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Leitsätze:
1) Zur Nachprüfbarkeit der Auslegung eines Abkommens über Bedingungen der Schubschiffahrt.
2) Zur Auslegung einer Vereinbarung über das Tragen der Schäden, die an Schubleichtern während des Verholens oder Beförderns zum Laden oder Löschen entstehen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 8. Dezember 1969
II ZR 101 /68
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Daß der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte Schubboot „L" holte aus einem Stapel von 3 auf der Duisburger Reede liegenden Schubleichtern („R 20", „S 70" und „N 19 B") den mittleren Leichter heraus, reihte ihn in einen Schubverband eln und drückte den weiter im Strom liegenden Leichter „R 20" an die Seite des der Klägerin gehörenden Lechters „N 19 B". Beide Schiffe wurden festgemehrt. Am nächsten Morgen waren die Mehrdrähte gebrochen, „R 20" gesunken und „N 19 B" beschädigt.
Die Klägerin verlangt wegen angeblich nicht ordnungsgemäßer Sicherung der beiden Schubleichter Schadensersatz von mehr als 4000,- DM. Die Parteien streiten u. a. über die Anwendung eines zwischen den Parteien und 3 weiteren Reedereien geschlossenen Abkommens über Schubbedingungen. Darin wird bestimmt, daß Schäden, die an Schubleichtern während des Verholens oder Beförderns zum Laden oder Löschen entstehen, von den Eignern der Leichter ohne die Möglichkeit eines Rückgriffs auf die Eignerin des Schubbootes zu tragen sind.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Rheinschiffahrtsobergericht hat sie abgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht hat dahinstehen lassen, ob der Beklagte zu 2 die Beschädigung des Schubleichters „N 19 B" schuldhaft verursacht hat. Es hält die Klage bereits nach Abschnitt 3 des Schubabkommens für unbegründet.
1. Das Schubabkommen enthält neben der bereits erwähnten Absprache Regelungen darüber, wer von den Eignern der in einem Schubverband fahrenden Schiffe die Schäden endgültig zu übernehmen hat, die an den Fahrzeugen des Verbandes oder einem Dritten entstehen. Das Abkommen umfaßt typische, nicht aus den individuellen Verhältnissen des Einzelfalles erwachsene, auch nicht den besonderen Interessen der Vertragschließenden angepaßte Abreden, die in dieser Art auch von anderen die Schubschiffahrt betreibenden Reedereien getroffen worden sind (Pabst, ZfB 1963, 380; Dütemeyer, ZfB 1964, 269). Mit seiner Auslegung können mehrere Oberlandesgerichte befaßt sein. Das Abkommen unterliegt deshalb der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGHZ 20, 385, 389).
2. Dem Schubabkommen, insbesondere dessen Abschnitt 3 kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht entnommen werden, daß die Vertragschließenden die Haftung der Eignerin des Schubbootes auch für solche Schäden ausschließen wollten, die dadurch entstanden sind, daß das Schubboot einen oder mehrere Schubleichter der Vertragschließenden hat bewegen müssen, um einen zu seinem Verband gehörenden Schubleichter verholen oder befördern zu können.
Es kann offenbleiben, ob Abschnitt 3 des Abkommens, wie das Berufungsgericht meint, über seinen Wortlaut hinaus auf alle Manöver eines Schubverbandes im Hafen oder auf den Schubliegeplätzen, insbesondere auf das Verholen oder Befördern von Schubleichtern bei der Zusammenstellung oder Auflösung des Verbandes, anzuwenden ist. Denn im Streitfall handelt es sich nicht um einen Schaden, der an einem zum Verband des Schubbootes der Beklagten zu 1 gehörenden Schubleichter entstanden ist. Vielmehr betrifft das Klagebegehren einen Schaden, den der Beklagte zu 2 an einem nicht zu seinem Schubverband gehörenden Schubleichter schuldhaft verursacht haben soll. Daß aber ein derartiger Schaden von dem Haftungsausschluß nach Abschnitt 3 des Schubabkommens umfaßt wird, ist nicht ersichtlich. Wenn das Berufungsgericht meint, eine entsprechende Auslegung von Abschnitt 3 des Abkommens sei deshalb geboten, weil ein Schubboot sehr häufig auf Schubliegeplätzen beim Verholen oder Befördern einzelner Schubleichter andere, nicht zu seinem Verband gehörende Leichter bewegen müsse, so verkennt es, daß nach dem Sinn und Zweck des Schubabkommens der Wille der Vertragschließenden lediglich dahin ging, die Haftungsverhältnisse innerhalb des Schubverbandes zu regeln. Auch ist entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht „widersinnig", Fälle der vorliegenden Art anders als diejenigen zu behandeln, in denen ein Schaden an einem zu einem Schubverband gehörenden Leichter entstanden ist. Während in den letztgenannten Fällen die Eigner der Schubleichter wählen konnten, welcher Reederei oder welchem Schubboot sie das Befördern, Verholen, Bewegen oder Sichern der Leichter überlassen wollten, erfolgt das Bewegen der Schubleichter in den erstgenannten Fällen ohne das Wissen ihrer Eigner und im Interesse des Schubbootes.
3. Da das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus zu Recht - die Frage offengelassen hat, ob der Beklagte zu 1 die Beschädigung des Schubleichters „N 19 B" schuldhaft verursacht hat, war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen."