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Leitsätze:
1) Der Überholende darf den Vorausfahrenden nicht in eine Lage bringen, in der ein leichtes Versehen des Vorausfahrenden einen Unfall herbeiführen kann.
2) Die dem weisungsberechtigten Bergfahrer obliegende Verantwortung schließt die Pflicht in sich, entsprechend seiner eigenen Weisung selbst den Fahrtweg einzuschlagen, der ein gefahrloses Passieren ermöglicht. Zur Schadensverteilung bei gleichzeitigem Überholen und Begegnen, wenn alle drei Schiffe schuldig sind
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 13. Juni 1966
II ZR 178/64
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Der der Klägerin gehörende Schleppzug, bestehend aus MS D224 und Kahn D119, wurde auf der Talfahrt in der Rechtskrümmung des Rheins bei Grimlinghausen auf seiner Backbordseite von dem der Beklagten zu 1 gehörenden und von dem Beklagten zu 2 geführten KMS T überholt. Gleichzeitig begegnete ihm auf der Steuerbordseite das der Beklagten zu 3 gehörende und vom Beklagten zu 4 geführte TMS V. Dabei stießen D119 und V zusammen und wurden beschädigt. Die Klägerin sieht die Unfallursachen allein darin, daß D119 unter der Wirkung des von dem überholenden KMS ausgehenden Sogs ausgeschert sei und daß V den Damco-Schleppzug zu hart angehalten habe. Die Beklagten haben ein falsches Verhalten bestritten.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klagen gegen die Beklagten zu 1 und 2 abgewiesen und gegen die Beklagten zu 3 und 4 dem Grunde nach zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2 dem Grunde nach zu 4/5 für gerechtfertigt erklärt, aber gegen die Beklagten zu 3 und 4 abgewiesen. Das Revisionsgericht hat entschieden, daß die Klage dem Grunde nach gegen die Beklagte zu 1 in Höhe von 4/7r gegen den Beklagten zu 2 in Höhe von 4/5, gegen die Beklagte zu 3 in Höhe von 2/7 und gegen den Beklagten zu 4 in Höhe von 2/3 gerechtfertigt sei, wobei die Beklagten jedoch insgesamt nicht mehr als 6/7 des Schadens der Klägerin zu ersetzen hätten.
Aus den Entscheidungsgründen:
I. Verschulden der Schiffsführung des KMS T
Die Revision meint, es sei nicht widerlegt, daß für T ein Überholungsraum von 100 m zur Verfügung gestanden habe, wie das Rheinschiffahrtsgericht - dem das Berufungsgericht nicht gefolgt ist - angenommen habe. Die Revision verkennt, daß der Beweis für die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Überholens von dem Überholenden zu führen ist.
Das Berufungsgericht hält diese Voraussetzungen nicht für bewiesen, da feststeht, daß die von T ausgehende Sogwirkung den Kahn D119 zum Ausscheren nach Steuerbord gebracht habe, da sich die Enge des Überholungsraumes daraus ergebe, daß der Schiffsführer von T nach seiner Bekundung den Kurs dicht an den Kribben vorbei gewählt habe, der nicht ungefährlich gewesen sei, und da der Bergfahrer V entgegengekommen sei, der den Schleppzug nahe angehalten habe, was der Führer von T rechtzeitig erkannt habe.
Dem kann die Revision nicht mit der Erwägung entgegentreten, das überholende Schiff beeinflusse immer den Vorausfahrenden. Es kommt auf die Stärke der Beeinflussung an. Auch der Umstand, daß die Führung von D119 durch sorgfältige und geschickte Ruderführung das Ausscheren hätte verhindern können, vermag die Führung von T nicht zu entlasten. Der Überholende darf den Vorausfahrenden nicht in eine Lage bringen, in der ein leichtes Versehen des Vorausfahrenden einen Unfall herbeiführen kann. In solchen Fällen fehlt es an dem „unzweifelhaft hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt" (§ 37 Nr. 1 RhSchPVO), an der Durchführung des Manövers „ohne Gefahr" (§ 42 Nr. 1 RhSchPVO). Daß der Führung von D119 bei der Bedienung des Ruders, das zu spät nach Backbord ausgedreht worden ist, nur ein leichtes Versehen unterlaufen ist, ist im angefochtenen Urteil zutreffend mit dem Hinweis ausgeführt, die Wahl des richtigen Zeitpunktes sei dabei nicht einfach gewesen. Ob durch rechtzeitiges Ruderlegen der Unfall überhaupt vermieden worden oder nur in seinen Folgen abgeschwächt worden wäre, ist für die Frage des ursächlichen Verschuldens der Führung von T nicht von entscheidender Bedeutung.
