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Leitsätze:
1) Macht der Kläger einen Anspruch auf Ersatz eines Schadens geltend, der sich aus mehreren Schadensposten zusammensetzt, die keine selbständigen Forderungen darstellen, so kann das Gericht über den ursächlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Schadensposten und dem Schadensereignis nach freiem Ermessen entweder im Grund- oder im Betragsverfahren entscheiden.
2) Ist aus dem Zwischenurteil über den Grund nicht klar ersichtlich, daß diese Entscheidung dem Betragsverfahren überlassen wird, so ist der Beklagte hinsichtlich der Schadensposten, bei denen er den ursächlichen Zusammenhang bestreitet, beschwert und kann deshalb Rechtsmittel einlegen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 10. Juni 1968
II ZR 101/66
(Schiffahrtsgericht Mannheim/Schifffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Oberhalb der Straßenbrücke bei Neckarweihingen überholte das dem Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS A auf der Bergfahrt den der Klägerin gehörenden beladenen Schleppkahn M (12 Laderäume). Bei der hierbei erfolgten Kollision erlitt M einen schweren Schaden mit Wassereinbruch. Die Schiffsführung setzte den Kahn mit dem Vorschiff auf die Böschung, um sein Sinken zu vermeiden. Nach teilweiser Leichterung wurde der Kahn zur weiteren Leichterung an die Anlände der Fa. R. geschleppt, wo er im Laufe der Rettungsarbeiten in der Schiffsmitte bei Raum 6 nach oben knickte.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage auf Ersatz des sowohl durch die Kollision als auch durch das Knicken des Kahnes erlittenen Gesamtschadens von fast 61 000 DM dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung, mit der die Beklagten die Abweisung der Klage beantragt haben, soweit Ersatz des durch das Knicken des Kahnes entstandenen Schadens verlangt wird, wurde vom Schifffahrtsobergericht zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Zulässigkeit der Berufung ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen. Die Berufung war zulässig.
Das Verlangen der Klägerin auf Ersatz des Knickschadens stellt gegenüber ihrem Verlangen auf Ersatz des unmittelbaren Kollisionsschadens keine selbständige Forderung dar, sondern ist in dem Anspruch auf Ersatz des durch den Zusammenstoß erlittenen Vermögensschadens enthalten (vgl. BGH NJW 1961, 1465, 1466). Das Schiffahrtsgericht hat zwar im Tatbestand seines Urteils die einzelnen Schadensposten aufgeführt, in den Entscheidungsgründen sich aber nicht damit befaßt, insbesondere nicht geprüft, ob alle Schadensposten durch die Kollision verursacht worden sind, sondern lediglich ausgeführt, daß die Beklagten „für den entstandenen Schaden" hafteten und zwischen den Parteien auch Streit über die Höhe des entstandenen Schadens bestehe. Deshalb hat es den „Klageanspruch dem Grunde nach als gerechtfertigt erklärt".
Die Vorschrift des § 304 ZPO entspringt prozeßwirtschaftlichen Erwägungen. Sie gibt dem Gericht die Möglichkeit, Beweisaufnahmen über die Höhe des Klageanspruchs zu vermeiden, die überflüssig sind, wenn schon der Grund des Anspruchs, in Schadensersatzprozessen der Haftungsgrund fehlt. Auch einigen sich die Parteien häufig, wenn über den Grund des Anspruchs entschieden ist. Den Erfordernissen der Prozeßökonomie ist bei der Anwendung und Auslegung das § 304 ZPO Rechnung zu tragen, wobei begriffliche Erwägungen in den Hintergrund treten müssen.
Würde der Knickschaden aus dem Grundurteil ausgeklammert sein, so könnte der Streit über das Verschulden an der Kollision erneut entbrennen, während bei Einbeziehen dass Knickschadens in das Grundurteil diese Frage dem Streit der Parteien entzogen ist und für das Nachverfahren der Grund des Ersatzanspruchs wegen des Knickschadens nur hinsichtlich der adäquaten Verursachung dieses Schadens durch die Kollision zu prüfen ist. Es muß daher grundsätzlich für zulässig erachtet werden, daß das Gericht nach seinem freien Ermessen die Entscheidung über den Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensereignis und einzelnen Schadensposten dem Nachverfahren überläßt (ebenso BGH NJW 1961, 1465, 1466). Allerdings muß das im Urteil klar zum Ausdruck kommen; insbesondere muß das Grundurteil ergeben, welche Fragen (hier adäquate Verursachung des Knickschadens durch die Kollision) im Nachverfahren noch zu prüfen sind.
Eine ganz andere Frage ist, ob der Beklagte, gegen den ein Grundurteil ergangen ist, dann beschwert ist, wenn aus dem Urteil nicht klar ersichtlich ist, daß die Entscheidung darüber, ob einzelne Posten der Klageforderung dem Grunde nach gerechtfertigt sind, dem Nachverfahren überlassen wird. Die Frage ist für den Regelfall zu bejahen. Denn der Beklagte läuft in solchen Fällen Gefahr, daß das entscheidende Gericht oder das Gericht höherer Instanz die Bindungswirkung des Grundurteils (§§ 318, 512, 548 i. V. m. § 304 Abs. 2 ZPO) hinsichtlich aller Einzelposten annimmt. Dem muß er dadurch begegnen können, daß er hinsichtlich der Posten, die er dem Grunde nach nicht für gerechtfertigt hält, Rechtsmittel einlegt.
