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Leitsätze:
1) Das wendende Schiff hat einen Drehkreis zu wählen, der nicht über das für dieses Manöver notwendige Maß hinausgeht, sofern die Verkehrslage nicht ausnahmsweise das Drehen in weitem Bogen gebietet.
2) Für zu Tal wendende Schiffe gelten Kursweisungen eines Bergfahrers bis zur Beendigung des Wendemanövers nicht. Die Verantwortung für das gefahrlose Einordnen eines zum Wenden vom Ufer abfahrenden Schiffes liegt bei diesem selbst und nur in wesentlich geringerem Umfang bei dem durchgehenden Verkehr.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 13. Oktober 1977
II ZR 107/75
(Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das von der Klägerin versicherte MS M stieß auf der Bergfahrt im November 1971 6 Uhr früh in der rechten Fahrwasserhälfte oberhalb der Straßenbrücke Mainz-Kastel mit dem vom Beklagten als Eigner geführten MS A zusammen, das vom linken zum rechten Ufer in weitem Bogen über Backbord zu Tal wendete. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.
Die Klägerin verlangt Ersatz der an die Interessenten erstatteten Schäden in Höhe von ca. 31 000,- DM, weil der Beklagte die Geschwindigkeit des MS M unterschätzt und mit dem Wenden begonnen habe, obwohl der Bergfahrer bereits zu nahe heran gewesen sei.
Der Beklagte behauptet, daß der Bergfahrer sorglos und mit überhöhter Geschwindigkeit die Mainzer Reede passiert und MS A erst bemerkt habe, als es bereits zwerch im Strom gelegen, dann den Kurs nach Backbord geändert habe und so in den Drehkreis des MS A hineingelaufen sei.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach zu 4/5, das Rheinschiffahrtsobergericht hat ihr in vollem Umfang stattgegeben. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muß der Wendende einen Drehkreis wählen, der nicht über das für die Durchführung seines Manövers notwendige Maß hinausgehen darf, es sei denn, daß die Verkehrslage ein Drehen in einem weiten Bogen gebietet (so zuletzt Urt. v. 2. 12. 1974 - II ZR 22/73, LM RheinschiffahrtpolizeiVO v. 24. 12. 1954 Nr. 68 = VersR 1975, 252, 253). Gegen diese Verpflichtung, die sich aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht der Schiffsführer (§ 1.04 RheinSchPolVO) ergibt und zu einer sicheren Verkehrsabwicklung durch Vermeiden kreuzender Kurse beizutragen sucht, hat der Beklagte verstoßen. Da die Kurslinie des Bergfahrers etwa 150 m aus dem linken Ufer verlief, stand dem Beklagten zwischen dieser und dem linken Ufer genügend Raum zur Verfügung, um mit seinem lediglich 67,07 m langen und aufgrund einer Zweischraubenanlage besonders gut zu manövrierenden Schiff ohne Kreuzen des Kurses von MS M zu wenden. Sollte der Beklagte aber - wofür seine Angaben vor der Wasserschutzpolizei sprechen könnten - der Ansicht gewesen sein, er müsse den Bergfahrer wegen der Vorschrift des § 6.04 Nr. 2 und 5 an dessen Backbordseite passieren und deshalb in einem weiten Bogen wenden, so würde das ihn nicht entlasten. Für ihn galten bis zur Beendigung des Wendemanövers Kursweisungen des Bergfahrers (§ 6.04 Nr. 2 oder 3 RheinSchPolVO) nicht (Senatsurt. v. 2. 12. 1974 aaO.).
...
Das Berufungsgericht hat ein Mitverschulden des Bergfahrers an dem Zusammenstoß verneint.
...
Richtig ist, daß sich das Berufungsgericht nicht mit dem - vom Rheinschiffahrtsgericht bejahten - Vorwurf auseinandergesetzt hat, die Geschwindigkeit des Bergfahrers sei angesichts der besonderen Umstände des Falles zu hoch gewesen. Der Vorwurf ist jedoch nicht berechtigt. Soweit die Revision ihn auf § 6.20 Nr. 1 Buchst. c) RheinSchPolVO stützt, verkennt sie, daß die Vorschrift lediglich den Schutz von Stilliegern vor schädlichem Wellenschlag und Sogwirkung betrifft. Entgegen ihrer Ansicht läßt sich eine Pflicht des Bergfahrers, die eingehaltene Geschwindigkeit von 12 km/h erheblich zu vermindern, auch nicht aus dem Umstand herleiten, daß es zur Unfallzeit noch dunkel war. Denn insoweit ist vor allem bedeutsam, daß die Luft selbst weder neblig noch diesig, sondern klar war. Eine andere Frage ist es, ob der Bergfahrer nicht deshalb die Geschwindigkeit hätte deutlich herabsetzen müssen, weil es bei der nicht unbeträchtlichen Zahl von Stilliegern auf der Mainzer Reede möglich sein konnte, daß er die Abfahrt eines Fahrzeugs, insbesondere ein Wenden zu Tal, nicht sofort erkannte, wobei mit Abfahrten zur Unfallstunde (6 Uhr) auch jederzeit zu rechnen war. In die¬sem Punkte fällt jedoch zu Gunsten der Führung des MS M zunächst ins Gewicht, daß ihr Kurs nicht in unmittelbarer Nähe der Stillieger, sondern rund 150 m aus dem linken Ufer verlief (nach der maßstabgetreuen Unfallskizze in den Strafakten, die die Vorinstanzen beigezogen haben, war die Entfernung des Bergfahrers zum rechten Ufer noch größer), so daß sie einen genügenden Uferabstand hatte, um auf ordnungsgemäß abfahrende Schiffe rechtzeitig reagieren zu können. Weiter ist für den Bergfahrer zu berücksichtigen, daß die Verantwortung für das gefahrlose Einordnen eines abfahrenden Schiffes in erster Linie bei diesem selbst und nur in wesentlich geringerem Umfange bei dem durchgehenden Verkehr liegt. Das verdeutlicht die Vorschrift des § 6.14 RheinSchPolVO. Von einem abfahrenden Schiff ist deshalb - gerade bei Dunkelheit - zu verlangen, daß es besonders vorsichtig manövriert, vor allem auch die vorgeschriebenen Schallzeichen gibt. Darauf darf sich der durchgehende Verkehr verlassen. Danach wäre im Streitfall eine frühere Verringerung der Geschwindigkeit des Bergfahrers erst geboten gewesen, wenn er bereits durch Schallzeichen auf das bevorstehende Wendemanöver des MS A aufmerksam gemacht worden wäre. Die Abgabe derartiger Zeichen ist nach den Ausführungen des Berufungsgerichts aber nicht bewiesen.
...“