Die Revision begeht den Fehler, daß sie die einzelnen Umstände, die für die Frage der Zulässigkeit des Überholens von Bedeutung sind, nicht in ihrem Zusammenhang sieht. Diese Umstände sind: Überholen auf der Talfahrt im Hang einer starken Rechtskrümmung des nach dem Sachverständigengutachten mit 6 km/h fließenden Stromes, ungenügender Abstand und Sogwirkung beim Überholen eines schwer beladenen, großen Kahnes durch ein breit gebautes KMS mit der Gefahr des Ausscherens des Kahns, gleichzeitiges Begegnen mit einem den Schleppzug nahe anhaltenden Bergfahrer. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht in Gesamtwürdigung der Umstände zu der Überzeugung gekommen, daß die Partei von T die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Überholmanövers nicht bewiesen hat. Unter den gegebenen Umständen brauchte das Berufungsgericht keine näheren Feststellungen darüber zu treffen, in welchem Abstand T den Kahn überholt hat. Selbst wenn der Überholungsraum unzweifelhaft hinreichend gewesen wäre, wie das Rheinschiffahrtsgericht im Gegensatz zum Berufungsgericht angenommen hat, würde sich aus der Feststellung über den das Ausscheren bewirkenden Sog ergeben, daß T das Überholen nautisch fehlerhaft in zu nahem Abstand von D119 durchgeführt hat.
II. Verschulden des Kahnführers von D119
Es kann der Revision nicht zugegeben werden, dass D119 nur eine geringfügige Seitenbewegung nach Steuerbord ausgeführt habe. Nach der Aussage des klägerischen Kahnführers im Verklarungsverfahren hatte der Kahn vor dem Ausscheren eine Schiffsbreite (Breite des Kahns 8,08 m) backbords von D224 gelegen; bis zum Zusammenstop ist der Kopf des Kahns um etwa eine Schiffsbreite über die Steuerbordaußenwand von D224 hinaus geraten. Danach hat die seitliche Ausscherbewegung über 20 m betragen. Das ist keine geringfügige Seitenbewegung.
Unter Zugrundelegung der Angabe des Kahnführers konnte im angefochtenen Urteil ohne erneute Vernehmung des Kahnführers der Schlug gezogen werden, der Kahnführer habe schuldhaft so spät das Ruder nach Backbord ausgedreht, daß hierdurch das Ausscheren des Kahns nicht verhindert werden konnte.
Richtig ist, daß zu dem Unfall beigetragen hat, daß TMS V bei seiner Backbord-Ausweichung mit dem Achterschiff nach Steuerbord und damit gegen den ausscherenden Kahn geraten ist. Das beseitigt aber nicht den Schuldvorwurf gegen den Kahnführer.
III. Verschulden der Schiffsführung des TMS V
Die Ansicht des Berufungsgerichts, das nahe Anhalten des Talschleppzuges sei nautisch vertretbar gewesen, wird den besonderen Umständen des Falles nicht gerecht. Die Ausführungen des Berufungsgerichts in tatsächlicher Hinsicht, auf die es seine Auffassung stützt, stehen mit den sonstigen Feststellungen im angefochtenen Urteil und dem unstreitigen Sachverhalt in Widerspruch.
Die Aussage des Schiffsführers von V im Verklarungsverfahren, der „etwa 80 aus dem Land" gefahren sein will, läßt erkennen, daß V gefahrlos einen Abstand von mehr als 50 m von der Strommitte hätte halten können; tatsächlich ist aber V nach der Feststellung des Berufungsgerichts nicht 80 m aus dem Land, sondern nur in einem Abstand von etwa 25 m von der Strommitte gefahren. Es steht demnach fest, daß V den Talzug in erheblich weiterem Abstand hätte passieren können.
