am linken Fahrwasserrand laufenden D-Schubverband an dessen Backbordseite in einem Abstand von 10 m überholte, dem vom Beklagten geführten und ihm gehörenden Schleppboot E, das auf 35 m langem Strang den mit fast 1500 t beladenen Kahn L im Anhang hatte. Bei der Begegnung scherte SK L nach Backbord aus und kollidierte mit MS M, das bald darauf sank.
Von dem Gesamtschaden von ca. 350 000,- DM verlangt die Klägerin die Erstattung eines Teilbetrages von 55000,- DM, weil SB E den Anhang nicht sofort nach Steuerbord abgezogen habe, als er nach Backbord ausgeschert sei.
Der Beklagte bestreitet jedes Verschulden. Er habe den Kahn sofort nach Steuerbord weggezogen; jedoch habe für ein erfolgreiches Manöver weder genügend Zeit noch hinreichender Raum zur Verfügung gestanden.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf die Revision ist das Urteil aufgehoben und zur anderweiten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Als Führer des E-Schleppzuges war der Beklagte - unbeschadet der Verantwortung des Kahnschiffers - für den richtigen Kurs des SK L verantwortlich (vgl. BGH, Urt. v. 16. 6. 1969 - II ZR 189/67], LM RheinschiffahrtspolizeiVO v. 24. 12. 1954 Nr. 46 = VersR 1969, 749, 750). Es oblag daher ihm, als der Anhang in Backbordschräglage geriet, ebenfalls dafür zu sorgen, daß sie beseitigt wurde. Hierzu war ganz besondere Eile geboten: Die Begegnung mit MS M stand unmittelbar bevor; dieses Fahrzeug konnte wegen des an seiner Steuerbordseite befindlichen Schubverbandes nur wenige Meter nach Steuerbord ausweichen; die Annäherungsgeschwindigkeit zwischen dem E-Schleppzug und MS M betrug - wie in anderem Zusammenhang noch näher auszuführen sein wird - etwa 25 km/h, so daß zwischen dem Beginn des Ausscherens des SK L und der eigentlichen Vorbeifahrt des Kahns an dem Bergfahrer lediglich eine Zeitspanne von 15 bis 20 Sekunden verblieb. Unter derart besonderen Umständen war es aber, wenn damit die Kollision oder zumindest der schwere Kopf-auf-Kopf-Zusammenstoß hätten abgewendet werden können, geboten, den Anhang sofort und energisch nach Steuerbord abzuziehen, als er nach Backbord auszulaufen begann, und die Unterlassung dieser Maßnahme ein vorwerfbares Verschulden.
Nachdem - unbestrittenen - Vorbringen des Beklagten ist der E-Schleppzug mit einer Geschwindigkeit von 15 km/h zu Tal gefahren, während - nach den von keiner der Parteien bezweifelten Angaben des Schiffers von MS M - dieses Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 km/h zu Berg gekommen ist. Demnach hat die Annäherungsgeschwindigkeit zwischen dem Schleppzug und dem Bergfahrer etwa 25 km/h betragen, was rund 7 m/sec entspricht. Das bedeutet, daß die Zeitspanne zwischen dem „gut 100 m" oberhalb von MS M beginnenden Ausscheren des SK L und der eigentlichen Begegnung der beiden Fahrzeuge zwischen 15 und 20 Sekunden gelegen hat. Daß ein derart knapper Zeitraum ausgereicht hätte, den großen, nahezu voll abgeladenen Kahn noch so abzuziehen, daß insbesondere eine Kopf-auf-Kopf-Kollision vermieden worden wäre, hatte der Beklagte bestritten. Deshalb hätte sich das Berufungsgericht mit diesem - für den Ursachenzusammenhang besonders bedeutsamen - Gesichtspunkt näher befassen müssen, zumal der Beklagte auch behauptet hatte, daß schon die Strömungsverhältnisse in dem Unfallbereich infolge der dortigen Linkskrümmung des Stromes nicht erlaubt hätten, das schwere Fahrzeug schnell wegzuziehen.
Da das Berufungsgericht das unterlassen und damit § 286 ZPO verletzt hat, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es war deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dort wird der Beklagte Gelegenheit haben, auf die erstmals im Revisionsrechtszug aufgestellte Behauptung zurückzukommen, daß es allein etwa 15 Sekunden gedauert hätte, das Ruder des SB E ganz nach Steuerbord zu legen. Auch scheint es naheliegend, daß sich das Berufungsgericht vor einer erneuten Entscheidung der Sache sachverständig beraten läßt, da es für den Ursachenzusammenhang im wesentlichen nicht auf nautische, sondern auf nicht einfache technische und physikalische Fragen ankommt.