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Leitsätze:
1) Verbotene Kursänderungen bei Begegnungen.
2) Unaufmerksamkeiten, die mit einer nicht notwendigen Benutzung des Radargerätes zusammenhängen, sind nicht entschuldbar.
3) Die Befolgung der Kursweisung des Bergfahrers gehört ebenso wie das Kursänderungsverbot beim Begegnen zu den Grundregeln des Binnenschifffahrtsverkehrsrechts.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 27. Februar 1967
(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Rheinschifffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das dem Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte, beladene Tankmotorschiff „C" fuhr bei einer Sicht von etwa 1000 m oberhalb von Wesseling unter Benutzung des Radargeräts und bei völliger Abdichtung des Steuerstuhls durch Blenden zum Berg. Bei der Begegnung mit dem der Klägerin gehörenden, zu Tal fahrenden beladenen MS „S", das im Begriff war, backbords den zu Tal fahrenden Schleppzug MS „Rhenus 125" mit seinem auf kurzem Anhang hängenden, nebeneinander gekoppelten Kähnen „TS" und „F 70" zu überho¬len, kam es zur Kollision, wobei TMS „C" am Backbordvorschiff in Höhe der vorderen Kajüte, und MS „S" u. a. am Steven beschädigt wurden. Auf „C" und "S" war weder die blaue Seitenflagge gesetzt noch wurde das Blinklicht betätigt; jedoch wurden Schallsignale zwischen Tal- und Bergfahrt ausgetauscht.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage zur Hälfte, das Rheinschifffahrtsobergericht hat sie zu einem Drittel, das Revisionsgericht jedoch zu zwei Dritteln dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Verschulden von MS „S"
Zutreffend hat das Berufungsgericht das Überholmanöver von „S" für zulässig angesehen. Wohl aber liegt, wie auch das Berufungsgericht angenommen hat, ein Verschulden der Führung von „S" darin, dass sie die Kursweisung des Bergfahrers nicht befolgte (§ 38 Nr. 1 RhSch-PVO), als C" in einem Abstand von 50 bis 100 m vor „Rhenus 125" unter Abgabe eines Steuerbordsignals nach Steuerbord ging; in diesem Zeitpunkt befand sich „S" auf der Höhe des Anhangkahnes „TS", wie das Berufungsgericht feststellt. Von da an entsprach der Kurs des Bergfahrers seiner Kursweisung, so dass nunmehr für die Talfahrt der vorher bestehende Zweifel über die Begegnung an Backbord behoben war. MS S" musste daher seinen Kurs hart am Anhangkahn beibehalten; seine Führung hat nautisch fehlerhaft gehandelt, als sie trotz des wahrgenommenen Steuerbordsignals von „C" Backbordsignal gab und Backbordkurs einschlug. Die Revision meint, „S" habe keine andere Möglichkeit gehabt, da „C" keinen geeigneten Raum zur Begegnung an Backbord gelassen habe. Sie greift damit jedoch unter eigener Würdigung des Beweisergebnisses in unzulässiger Weise die Feststellung des Berufungsgerichts an, der Unfall wäre vermieden worden, wenn MS S" seinen Kurs beibehalten hätte.
2. Verschulden von TMS „C"
Das Berufungsgericht hat in der fehlerhaften Fahrweise des TMS „C" eine Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht gesehen (§ 4 RhSchPVO). Mit Recht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe verkannt, dass sich die Führung von „C" einer verbotenen Kursänderung schuldig gemacht hat. „C" fuhr, als Berg- und Talfahrer gegenseitig wahrnehmbar in Erscheinung traten, in der Nähe des linksrheinischen Fahrwassers. Es musste diesen Kurs in der leichten Stromkrümmung beibehalten, da er jede Gefahr bei der Begegnung mit der Talfahrt ausschloß. Dieser Kurs war auch nach § 38 Nr. 2 RhSchPVO festgelegt, da „C" nicht die blaue Seitenflagge zeigte. Entgegen dem ausdrücklichen Verbot des § 37 Nr. 2 und 3 RhSchPVO schlug „C" Backbordkurs in Richtung auf die Talfahrt ein, der die Gefahr eines Zusammenstoßes heraufbeschwor. Die Talfahrt wurde dadurch in Ungewissheit versetzt, wie sich die Begegnung vollziehen sollte, da der gefahrene Kurs mit der Kursweisung nicht vereinbar war.
