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Leitsatz:
Zur Ausdehnung von Freizeichnungsklauseln in einem französischen Recht unterliegenden „Connaissement", das für Transporte auf dem Rhein verwendet wird, auf das Personal des Frachtführers.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 21. Januar 1971
II ZR 147/ 68
(Schiffahrtsgericht Dortmund, Schifffahrtsobergericht Hamm)
Zum Tatbestand:
Die Frachtführerin, ein französisches Unternehmen und die frühere Beklagte zu 1, hatte es übernommen, Bleche von Thionville nach Hamm mit ihrem vom Beklagten, dem früheren Beklagten zu 2 geführten MS H nach den Bedingungen (K. B.) eines „Connaissement" zu befördern. Hiernach ist u. a. jede Haftung des Reeders oder Ausrüsters für Schäden ausgeschlossen, die während des Transports, des Ladens oder Löschens durch Regen entstehen.
Die Klägerin verlangt als Empfängerin der Bleche vom Beklagten Ersatz von Nässeschäden in Höhe von ca. 23000,DM, weil der Beklagte bei der Übernahme einer Komplettierungspartie die Luken im strömenden Gewitterregen geöffnet habe und zeitweise mit offenen Luken bei regnerischem Wetter gefahren sei.
Der Beklagte verweist auf die Bedingungen des „Conaissement", das auch zugunsten eines Schiffsführers wirke. Ferner verjähre nach diesen Bedingungen jeder Anspruch gegen den „transporteur" in 3 Monaten.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Schifffahrtsobergericht hat ihr stattgegeben. Auf die Revision des Beklagten ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Bei den in Frage stehenden KB handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen eines französischen Frachtführers, denen französisches Recht zugrunde liegt. Sie haben das Gepräge einer ausländischen Rechtsordnung und sind daher ebenso wie ausländisches Recht nach den §§ 549, 562 ZPO der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen (BGH VersR 1966, 441, 442). Dieser Grundsatz greift allerdings dann nicht durch, wenn vom Standpunkt der Auslegung aus, die das Berufungsgericht selbst dem nichtrevisiblen Recht gibt, die Urteilsbegründung verfahrensrechtlich zu beanstanden ist, wenn also insbesondere die Vorschrift des § 286 ZPO insofern verletzt ist, als der Berufungsrichter ein Vorbringen übersehen hat, obwohl es von dem Rechtsstandpunkt aus, den er für das nichtrevisible Recht eingenommen hat, beachtlich war (BGHZ 3, 342, 347; 24, 159, 164). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Das Berufungsgericht ist bei der Auslegung der in Frage stehenden KB allein von dem Text dieser Bestimmungen ausgegangen. Hingegen hat es in diesem Zusammenhang nicht das Vorbringen des Beklagten erörtert, der sinngemäß dahinging, daß nach einer in der Schiffahrt herrschenden Übung Konnossementbedingungen der vorliegenden Art auch zugunsten des Schiffsführers gelten. Das Bestehen einer derartigen Übung könnte im Streitfall zu einer Abweisung des allein noch gegen den Schiffsführer des MS „Hannover" gerichteten Klageanspruchs führen, zumal das Vorliegen einer solchen Übung eine wichtige Erkenntnisquelle für die Auslegung und Deutung allgemeiner Geschäftsbedingungen ist (BGH VersR 1960, 727, 729). Ihre Nichterörterung durch das Berufungsgericht stellt daher, wie die Revision mit Grund rügt, einen Verstoß gegen § 286 ZPO dar.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, die ihm vorbehaltene Auslegung der Art. 16 und 28 Abs. 2 KB auch unter folgenden Gesichtspunkten zu prüfen:
a) Das „Connaissement" wurde für einen Transport verwendet, der von der Mosel über den Rhein in das westdeutsche Kanalgebiet führte. In der Rheinschiffahrt besteht aber seit längerer Zeit die Übung, den Schiffsführer in Freizeichnungsklauseln zugunsten der Reederei einzubeziehen (BGH VersR 1960, 727, 729, ebenso RheinSchOG Köln als Vorinstanz; RheinSchG Duisburg-Ruhrort VersR 1957, 774; vgl. auch OLG Hamburg VersR 1970, 1101, 1103).
b) Nach deutschem Recht können unter bestimmten Voraussetzungen vertragliche Ausschlüsse oder Beschränkungen der Haftung eines Unternehmers seinen Arbeitnehmern zugutekommen (BGH VersR 1962, 141). Auch kann es ihnen gestattet sein, sich auf eine für den Unternehmer günstige Verjährungsregelung zu berufen (BGHZ 49, 278). Im Streitfall könnte eine Berücksichtigung dieser Grundsätze deshalb geboten sein, weil das an sich zur Anwendung kommende französische Recht jedenfalls für die französische Flagge auf dem Rhein praktisch zu einer Anwendung deutschen Rechts führt. So ist für die französische Rheinschiffahrt das deutsche Binnenschiffahrtsgesetz als „Code fluvial rhenan" geltendes Recht (Art. 5 der „loi d'introduction des lois francaises en Alsace et Lorraine" vom 1. Juni 1924; vgl. Ripert, Droit commercial, 1951 Nr. 2481). Ferner sind für vertragliche und deliktische Ansprüche bei der Anwendung französischen Rechts auf die Rheinschiffahrt auch die übrigen Grundsätze des deutschen Zivilrechts heranzuziehen (Urteil des Tribunal Strasbourg vom 22. März 1955, Revue de la Navigation Rhenane 1955, 351; Garnon aaO S. 322). Soweit ersichtlich erstreckt deshalb die französische Rechtsprechung für die Rheinschiffahrt die Freizeichnungsklauseln des Frachtführers auch auf dessen Personal (vgl. die Anführung von Garnon, La Navigation Rhenane, Estrait du Juris Clausseur, Paris 1963 Bs. 1 Nr. 112 bei Laeuen, Freizeichnungen in Frachtverträgen der internationalen Rheinschiffahrt, Diss. Frankfurt (Main) 1966 S. 223 Anm. 16).
Auch diese, vom Berufungsgericht nunmehr im einzelnen noch näher zu erörtenden Gesichtspunkte könnten zu einer Abweisung des allein noch gegen den Schiffsführer des MS H gerichteten Klangeanspruchs führen."