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II ZR 19/71 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Date du jugement: 22.06.1972
Numéro de référence: II ZR 19/71
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Wird ein Talfahrer, der die Fahrt im dichten Nebel verspätet abgebrochen, dann aber das Fahrwasser so weit wie möglich frei gemacht hat, von einem nachfolgenden Fahrzeug angefahren, so kann ihm die Tatsache allein, daß er die Fahrt entgegen der Vorschrift des § 80 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPolVO 1954 nicht früher eingestellt hat, nicht als Mitverschulden zugerechnet werden.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 22. Juni 1972

II ZR 19/71

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim; Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

Wegen dichten Nebels hatte das der Klägerin gehörende MS S auf der Talfahrt nach Passieren der Frankenthaler Autobahnbrücke aufgedreht und unterhalb des etwas mehr linksrheinisch stehenden Brückenpfeilers neben einem dem linken Ufer vorgelagerten Grund geankert. Gleichfalls auf Talfahrt befand sich das den Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS B, das oberhalb der Brücke nahe dem rechten Ufer mit dem Bergfahrer TMS H kollidiert war und unmittelbar unterhalb der Brücke über Backbord aufdrehen wollte. Hierbei geriet es mit dem Backbordvorschiff gegen die Backbordseite des MS S.

Die Klägerin verlangt Ersatz der bei diesem Unfall erlittenen Schiffsschäden in Höhe von ca. 9 200,- DM, weil MS B verbotenerweise im Nebel gefahren sei.

Die Beklagten bestreiten ein Verschulden. MS S habe nicht außerhalb des Fahrwassers gelegen. Für den Fall, daß dem MS B die Fahrt im Nebel vorzuwerfen sei, treffe der gleiche Vorwurf die Führung des MS S, weil es ebenfalls erst im Nebel aufgedreht habe.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach in vollem Umfange, das Rheinschiffahrtsobergericht nur zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil zur anderweiten Entscheidung aufgehoben worden, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt wurde.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Der Streit der Parteien geht im Revisionsrechtszug in erster Linie darum, ob die Führung des MS S die Kollision zurechenbar mitverschuldet hat.
§ 80 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPolVO 1954 gebietet der Talfahrt, die Fahrt einzustellen, sobald sie diese infolge verminderter Sicht und mit Rücksicht auf den übrigen Verkehr oder die örtlichen Umstände nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen kann. Die Vorschrift will demnach die Gefahren verhindern, die mit der Fortbewegung eines Talfahrers bei ungenügender Sicht verbunden sind. Diese Gefahren entfallen aber jedenfalls dann, wenn, wie hier, der Talfahrer, der zunächst die Fahrt entgegen der genannten Vorschrift fortgesetzt hat, diese eingestellt und einen Liegeplatz aufgesucht hat, der nicht zu beanstanden ist. Wird er nunmehr dort von einem anderen Fahrzeug angefahren, so verwirklicht sich nicht mehr die Gefahr, die mit seiner Fahrt im Nebel verbunden war, sondern nur jene, die durch die Fahrt des anderen Fahrzeugs im Nebel entstanden ist. Die Lage ist hier nicht anders als bei jedem anderen Stillieger, der das Fahrwasser - gemäß der Vorschrift des § 80 Nr. 4 Rhein SchPolVO 1954 - so weit wie möglich frei gemacht hat und von einem Dritten angefahren wird.

Danach kann der Führung des MS S ihr Verstoß gegen § 80 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPolVO 1954 nicht als mitwirkendes Verschulden bei der Entstehung des Schadens zugerechnet werden, der durch die spätere Anfahrung ihres Schiffes seitens des MS B verursacht worden ist.

Nun kann allerdings ein Mitverschulden des Geschädigten nach § 254 BGB, der insoweit durch § 92 BinnSchG in Verbindung mit § 736 HGB nicht ausgeschaltet ist, auch dann vorliegen, wenn er nicht gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen hat oder ihm ein derartiger Verstoß, wie hier, im Rahmen des § 254 BGB nicht zuzurechnen ist. Denn das Verschulden des Geschädigten im Sinne dieser Vorschrift besteht darin, daß er diejenige Aufmerksamkeit und Sorgfalt nicht beachtet hat, die ein ordentlich und gewissenhaft handelnder Mensch anzuwenden pflegt, um eigenen Schaden zu vermeiden (BGHZ 9, 316, 318). Hingegen braucht ein schuldhaftes Verhalten derart, daß es - gemessen an den Forderungen der Rechtsordnung - den Vorwurf der Rechtswidrigkeit verdient, nicht gegeben zu sein. Deshalb kann einen Stillieger, der von einem anderen Fahrzeug angefahren wird, ein Mitverschulden an dem Unfall auch treffen, wenn er einen Liegeplatz benutzt hat, der zwar nach schiffahrtspolizeilichen Vorschriften nicht zu beanstanden ist, den aber eine sorgfältig auf ihr Interesse bedachte Schiffsführung nicht aufgesucht hätte. Da das Berufungsgericht das Verhalten der Führung des MS S unter diesem Gesichtspunkt nicht geprüft hat und dem Senat eine abschließende Beurteilung dieser weitgehend auf tatsächlichem Gebiete liegenden Frage mangels hinreichender Feststellungen seitens des Berufungsgerichts nicht möglich ist, war das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es zum Nachteil der Klägerin erkannt hat, und die Sache im Umfang der Aufhebung zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Dieses wird nunmehr Gelegenheit haben zu erörtern, ob der Führung des MS S ein Mitverschulden an der Beschädigung ihres Schiffes deshalb vorzuwerfen ist, weil sie einen Liegeplatz aufgesucht hat, der zwar einerseits im Nebel lag, andererseits aber durch den linksrheinischen Grund und einen Brückenpfeiler gut gegen weitere Talfahrt abgeschirmt gewesen sein soll und, wie dem Rheinatlas (Editions de la Navigation du Rhin, Strasbourg 1967) zu entnehmen ist, sich abseits des im Brückenbereich üblicherweise rechtsrheinisch verlaufenden Kurses der Bergfahrt befunden hat. Sollte das Berufungsgericht diese Frage bejahen, so wird es erneut zu prüfen haben, ob das Verhalten der Führung des MS S für die Beschädigung ihres Fahrzeugs durch MS B adäquat kausal war. Das dürfte sich, wie das Berufungsgericht anscheinend meint, nicht damit begründen lassen, daß wegen des - unerlaubten - Hineinfahrens des MS S in den Nebel mit einem entsprechenden Verhalten des nachfolgenden MS B zu rechnen war, weil es keinen Erfahrungssatz dahin gibt, daß die Führung eines Schiffes, die ein vorausfahrendes Fahrzeug im dichten Nebel verschwinden sieht, nun ebenfalls verkehrswidrig handelt und in den Nebel hineinfährt, überdies MS B dem MS S nicht unmittelbar gefolgt ist, sondern zwischen den beiden Talfahrern ein zeitlich nicht unerheblicher Abstand von etwa 10 Minuten gelegen hat."