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Leitsätze:
1) Die Bundesrepublik Deutschland ist als Eigentümerin der Bundeswasserstraßen Zustandsstörer hinsichtlich des im Kanal befindlichen Öl-Wassergemisches und nach polizeirechtlichen Kriterien im Rahmen des Sofortvollzuges an erster Stelle verantwortlich für die Beseitigung der Verunreinigung und hat die daraus entstehende Kostenlast zu tragen.
2) Die untere Wasserbehörde ist befugt, gegen den Bund wasserbehördliche Anordnungen zur Abwehr von Gefahren zu erlassen.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil
vom 21.02.2002
Zum Tatbestand:
Der Kläger - Schiffseigner und Schiffsführer des MS "B" - wendet sich gegen seine Heranziehung zu Kosten, die dem Beklagten, dem Landkreis P., anlässlich einer Gewässerverunreinigung des Mittellandkanals durch Diesel- und Altöl entstanden sind.
MS "B" war am Nachmittag des 18. März 1996 auf dem Mittellandkanal bei der Ortschaft Woltorf der Stadt Peine infolge eines Defekts seines Autopiloten mit dem von seinem Eigner S. geführten MS "1" zusammen gestoßen. MS "1" sank. Das bei dem Unfall beschädigte MS "B" erreichte aus eigener Kraft das Kanalufer und machte dort fest. Der Beklagte ließ anschließend, weil aus MS "1" Diesel- und Altöl ausgelaufen waren, ... als untere Wasserbehörde im Einvernehmen mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt Braunschweig, der Wasserschutzpolizei und der Feuerwehr eine engere Ölsperre um das gesunkene Schiff legen, aus der mit einem Skimmer Öl abgesaugt wurde, und eine weitere Ölsperre etwa 800 m westlich quer über den Kanal ziehen. Die Firma T. aus H. wurde von ihm als Entsorger hinzugezogen, die am 19., 20., 21. und 23. März 1996 für ihn tätig wurde ....
Die kommunale Umwelt-Analytik E. entnahm im Auftrage des Beklagten am 19. März 1996 Proben im Bereich der Unfallstelle.... Nachdem der Beklagte am 31. März 1996 festgestellt hatte, dass die Bergung des MS "1" eingestellt worden war und er zwei Bodenproben genommen hatte, ordnete er außerdem an, dass zwei Wasserproben gezogen würden und eine Ölsperre um das gesunkene Schiff gelegt werde. Das Schiff wurde sodann in der Nacht vom 02. April 1996 geborgen. Der Beklagte ließ einen Ölfilm zwischen der Spundwand des Kanals und dem Schiff durch die Firma P. aus L. absaugen, die am 02. April 1996 für ihn als Entsorger tätig wurde ... Der Beklagte forderte den Kläger mit Bescheid vom 25. August 1997 zur Erstattung der Kosten seiner Maßnahmen auf, die er wegen der Verunreinigung des Mittellandkanales durch Diesel- und Altöl getroffen habe.
Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage gegen den Erstattungsbescheid als überwiegend unbegründet abgewiesen.
Die dagegen eingelegte Berufung hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung ist begründet, da das Verwaltungsgericht die Klage zu Unrecht überwiegend abgewiesen hat
Es obliegt den Wasserbehörden zwar nach § 169 Satz 1 des Niedersächsischen Wassergesetzes (NWG) vom 7. Juli 1960 (Nds. GVBI. S. 105) in der hier maßgeblichen Fassung vom 20. August 1990 (Nds. GVBI. S. 371), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 1995 (Nds. GVBI. S. 478), soweit nichts anderes bestimmt ist, das Wasserhaushaltsgesetz und dieses Gesetz sowie die aufgrund dieser Gesetze erlassenen Verordnungen zu vollziehen und Gefahren für Gewässer abzuwehren. Sie treffen gemäß Satz 2 aa0 zur Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Anordnungen einschließlich der Maßnahmen nach dem allgemeinen Recht der Gefahrenabwehr. Der Beklagte konnte demgemäß in diesem Rahmen als untere Wasserbehörde, § 168 Abs. 3 Satz 1 NWG, nach Maßgabe des § 64 Abs. 2 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes (NGefAG) in der Fassung vom 13. April 1994 (Nds. GVBI. S. 173) grundsätzlich auch im Wege der unmittelbaren Ausführung oder des sofortigen Vollzuges Maßnahmen ergreifen, um - wie im vorliegenden Fall - der Verunreinigung eines Gewässers entgegenzutreten.