Hätte die Führung von V das Revier aufmerksam beobachtet, so hätte sie erkennen müssen, daß das Überholmanöver von T den Anhang von D224 in eine schwierige Lage bringen konnte. Sie kann sich nicht damit entschuldigen, daß D119 für sie durch D224 verdeckt war, da MS D224 den gelben Zylinder (§ 35 Nr. 1 RhSchPOV mit Bild 17) führte und damit erkennbar war, daß es einen Anhang hatte. Die gleichen Erwägungen, die nach den Ausführungen unter 1. von dem KMS T hätten angestellt werden und zum Unterlassen des Überholens hätten führen müssen, hätten auch von dem Bergfahrer V angestellt und ihn dazu bringen müssen, von dem D-Zug weiteren Abstand zu nehmen. Die dem weisungsberechtigten Bergfahrer obliegende Verantwortung schließt die Pflicht in sich, entsprechend seiner eigenen Weisung selbst den Fahrtweg einzuschlagen, der ein gefahrloses Passieren ermöglicht. Da die Führung von V erkennen muhte, daß der D-Schleppzug wegen des überholenden KMS T nicht zum linken Ufer hin ausweichen konnte, muhte sie selbst durch Ausweichen zum rechten Ufer hin genügend Raum für das gefahrlose Begegnen geben. Es bedeutet keine Überspannung der Sorgfaltspflicht, wenn dem Bergfahrer, der erkennen muh, daß ein ihm begegnender Kahn der Sogwirkung eines überholenden Schiffes ausgesetzt wird, die Pflicht auferlegt wird, die Begegnung in weiterem Abstand als sonst notwendig zu vollziehen.
IV. Schuldabwägung
Mit seinem unzulässigen oder zum mindesten nautisch fehlerhaften Überholen hat T die Gefahr geschaffen, die zum Ausscheren von D119 geführt hat; D119 hat hierauf nur nicht rechtzeitig reagiert. Auch im Verhältnis zwischen D 119 und V trifft, wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend angenommen hat, die Schiffsführung von V das überwiegende ursächliche Verschulden. Denn V hat, ohne dazu gezwungen zu sein, im Hinblick auf die von T geschaffene Gefahrenlage den Kahn zu nahe angehalten, während D119 in seiner schwierigen Lage zwischen dem überholenden und dem begegnenden Schiff nicht rechtzeitig gehandelt hat; „Valburg" hatte einen gröberen Spielraum zum rechtzeitigen Handeln als D119; das Beigehen von V zum rechten Ufer erforderte nicht ein so großes Mab von Geschicklichkeit und Sorgfalt als die Wahl des richtigen Augenblicks des Backbord-Ruderlegens durch D119. Im Verhältnis zwischen T und V überwiegt das ursächliche Verschulden von T nicht unerheblich, da T in erster Linie die Gefahr seines unzulässigen oder mindestens fehlerhaften Überholens erkennen muhte und V nur versäumt hat, sein nautisches Verhalten rechtzeitig auf die von T ausgehende Gefahrenlage einzustellen. Hiernach erscheint eine Schadensverteilung von 4 (T) : 2 (V) : 1 (D119) angemessen.
In diesem Verhältnis war der Schaden, den D119 erlitten hat, unter die Schiffseigner von T (4/7) und V (2/7) aufzuteilen (§ 92 BSchG mit § 736 Abs. 1 HGB). Daraus ergibt sich weiter, daß der Beklagte zu 2) als Schiffsführer von T 4/5 und der Beklagte zu 4) als Schiffsführer von V 2/5 dieses Schadens zu tragen haben (§§ 823, 254 BGB). Jedoch kann die Klägerin von allen Beklagten, die der Klägerin je in Höhe ihrer Haftquote schadensersatzpflichtig sind, nicht mehr als 5/7 des ihr entstandenen Schadens ersetzt verlangen (BGHZ 30, 203, 211 ff).
Als Gesamtschuldner haften der Klägerin die Beklagten zu
1) und 2) in Höhe von 4/7,
1) und 4) in Höhe von 4/7,
2) und 3) in Höhe von 2/7,
2) und 4) in Höhe von 2/3,
3) und 4) in Höhe von 2/7
(§ 840 BGB, BGHZ aaO 212).