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II ZR 210/58 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Date du jugement: 14.01.1960
Numéro de référence: II ZR 210/58
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Das Heranfahren eines großen Motorschiffes an ein kleines Proviantboot kann die adäquate Ursache für die durch Eispressungen hervorgerufenen Schäden an dem Boot bilden und begründet ein Verschulden des Motorschiffsführers, weil ein solches Manöver, selbst ohne Eisgang, einen schweren Kunstfehler darstellt.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 14. Januar 1960

II ZR 210/58


Zum Tatbestand:

Der Kläger ist Besitzer eines aus einer hölzernen Barkasse umgebauten Proviantbootes, die Beklagte Eignerin des vom Beklagten geführten Motorschiffes A.
Das Proviantboot lag einige Tage unbenutzt in einer als Hafen bezeichneten, von der Wasserstraßenverwaltung als Liegeplatz angewiesenen Ausbuchtung des Mittellandkanals neben einem Wohnprahm, der dem Kläger. als Unterkunft diente. An dem Unfalltage, als an der Liegestelle des Bootes Scholleneis in einer Stärke von 5 bis 8 cm in erheblichem Umfange vorhanden war, arbeitete sich der Beklagte mit dem Motorschiff durch Schrauben- und Ankermanöver bis auf etwa 3 m an das Proviantboot heran und ließ eine Laufplanke hinüberlegen, auf der sich seine Ehefrau und einige andere Personen auf das Proviantboot begaben, wo sie sich von der Ehefrau und dem Sohn des schon einige Tage vorher verreisten Klägers beim Wareneinkauf bedienen ließen. Als sich plötzlich auf dem Bodenbelag des Bootes Wasser zeigte, die Lenzpumpe jedoch trotz der Mithilfe des Matrosen K. vom Motorschiff A versagte, weil der Kläger sie wegen des Frostes vor seiner Abreise entwässert hatte, verließen alle Besucher das Proviantboot. Das Motorschiff A setzte unmittelbar darauf seine Reise fort. Das Proviantboot sank sodann innerhalb von 20 bis 30 Minuten. Nach seiner etwa 5 Monate später erfolgten Hebung wies es am Heck der Backbordseite ein etwa 80 cm großes Leck auf.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz seines Schadens, bestehend u. a. aus dem Wert des Bootes, der Warenausstattung und seinem monatlichen Verdienstausfall sowie Bergungskosten. Er begründet diese Ansprüche damit, daß das Motorschiff für den Schaden
verantwortlich sei, weil das Proviantboot durch Eispressung infolge zu nahen Anfahrens leck geworden sei.
Das Amtsgericht - Schiffahrtsgericht - hat die Klage hinsichtlich der obengenannten Ansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht - Schiffahrtsobergericht - hat die Klage zu 1/3 abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Klägers das Urteil des Schiffahrtsgerichts in vollem Umfang wiederhergestellt.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision meint, ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der Fahrweise des Motorschiffes und der Beschädigung des Bootes sei nicht gegeben; das Boot habe einer normalen Beanspruchung des Schiffsverkehrs nicht standgehalten.
Die Rüge muß schon daran scheitern, daß die Revision von der unrichtigen Auffassung ausgeht, bei dem An- und Ablegemanöver des Motorschiffes habe es sich um einen Vorgang des „normalen" Verkehrs gehandelt. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Durch die Bewegung des von seinem Backbordanker festgehaltenen Motorschiffes ist eine Eispressung entstanden, wie sie bei normalem Schiffsverkehr nicht vorkommt. Entgegen der Behauptung der Revision lag das Boot nicht im Schifffahrtsweg des Kanals, sondern innerhalb der als „Hafen" bezeichneten Ausbuchtung des Kanals. Die Eispressung, die der Beklagte durch seine Schiffsmanöver herbeiführte, war ganz erheblich stärker als eine solche, die durch in genügendem Abstand vorbeifahrende Schiffe entstehen konnte. Darin, und nicht in der Bauart des Bootes liegt die Besonderheit des Falles. Im übrigen übersieht die Revision, daß das Berufungsgericht durchaus nicht festgestellt hat, daß das Boot fehlerhaft gebaut worden sei.
Das Verschulden des Beklagten ist im angefochtenen Urteil, wie folgt, begründet: Auch für das Verschulden bedürfe es keines Anscheinsbeweises, es sei vielmehr nach den festgestellten Tatumständen als bewiesen anzusehen. Der Beklagte habe als Schiffsführer wissen müssen, wie sich unter den gegebenen Eisverhältnissen ein Heranarbeiten mit dem schweren Motorschiff an das kleine Proviantboot auswirken könnte; schon unter normalen Wetterbedingungen, also ohne Eisgang, sei, wie das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen H. ausführt, das Heranfahren eines großen Motorschiffes an ein so kleines Boot ein schwerer Kunstfehler. Üblich sei, daß das Boot an das große Schiff heranfahre und nicht umgekehrt. Das Heranfahren des Motorschiffes sei, zumal unter den gegebenen Eisverhältnissen, gefährlich gewesen und hätte daher vermieden werden müssen.
Es ist nicht richtig, daß der Beklagte, wie die Revision meint, durch eine unglückliche, für ihn nicht voraussehbare Kette von Umständen durch sein Schiff eine Eisscholle in Bewegung gesetzt habe, die eine schon schadhafte Stelle des Schiffes eingedrückt habe. Vielmehr mußte der Beklagte bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers damit rechnen, daß das Boot durch sein Schiffsmanöver infolge Eispressung Schaden erleiden konnte. Er hatte sowohl den Eisgang als auch das kleine Holzboot vor Augen. Wenn er die Überlegung, daß von seinem Schiff bei Setzen des Backbordankers das Eis gegen das Boot gedrückt und dieses dadurch beschädigt werden konnte, nicht anstellte, so gereicht ihm dies zum Verschulden.
Die Revision will anscheinend ein Verschulden des Klägers darin sehen, daß er sich von seinem stillliegenden Boot mehrere Tage entfernt hatte. Wie der Kläger den Schaden hätte verhindern können, lassen die Ausführungen der Revision nicht erkennen. Denkbar wäre es einmal, daß der Kläger das Heranfahren des Motorschiffes verhindert hätte. Der Kläger brauchte aber nicht damit zu rechnen, daß sich ein großes Schiff in gefährlicher Weise an sein Boot heranarbeiten würde, so daß es ihm nicht zum Verschulden angerechnet werden kann, wenn er seine Angehörigen wegen einer so fernliegenden Möglichkeit nicht mit der erforderlichen Unterweisung versah. Dann könnte daran gedacht werden, daß der Kläger durch irgendwelche Rettungsmaßnahmen das Sinken des Bootes verhindert hätte. In dieser Richtung hat aber die Revision nichts aufgezeigt, was den Untergang hätte verhindern können. Da eine Motorpumpe nicht zur Verfügung stand, konnte dem Wassereinbruch wirksam nicht entgegengearbeitet werden.
Die Revision beanstandet weiter, es sei die Behauptung der Beklagten übergangen, daß das Boot an beiden Seiten der Außenhaut mehrere Faulstellen aufgewiesen habe. Die Revision meint, wenn dies richtig sei, habe das Boot nicht an dieser Stelle überwintern dürfen. Dem kann nicht zugestimmt werden. Uber Zahl und Umfang dieser angeblichen Faulstellen hat die Beklagte keine näheren Behauptungen aufgestellt, obwohl sie das Boot von ihrem Sachverständigen hatte untersuchen lassen. Einzelne kleinere Faulstellen machen aber ein Boot nicht fahruntüchtig und schließen daher auch ein Überwintern an dem von der Wasserstraßenverwaltung zugewiesenen Liegeplatz nicht aus.