Dem Bergfahrer muss weiter zum Vorwurf gemacht werden, dass er das MS „S" viel zu spät bemerkt hat. Der Schiffsführer von „C" hat im Verklarungsverfahren bekundet, er habe, als der Kopf seines Schiffes ungefähr in der Höhe des Kopfes vom „Rhenus"-Motor gewesen sei, auf einmal hinter den Anhangkähnen des Rhenus"-Motors das MS „S" mit Backbordkurs herauskommen sehen. Die Partei von C" hat keine Erklärung dafür abgegeben, warum es dem Führer von „C" nicht ebenso wie dem Führer von „S" möglich gewesen sein sollte, den Entgegenkommer auf weite Entfernung zu sehen. Da Schiffsführer O. den Gegenfahrer „S" nicht im Radarschirm entdeckte, sondern erst sah, als er durchs Fenster schaute, liegt es nahe, da) die Unaufmerksamkeit mit der hier gar nicht einmal notwendigen Benutzung des Radargerätes zusammenhängt. Das kann aber die Führung von „C" nicht entschuldigen.
3. Schuldabwägung
Das Berufungsgericht hat die Verantwortung des Bergfahrers, der zunächst einen kollisionsfreien Kurs fuhr und dann unter Mitachtung des Kursänderungsverbots den Kollisionskurs einschlug und verspätet abbrach, wesentlich unterschätzt und nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 37 Nr. 2 und 3 RhSchPVO gewürdigt, auch die Unaufmerksamkeit des Bergfahrers, die in der verspäteten Wahrnehmung des Talfahrers S" liegt, nicht berücksichtigt. Es hat ferner nicht berücksichtigt, daf7 das fehlerhafte nautische Verhalten des Bergfahrers nicht nur die zeitlich erste, sondern auch die überwiegende Ursache war, die den Unfall herbeigeführt hat. Denn hierdurch wurde die Verwirrung hervorgerufen, die zwar der Schleppzugführer, nicht aber der Führer von „S" gemeistert hat. Wenn das Berufungsgericht dessen Verschulden als grobe Fahrlässigkeit wertet, so verkennt es den Begriff der groben Fahrlässigkeit. Gewiss kann es auf grober Fahrlässigkeit beruhen, wenn der Talfahrer die Kursweisung des Bergfahrers mitachtet. Unter den hier vorliegenden Umständen kann aber nicht davon gesprochen werden, dass der Führer von „S" in ungewöhnlich hohem Maße seine Sorgfaltspflicht verletzt habe.
In der von „C" herbeigeführten erheblichen Gefahrenlage hat er, wie das Berufungsgericht feststellt, die Steuerbordbegegnung für zweckmäßiger gehalten; dabei hat er sich geirrt, weil die Verkehrslage eine Auf7eracht-lassung des Gebotes der Befolgung der Kursweisung nicht rechtfertigte. Sein Verschulden kann aber nicht so schwer ins Gewicht fallen, da ihm durch das fehlerhafte Verhalten von „C" der Entschluss für seine nautischen Malinahmen innerhalb sehr kurzer Zeit abgenötigt worden ist. Andererseits ist sein Verschulden aber auch nicht ganz unerheblich, da die Befolgung der Kursweisung des Bergfahrers ebenso wie das Kursänderungsverbot beim Begegnen zu den Grundregeln des Binnenschifffahrtverkehrsrechts gehört. Unter diesen Umständen erscheint eine Schadensverteilung im Verhältnis 2:1 zu Lasten des TMS „C" angemessen (§ 254 BGB, § 92 BSchG i. V. m. § 736 HGB)."