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Leitsatz:
Zur Frage der Zulässigkeit einer Streitverkündung. Steht die nautische Leitung eines Schleppzugs dem Führer des geschleppten Schiffes zu, so haftet der Reeder dieses Schiffes in entsprechender Anwendung des § 845 HGB für die Schäden, die einem Dritten durch den schuldhaft fehlerhaften Kurs eines der Schlepper entstanden sind.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 10. Mai 1976
II ZR 111/74
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Bei der Begegnung im Hamburger Hafen mit dem von der Beklagten zu 2 bereederten Seeschiff S, dem der Schlepper „Karl" der Beklagten zu 1 als Heckschlepper assistierte, geriet das Binnentankmotorschiff J gegen eine Landeanlage der Klägerin. Diese hat den Schaden von ca. 44800,- DM zunächst gerichtlich gegen Eignerin und Schiffer von BTMS J geltend gemacht. Die Klage, in der die Klägerin den jetzigen Beklagten den Streit verkündet hatte und von denen die Beklagte dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten war, ist rechtskräftig abgewiesen worden.
Die Klägerin fordert jetzt den Schadensbetrag zuzüglich der Prozeßkosten des Vorprozesses in Höhe von über 9100,- DM, insgesamt rund 53900,- DM von den Beklagten als Gesamtschuldnern. Sie beruft sich auf die bindenden Feststellungen im Urteil des Vorprozesses, wonach Schlepper K durch Backbordkurs dem BTMS J die Durchfahrtslücke zwischen dem S-Schleppzug und der Landeanlage ganz oder weitgehend versperrt habe.
Die Beklagten erheben die Einrede der Verjährung, die durch die Streitverkündung nicht unterbrochen worden sei. Das Urteil des Vorprozesses habe bindende Wirkung nur insoweit, als der Anscheinsbeweis gegen BTMS J ausgeräumt und dessen Verschulden nicht als hinreichend dargetan anzusehen sei. Schlepper K habe stets einen Abstand von mindestens 30 m zur Landanlage gehalten, also genügend Raum für die Durchfahrt von BTMS J gelassen.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Ansprüche der Klägerin für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß die Schadenersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 (vgl. § 3 a.F., §§ 4, 114 BinnSchG) und gegen die Beklagte zu 2 (vgl. § 486 a.F., § 774 HGB) nicht gemäß § 117 Nr. 7, § 118 BinnSchG a.F. bzw. §§ 901, 903 Nr. 3 HGB a.F. am 31. Dezember 1971 verjährt sind. Denn die Verjährung wurde durch die Streitverkündung im Vorprozeß unterbrochen (§ 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB; § 261 b Abs. 3 ZPO). Allerdings ist es richtig, daß die Streitverkündung die Verjährung eines Anspruchs nur dann unterbricht, wenn sie nach § 72 ZPO zulässig ist. Das ist aber hier zu bejahen.
Nach § 72 Abs. 1 ZPO kann eine Partei, die für den Fall des ihr ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreites einen Anspruch auf Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt, dem Dritten bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits gerichtlich den Streit verkünden. Ein Anspruch auf „Schadloshaltung" ist über den Gesetzeswortlaut hinaus auch dann anzunehmen, wenn der Streitverkündete alternativ statt des zuerst Verklagten als Verursacher desselben Schadens in Betracht kommt (BGHZ 8, 72, 80; BGH, Urt. v. 10. Juni 1974 - III ZR 89/72, VersR 1974, 1027, 1028). Das wird aus dem Zweck der Vorschriften über die Streitverkündung hergeleitet, durch welche die Zahl der Prozesse verringert und sich widersprechende Prozeßergebnisse vermieden werden sollen (BGHZ 8, 72, 81/82). Hier lag es im Zeitpunkt der Streitverkündung nun so, daß die Sach- und Rechtslage für die Klägerin ungeklärt war. Nach der Darstellung der Interessenten des BMTS J traf die Schuld an der Anfahrung der Landeanlage allein den Schlepper K, weil dieser plötzlich nach Backbord ausgeschert sei und dadurch dem BMTS J den Weg versperrt habe; hingegen war nach den Darlegungen der Beklagten dieses Fahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit aus dem Parkhafen in die Norderelbe eingebogen und hatte lediglich aus diesem Grunde nicht zwischen der Landeanlage und dem Schleppzug, der zu dieser genügend Abstand gehalten habe, hindurchfahren können.
Das Oberlandesgericht Hamburg hat die Abweisung der Schadenersatzklage gegen die Eignerin des BTMS J und dessen Schiffer im Vorprozeß wie folgt begründet: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß der Schlepper K ohne ersichtlichen Grund und ohne Signal Backbordkurs genommen, dadurch die Durchfahrtslücke zwischen dem S-Schleppzug und der Landeanlage im letzten Moment weitgehend versperrt und damit das BTMS J gezwungen habe, zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit dem Schlepper Maschinen- und Rudermanöver auszuführen, die den Kurs der J in Richtung auf die Landeanlage ändern mußten; infolgedessen sei der - aufgrund der Anfahrung - gegen BTMS J streitende Anscheinsbeweis entkräftet; damit sei es Sache der Klägerin gewesen, darzulegen und zu beweisen, daß die J den Unfall - z. B. durch zu hohe Geschwindigkeit oder durch zu spätes oder unrichtiges Reagieren auf die drohende Gefahr - wenigstens mitverschuldet habe; insoweit fehle aber jeglicher Sachvortrag.