Die Zulässigkeit der Berufung wird auch nicht dadurch berührt, daß die Klägerin hinsichtlich einzelner Posten nicht spezifiziert angegeben hat, inwieweit der Schaden unmittelbar auf der Kollision oder auf dem Knicken des Kahneis beruht. Diese Frage würde erst im Betragsverfahren und auch nur dann eine Rolle spielen, wenn die Ursächlichkeit des Zusammenstoßes für den Knickschaden zu verneinen wäre.
Das Berufungsgericht hat den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen der Kollision und dem Knickschaden bejaht. (Wird ausgeführt).
Die Revision bekämpft diese Auffassung. Nach ihrer Meinung ist das Knicken als ein selbständiges Schadensereignis anzusehen, das auf der unsachgemäßen Entladung des schwimmenden Schiffes beruhe. Allein die ungleichmäßige Verteilung der im Schiff ruhenden Lasten im Zeitpunkt des Knickens sei ursächlich für den Knickschaden.
Dem kann nicht zugestimmt werden. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht in Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung (§ 287 ZPO; BGH VersR 1965, 280, 281 = ZfB 1965, 330) angenommen, daß der Knickschaden durch die Kollision herbeigeführt worden ist. Handelt in einer durch den Schädiger schuldhaft geschaffenen Gefahrenlage der Geschädigte oder ein Dritter fehlerhaft, so wird der Ursachenzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem eingetretenen Schaden jedenfalls dann nicht berührt, wenn das fehlerhafte Handeln des Geschädigten oder des Dritten nicht grob fahrlässig und nicht außerhalb der Lebenserfahrung liegt (BGH VersR 1963, 824, 825; 1964, 408, 409 m. w. Nachw.). Diese Voraussetzungen für die Annahme des adäquaten Kausalzusammenhangs sind nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil gegeben.
Das Schiffahrtsobergericht hat ein schuldhaftes Verhalten der Führung des Kahnes beim Löschen der Ladung verneint. Die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe sind nicht begründet. (Wird ausgeführt).
Der gerichtliche Sachverständige hat in einer eingehenden Berechnung angenommen, daß das Vorschiff mit den Räumen 1, 2 und 3 mit 197 t, die Schiffsmitte der Räume 6 und 7 mit 111 t, das Hinterschiff mit den Räumen 10, 11 und 12 mit 152 t und die Räume 4, 5, 8 und 9 mit 62 t belastet gewesen seien; für eine gleichmäßige Belastung wäre es erforderlich gewesen, entweder im Raum 7 eine zusätzliche Last von mindestens 60 t zu belassen oder die gleiche Last aus den Räumen 10, 11 und 12 herauszunehmen.
Nach den besonderen Umständen des Falles hält das Berufungsgericht ein Verschulden der Schiffsführung bei der Entladung nicht für gegeben. Es führt aus: Das teilweise Löschen der Ladung habe nicht unter normalen Verhältnissen durchgeführt werden können, sondern habe nach einer Havarie mit starkem Wassereinbruch im Vorschiff unter schwierigen Umständen erfolgen müssen. Hierbei sei nicht nur Eile geboten gewesen; vielmehr habe der ständige Zufluß des Wassers eine genaue Lastenverteilung überhaupt nicht zugelassen, zumal Größe, Art und Lage der Beschädigungen im Schiffsboden unbekannt gewesen seien und das Gewicht des im Vorderschiff befindlichen Wassers sich ständig verändert habe.
Die Revisionsangriffe müssen an der Feststellung des Berufungsgerichts scheitern, daß der Wasserstand im Vorschiff veränderlich war. Den Berechnungen des Sachverständigen liegen die Verhältnisse zugrunde, wie sie im Zeitpunkt des Knickens gegeben waren. Ein Verschulden der Schiffsführung käme aber nur in Frage, wenn sie während des teilweisen Löschens am Vortag in der Zeit von etwa 18 Uhr bis gegen 23 Uhr, also zur Nachtzeit, nach dem in diesem Zeitraum vorhandenen Wasserstand unsachgemäß entladen hätte.
Dazu kommt, daß nicht geklärt ist, inwieweit die Vermischung von Feinkohle und Wasser die Stärke des Wassereinbruchs und die Gewichtsverhältnisse beeinflußt hat. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, daß die Löschung unter weit schwierigeren Umständen erfolgte als bei einer normalen Entladung. Aus Rechtsgründen kann auch die Ansicht des Berufungsgerichts, das Löschen habe unter Zeitdruck gestanden, nicht beanstandet werden. Diese Auffassung des Berufungsgerichts wird von seiner Feststellung über die Stärke des Wassereinbruchs und das Nichtbekanntsein von Größe, Art und Lage der Kollisionsschäden am Schiffsboden getragen. Da alle diese Umstände unbekannt waren, konnte die Schiffsführung zu der Auffassung kommen, daß rasches Handeln geboten sei, um der Gefahr des Absinkens des Kahnes zu entgehen.Nach alldem ist im Betragsverfahren nunmehr davon auszugehen, daß der Knickschaden auf der von der Führung des MS A schuldhaft herbeigeführten Kollision beruht und die Kahnführung an der Entstehung des Knickschadens kein Verschulden trifft."