Die Revision der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung die Ansicht vertreten, der Kläger hätte während des Winters sein schwaches Boot an Land ziehen lassen müssen. Dem kann nicht gefolgt werden. Das Proviantboot enthielt Waren. Es konnte dem Kläger weder zugemutet werden, die Waren auszulagern, noch auf seinen Handel, sei es über Land, sei es bei Besserung der Wetterverhältnisse zu Wasser, zu verzichten. Das Boot ist auch nicht, weil es den Einflüssen der winterlichen Witterung nicht standgehalten hätte, sondern wegen des nautisch fehlerhaften Verhaltens des Beklagten gesunken.
Das beiderseitige Verschulden wägt das Berufungsgericht nach § 254 BGB ab. Die Anwendbarkeit des § 92 BSchG mit § 736 HGB verneint es, da das Boot nicht als Schiff im Sinne des § 1 BSchG anzusehen sei.
Die letztere Ansicht ist unrichtig. Ein mit einem 55-PS-Motor ausgestattetes, 8 m langes und 2,35 m breites Proviantboot, das zur Versorgung der auf dem Mittellandkanal verkehrenden Schiffe dient, ist ein Schiff im Sinne des § 1 BSchG.
Gewiß hätte der Kläger seine Angehörigen vor seiner Abreise darauf hinweisen müssen, daß die Handpumpe entwässert war, und er hätte sie auch in der Bedienung dieser Pumpe unterweisen müssen. Das Berufungsgericht hat aber nicht festgestellt, daß diese pflichtwidrige Unterlassung ursächlich für das Sinken des Bootes gewesen sei; eine solche Feststellung kann nach den Ausführungen des Sachverständigen H., denen das Berufungsgericht im wesentlichen gefolgt ist, auch nicht getroffen werden.
Die Revision des Klägers hat recht, wenn sie es als eine Überspannung der Sorgfaltspflicht des Klägers bezeichnet, wollte man von ihm verlangen, seine Einrichtungsstücke und Warenbestände so anzuordnen, daß die Bootswände zwecks Auffindung eines etwaigen Lecks überall leicht zugänglich waren. Auch bei größeren Schiffen, die - mögen sie auch stabiler gebaut sein - einer Leckgefahr, z. B. durch Grundberührung, in höherem Maße ausgesetzt sind als das Proviantboot in seinem begrenzten Wirkungsbereich, ist eine solche Maßnahme undurchführbar. Dem Kläger kann nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er den Raum so nutzte, wie es geschehen ist.
Der Revision des Klägers war daher der Erfolg nicht zu versagen. Sie mußte zur Wiederherstellung des schifffahrtsgerichtlichen Urteils führen.