Banque de données de juriprudence
Leitsätze:
1) Die in betrügerischer Absicht vom Versicherungsnehmer versuchte Versenkung des Schiffes ist ein „Schiffahrtsunfall" im Sinne von § 1 Flußkasko-Police.
2) Die Verpflichtung des Versicherers aus diesem Versicherungsfall bleibt gegenüber dem Schiffshypothekengläubiger bestehen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 15. Juni 1970
II ZR 108/69
(Landgericht Düsseldorf; Oberlandesgericht Düsseldorf)
Zum Tatbestand:
Der Eigentümer eines bei den beklagten Versicherern zu je 20 % unter Ausschluß solidarischer Haftung auf Kasko versicherten Motorschiffes hatte die Versenkung seines Schiffes durch Öffnen der Bodenventile versucht und das Schiff mit der Besatzung verlassen. Es wurde von einem anderen Schiff geborgen und für 3650 hfl. freihändig veräußert. Der Erlös wurde von den Kosten aufgezehrt. Die den zugunsten der Klägerin auf dem Schiff eingetragenen Hypotheken vorgehenden Schiffsgläubiger konnten nicht voll befriedigt werden.
Die Klägerin hat geltend gemacht, daß das Schiff einen „Schiffsunfall" im Sinne der Versicherungspolice erlitten habe. Die Beklagten seien ihr gegenüber anteilmäßig leistungspflichtig, da das Schiff eine Wertminderung von 5000 hfl. erlitten habe und die Kosten des von ihr beauftragten Rechtsanwalts von 2000 hfl. zwecks Niedrighaltung der Bergelohnforderung als notwendige Aufwendungen zu ersetzen seien.
Die Klägerin hat in beiden Vorinstanzen dem Grunde nach obgesiegt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Bedeutung des Wortes „Unfall" ist mangels einer Erklärung in den Versicherungsbedingungen in erster Linie dem gesetzlichen Sprachgebrauch zu entnehmen (BGH VersR 1956, 41, 283). Die Revision irrt, wenn sie meint, daß bei einer vorsätzlichen Schädigung niemand von einem „Unfall" spreche. Im § 181 VVG a. F. war z. B. vorgesehen, daß der Versicherer von der Leistung frei wird, wenn der vom Unfall Betroffene den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Das Merkmal der Unfreiwilligkeit gehört auch in der Personen-Unfallversicherung nicht zum gesetzlichen Unfallbegriff, sondern ist erst durch § 2 (1) Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen wegen der Beweislast vertraglich eingeführt worden.
Im §1 Flußkasko-Police sollen in Abweichung vom gesetzlichen Grundsatz der Universalität der Gefahrdeckung (§ 129 Abs. 2 VVG) diejenigen Gefahrereignisse gekennzeichnet werden, für die der Versicherer einstehen soll, sofern nicht seine Haftung aus besonderen Gründen wieder ausgeschlossen wird. Als solche Gefahrereignisse werden „Schiffahrtsunfall, Brand, Explosion und höhere Gewalt" angegeben. Diese Vorgänge sollen diejenigen Ereignisse darstellen, die objektiv unter die Versicherung fallen sollen, ohne Rücksicht darauf, öb ein besonderer Verwirkungsgrund gegeben ist (vgl. BGH VersR 1952, 179). Als solcher ist deshalb besonders vorgesehen, daß der Versicherer nicht für Schäden haftet, die der Versicherungsnehmer vorsätzlich verursacht hat (§ 4 a Flußkasko-Police). Mit „Schiffahrtsunfall" sind ebenso wie bei Brand und Explosionen sinnfällige objektive Ereignisse gemeint, die einen Schaden herbeizuführen drohen. Das Merkmal des Zufälligen gehört nicht dazu (vgl. Ritter-Abraham, Recht der Seeversicherung § 28 ADS Anm. 8). Grundsätzlich steht der Versicherer auch für Ereignisse ein, die der Versicherungsnehmer herbeigeführt hat, so für die vom Versicherungsnehmer bewirkte Änderung der Gefahrumstände und für einen vom Versicherungsnehmer herbeigeführten Versicherungsfall. Sonst hätten das Gesetz und die Police nicht besonders zu bestimmen brauchen, daß der Versicherer frei ist, wenn der Versicherungsnehmer die Gefahrumstände ändert oder den Versicherungsfall herbeiführt (Ritter-Abraham aaO Anm. 8).
Anderfalls müßte auch der Versicherungsnehmer beweisen, daß ein Zufall die Gefahr geändert oder den Versicherungsfall herbeigeführt hat.
Es steht außer Zweifel, daß der Versicherer in diesem Fall die Beweislast hat. Wegen dieser Lage ist gerade in den Allgemeinen Unfall-Versicherungsbedingungen § 1 vertraglich das Merkmal der Unfreiwilligkeit für den Versicherungsfall vorgesehen worden und jetzt die daraus für den Versicherungsnehmer folgende Beweislage durch die Vermutung des § 180 a VVG geändert worden. Zum Begriff des „Unfalls" gehört hiernach nicht zwingend das Merkmal des Zufälligen und Unfreiwilligen (vgl. auch den Gebrauch des Wortes „Unfall" in §§ 137 Abs. 2, 146 VVG). Unter „Unfällen" werden dementsprechend im Seeversicherungsrecht nach HGB und ADS allgemein Ereignisse verstanden, die das Interesse einer bestimmten Person unmittelbar betreffen und als nachteilig empfunden werden, z. B. die Strandung (vgl. §§ 814, 816, 817, 819 HGB; §§ 40, 86 ADS; vgl. Ritter-Abraham, ADS § 40 Anm. 10, § 86 Anm. 24).
Das Eindringen von Wasser in das Schiff infolge Offnens der Bodenventile ist hier ein äußeres, plötzliches Ereignis gewesen, das nicht auf eine im Schiff liegende Ursache, sondern auf einen von dessen Bauart und Erhaltungszustand unabhängigen Umstand, nämlich den Eingriff des Schiffsführers zurückzuführen war. Dieser Eingriff stellt keinen „Betriebsvorgang" dar, wie die Revision meint. Der Vorfall gehört objektiv unter das versicherte Risiko des Schiffahrtsbetriebes, in dem durch mannigfache „Unfälle" Wasser in das Schiff gelangen kann. Erst infolge der subjektiven Ausschlußklausel ist der Anspruch des Versicherungsnehmers verwirkt worden (§ 4 a Flußkasko-Police; § 130 Satz 1 VVG). Diese Befreiung tritt gegenüber dem Schiffshypothekengläubiger nach § 36 SchRG nicht ein. Es ergibt sich also die auch allein sachlich gerechtfertigte Gleichbehandlung der Vernichtung des Schiffs durch Selbstversenkung mit der Zerstörung durch einen vom Versicherungsnehmer herbeigeführten Brand oder eine Explosion.
Gegenüber dem Anspruch auf Ersatz der Wertminderung kann die Beklagte auch nicht einwenden, sie habe Schäden nicht zu ersetzen, wenn der Versicherungsnehmer auf die Ausbesserung verzichtet (§ 33 Flußkasko-Police). Der Eigner hatte zwar keine Reparaturen ausführen lassen. Das Schiff ist freihändig auf Betreiben des Bergelohn-Gläubigers ohne Feststellung der Reparaturunfähigkeit (§ 34 Flußkasko-Police) oder Reparaturunwürdigkeit (§ 35 Flußkasko-Police) veräußert worden.
Da der Versicherungsnehmer gemäß § 4 a Flußkasko-Police keinen Anspruch auf die Leistung der Versicherung hatte, kann es, wie das Berufungsgericht mit Recht darlegt, auf seinen Verzicht auf die Reparatur nicht ankommen. Die sinngemäße Auslegung der Police ergibt, daß der Schiffshypothekengläubiger in einem solchen Fall auch ohne Ausführung der Reparatur, auf die er keinen Einfluß nehmen kann, den Ausgleich der ihm durch die Beschädigung des Schiffs entstandenen Nachteile verlangen kann. Die Entscheidung darüber, wie dieser Schaden zu berechnen ist, hat das Berufungsgericht zulässigerweise dem Betrugsverfahren überlassen.
Gegen die Berechtigung des Anspruchs auf Ersatz der Aufwendungen durch den Auftrag an einen Rechtsanwalt zur Abwehr der Bergelohnforderung sind ebenfalls keine Bedenken zu erheben (vgl. §§ 62, 63 VVG).