Diese Ausführungen sind aufgrund der Interventionswirkung der Streitverkündung (§ 74 Abs. 3, § 68 ZPO) für den vorliegenden Rechtsstreit bindend. Allerdings ist es zutreffend, daß die tatsächlichen Feststellungen des Richters im Vorprozeß und seine Rechtsausführungen den Richter des zwischen dem Streitverkünder und dem Streitverkündeten schwebenden Hauptprozesses nur in dem Umfange binden, als die Entscheidung im Vorprozeß hierauf beruht (vgl. BGHZ 8, 72, 82; 16, 217, 229). Indes verkennen die Revisionen beider Beklagten die Bindungswirkung des hier im Vorprozeß ergangenen Urteils, soweit sie diese auf die Ausräumung des gegen das BTMS J streitenden Anscheinsbeweises beschränken wollen. Denn dieses Urteil beruht nicht nur darauf, daß das Gericht den gegen die J sprechenden Anscheinsbeweis für ausgeräumt angesehen, sondern jedwede schuldhafte (Mit-)verursachung der Schäden der Klägerin durch dieses Fahrzeug - wegen nicht hinreichend substantiertem Vortrag - verneint hat.
Soweit das Berufungsgericht aus den - bindenden - Feststellungen des Urteils im Vorprozeß über das Verhalten des Schleppers K die Folgerung gezogen hat, diesen treffe ein Verschulden an der Anfahrung der Landeanlage durch BTMS J, lassen seine Ausführungen ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen.
Schließlich ist dem angefochtenen Urteil auch zu folgen, soweit es die Haftung der Beklagten zu 2 bejaht hat.
Nach § 485 HGB ist der Reeder für den Schaden verantwortlich, den eine Person der Schiffsbesatzung oder ein an Bord tätiger Seelotse einem Dritten in Ausführung von Dienstverrichtungen schuldhaft zufügt. Nun geht es allerdings bei der falschen Fahrweise des Schleppers K nicht um das Verschulden eines Besatzungsmitglieds des SS S oder des Lotsen dieses Schiffes, sondern um das schuldhafte Verhalten der Besatzung des dem Seeschiff assistierenden Schleppers. Für ein solches Verschulden hat aber der Reeder des geschleppten Schiffes in entsprechender Anwendung des § 485 HGB zu haften, wenn - wie hier - die nautische Leitung des Schleppzugs dem Führer des geschleppten Schiffes zusteht, der Schlepper also dessen Weisungsrecht hinsichtlich „Bugsieren" oder „Assistieren" unterworfen ist (BGH, Urt, v. 27. Juni 1957 - II ZR 344/55, Hansa 1957, 1867, 1869; Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht, 3. Aufl. § 481 HGB Anm. 10; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 174; Prüssmann, Seehandelsrecht § 485 Anm. D 1 c aa). Das ist deshalb gerechtfertigt, weil die Schlepperbesatzung das geschleppte Fahrzeug nach den Weisungen der Führung desselben zu manövrieren oder dabei zu unterstützen hat, insoweit einen Teil der Tätigkeiten der Besatzung des geschleppten Schiffes praktisch durchführt. Hiergegen vermag auch die Revision der Beklagten zu 2 keine durchgreifenden Bedenken zu erheben. Sie verneint deren Haftung als Reeder des SS S aber deshalb, weil der Backbordkurs des Schleppers K weder von der Führung des Seeschiffes angeordnet worden noch im Rahmen der diesem von dem Schlepper zu leistenden Dienste notwendig gewesen sei und damit außerhalb der Dienstverrichtungen der Schlepperbesatzung gelegen habe. Letzteres ist nicht richtig. Dienstverrichtungen der Schiffsbesatzung sind, wie der Senat für die der Vorschrift des § 485 HGB entsprechende Bestimmung des § 3 BinnSchG ausgeführt hat (BGHZ 50, 328, 240), stets anzunehmen, wenn diese „in Ansehung des Schiffsdienstes" tätig wird. Das ist nicht nur der Fall, wenn sie einer konkreten Weisung nachkommt oder die Tätigkeit für die Verwendung des Schiffes zur Schiffahrt notwendig ist. Vielmehr gehört hierher jedes Verhalten, das mit dem zu leistenden Schiffsdienst nach Zweck und Art in einem inneren Zusammenhang steht (Liesecke, Anm. zu dem genannten Senatsurteil in LM § 3 BinnSchG Nr. 7). Das gilt auch für die Tätigkeit der Besatzung des einem Seeschiff assistierenden Schleppers, die wie oben dargelegt wurde, praktisch einen Teil der Tätigkeiten der Besatzung des geschleppten Schiffes durchführt, damit dieser insoweit gleichsteht. Nimmt sie daher - wie hier - mit ihrem Fahrzeug einen falschen Kurs, so liegt dieses Verhalten innerhalb der ihr übertragenen Dienstverrichtungen, auch wenn dieser Kurs von der Führung des Seeschiffes nicht angeordnet worden oder zum Manövrieren des letzteren nicht notwendig gewesen ist.