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Leitsätze:
1) Nachprüfung der Berechtigung des Ausschlusses eines Mitgliedes aus einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit durch die ordentlichen Gerichte nur in engen Grenzen.
2) Zur Frage der offenbar unbilligen Ausübung des Ausschlusses aus einem Gegenseitigkeitsverein im Hinblick auf die in der Satzung vorgesehenen Ausschließungsgründe.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 21. Oktober 1971
II ZR 123/70
(Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Der Kläger war mit seinem Fischkutter - ebenso wie 9 weitere Fischkutter, von denen einer mit Besatzung verloren ging - nordwestlich von Helgoland in einen Orkan geraten und hatte sich nach Verlassen des Schiffes mit der 2-köpfigen Besatzung in die mitgeführte Rettungsinsel begeben. Die Insassen wurden von einem dänischen Hubschrauber an Land gebracht. Der Kutter des Klägers war schwimmfähig geblieben und von einem holländischen Schiff nach Esbjerg eingeschleppt. Die Beklagte, ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, zahlte als Versicherin 125 000,- DM Bergelohn. Die seeamtliche Untersuchung ergab kein schuldhaftes Verhalten des Klägers. Die Beklagte hat den Kläger jedoch aus dem Verein ausgeschlossen unter Berufung auf die Satzung, nach welcher der Ausschluß u. a. bei wahrheitswidrigen Angaben und vorsätzlich oder wiederholt grob fahrlässigem vorschriftswidrigem nautischen Verhalten vorgesehen ist.
Der Kläger verlangt in erster Linie die Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschlusses.
Die Beklagte macht geltend, daß vom Kläger falsche Angaben über den Zustand des ohne Grund bei laufender Maschine verlassenen unbeschädigten Schiffes gemacht worden seien, um eine Suchaktion der anderen Fischkutter zu verhindern. Das Fischen sei trotz Sturmwarnung nicht rechtzeitig abgebrochen, um das Schiff seeklar zu machen.
Beide Vorinstanzen haben der Klage bezüglich der Unwirksamkeit des Ausschlusses stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision rügt mit Recht, daß über das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes grundsätzlich die Vereinsorgane zu befinden haben. Zutreffend weist die Revision ferner darauf hin, daß eine gerichtliche Nachprüfung der Maßnahmen, die der Verein in Ausübung der Vereinsgewalt eigenverantwortlich zu treffen hat, nur in engen Grenzen möglich ist. Die Vereinsgewalt findet dort ihre Grenze, wo ein Vereinsorgan gesetzwidrige, sittenwidrige oder offenbar unbillige Entscheidungen trifft (BGHZ 13, 5, 11; 47, 381, 384). Die Prüfung der ordentlichen Gerichte hat sich also, abgesehen von der Gesetz- und Sittenwidrigkeit der Maßnahme, nur darauf zu erstrecken, ob dem Ausschluß eine offensichtliche willkürliche Tatsachenfeststellung oder Unterordnung des Sachverhalts unter die Satzungsbestimmungen durch die Vereinsorgane zugrunde liegt, und ob diese ihr Ermessen, ob im Einzelfall von einem satzungsmäßigen Ausschließungsgrund Gebrauch gemacht werden soll, offenbar unbillig ausgeübt haben.
Diese Maßstäbe hat das Berufungsgericht zwar nicht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Gleichwohl nötigt dieser Fehler nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung des Ausschlusses auf § 11 Nr. 1 d der Satzung berufen, nach der das Mitglied ausgeschlossen werden kann, wenn es in bezug auf sein Versicherungsverhältnis wahrheitswidrige, auf Täuschung oder Benachteiligung der Kasse abzielende Angaben gemacht hat (wird im einzelnen ausgeführt).
Es ist dem Landgericht beizutreten, das ausgeführt hat, der Kläger könne irrig im Orkan angenommen haben, das Schiff steuere nicht mehr und es sei Wasser eingedrungen, so daß das Schiff aufgegeben werden müsse. Bei dieser Sachlage konnte die Beklagte ihrem Ausschließungsbeschluß nicht auf Täuschung oder Benachteiligung der Kasse abzielende Angaben des Klägers in bezug auf das Versicherungsverhältnis zugrunde legen, ohne den Sachverhalt willkürlich zu würdigen. Irgendein Anhalt dafür, daß der Kläger, der das Verlassen des von ihm geführten, noch schwimmenden Schiffes mitteilen mußte und verständlicherweise zu rechtfertigen suchte, mit seiner Darstellung der Ereignisse zum Nachteil der Versicherung eine Bergung seines Kutters durch andere Mitglieder der Beklagten, also ohne Bergelohn (§ 12 Nr. 1 a der Satzung), habe verhindern und unberechtigt die Versicherungssumme für den verlorengehenden Kutter habe erlangen wollen, bestand nicht.
Die Beklagte hat zur Begründung des Ausschlusses auch auf § 11 Nr. 1 f der Satzung verwiesen (vorsätzliche oder wiederholte grob fahrlässige Zuwiderhandlung gegen anerkannte Regeln der Schiffahrt oder Mißachtung satzungsmäßiger Verpflichtungen). Dem Kläger wurde vom Vorstand verantwortungslose Führung des Schiffes vorgeworfen.
Wenn das Berufungsgericht nur „vorsätzlich unvorsichtige" Schiffsführung als Verletzung der Pflicht zur größten Vorsicht und als Mißachtung der Satzung ansehen will, die den Ausschluß nach § 11 Nr. 1 f a. E. rechtfertigen könne, so ist damit ersichtlich nach dem üblichen Sprachgebrauch eine bewußt fahrlässige Schiffsführung, die zu Versicherungsleistungen führen kann, gemeint. Dieser Auslegung ist zuzustimmen. Die Ansicht der Revision, jede Fahrlässigkeit genüge bereits, soweit nicht § 242 BGB entgegenstehe, wird dem Sinn der Bestimmung nicht gerecht, nur besonders schwere Verstöße gegen die satzungsgemäßen Verpflichtungen („Mißachtung") als Ausschließungsgrund gelten zu lassen. Ob „Mißachtung" überhaupt nur wiederholtes, mindestens bewußt fahrlässiges grobes Zuwiderhandeln gegen Satzungsbestimmungen nach Abmahnung darstellt, kann offen bleiben. Die Beklagte hat nichts dafür vorgetragen, der Kläger habe, als er das Fischen fortsetzte und nicht bereits am Morgen seeklar machte, damit gerechnet, das Schiff könne dadurch im angekündigten Sturm gefährdet werden und er zum Verlassen genötigt sein. Das Seeamt hat ebenfalls gegen den Kläger keinen Vorwurf wegen dieses Verhaltens erhoben. Die Würdigung des Verhaltens des Klägers als Ausschließungsgrund nach § 11 Nr. 1 f der Satzung ohne Anhaltspunkte für eine bewußte Fahrlässigkeit bei der Führung des Schiffes ist hiernach offensichtlich willkürlich.
Die Revision rügt, daß das Vorbringen der Beklagten keine Berücksichtigung gefunden habe, nach dem der Kläger bei seinem Telefongespräch mit dem Vorsitzenden der Beklagten diesen nicht auf die Möglichkeit der Rettung des Schiffes hingewiesen habe, das er schwimmfähig und mit intakter Maschine verlassen hatte. Sieben Kutter von Mitgliedern der Beklagten seien in der Nähe und zu Bergungsmaßnahmen in der Lage gewesen. Dieser Vortrag der Beklagten würde aber nicht zu einer Bestätigung der Ausschließung führen können. Es wäre offenbar unbillig, den Kläger wegen der Unterlassung eines solchen Hinweises auszuschließen. Mit einer Fehlbeurteilung durch den Kläger in und nach dem Orkan mußte die Beklagte ohnedies rechnen.