Die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme der Gefahrenabwehr, d.h. die Anwendung eines Zwangsmittels ohne vorausgehenden Verwaltungsakt, ist nach § 64 Abs. 2 Nr. 1 NGefAG aber nur zulässig, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr, insbesondere weil Maßnahmen gegen Personen nach §§ 6 bis 8 nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen, erforderlich ist und die Verwaltungsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt.
Eine Heranziehung des Klägers zu den streitigen Kosten steht im vorliegenden Fall jedoch bereits entgegen, dass die Voraussetzungen für eine unmittelbare Ausführung der von dem Beklagten getroffenen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht erfüllt waren.
Ein Handeln durch die unmittelbare Ausführung oder den sofortigen Vollzug einer Maßnahme der Gefahrenabwehr, das eine besonders schwerwiegende Form eines ordnungsbehördlichen Eingriffs in fremde Rechte darstellt, kommt nach dem Grundsatz des geringst möglichen Eingriffs (§ 4 Abs. 1 NGefAG) nur in besonderen Eilfällen und jeweils nur in letzter Linie in Betracht, nachdem alle anderen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr sorgfältig geprüft worden sind (Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 440; OVG Lüneburg, Urt. v.11.5.1989 - 3 OVG A 94/87 - und - 3 OVG A 141/87 -; vgl. OVG Münster, OV-GE 7, 27, 33)....
Der zwischen den Beteiligten unstreitige Sachverhalt und ihr Vorbringen bieten keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Beklagte im vorliegenden Fall eine Person nach §§6 bis 8 NGefAG im Rahmen seiner Befugnisse nicht oder nicht rechtzeitig hätte heranziehen können oder dass ihre Heranziehung keinen Erfolg versprochen hätte.
Es erscheint allerdings als fraglich, ob der Beklagte zur Abwehr der Gefahren, die durch die Verunreinigung des Wassers des Mittellandkanals als Folge des Zusammenstoßes zwischen dem MS "1" und "B" begründet worden waren, den Kläger aufgrund seiner Verhaltensverantwortlichkeit nach § 6 Abs. 1 NGefAG, die das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Klägers mit zutreffender Begründung angenommen hat, rechtzeitig mit Aussicht auf Erfolg noch am Unfalltage, dem 18. März 1996, oder auch an den unmittelbar folgenden Tagen hätte heranziehen können. Gleiches gilt für die Heranziehung des Schiffsführers und Eigners des MS "1", den das Verwaltungsgericht als Zustandsstörer nach § 7 NGefAG im Hinblick darauf angesehen hat, dass Altöl und Dieselöl aus seinem gesunkenen Schiff ausgetreten waren. Diese Fragen bedürfen hier jedoch keiner Entscheidung. Es sind nämlich keine Gründe für die Annahme zu erkennen, dass dem Beklagten eine Heranziehung jedenfalls der Bundesrepublik als Zustandsstörer nicht rechtzeitig und mit Aussicht auf Erfolg möglich gewesen wäre.
Der Bund ist als Eigentümer des Mittellandkanals, einer Bundeswasserstraße, gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 NGefAG auch für Gefahren verantwortlich, die von einer Verunreinigung des Wassers des Kanals mit Öl ausgehen. Das Landesrecht ist durch Bundesrecht nicht daran gehindert, eine wasserpolizeiliche Zustandshaftung an Bundeswasserstraßen zu begründen, die dem Bund nicht als hoheitliche Aufgabe, sondern in seiner Eigenschaft als Eigentümer obliegt, zumal die Beseitigung von durch die Schifffahrt verursachten Wasserverunreinigungen insbesondere nicht zu seinen hoheitlichen Aufgaben der Schifffahrtspolizei zählt (BVerwG, Urt. v. 30.11.1990 - BVerwG 7 C 4.90 - DÖV 1991, 426, 428 = BVerwGE 87, 181). Der Bund hatte aufgrund einer Vermischung des Öls, das aus dem MS "1" ausgetreten war, mit dem Wasser des Kanals Eigentum an dem Öl-Wassergemisch nach § 948 BGB erlangt. Eine Trennung des Öls von dem Wasser mag zwar technisch möglich gewesen sein; der Untrennbarkeit vermischter beweglicher Sachen steht es nach § 948 Abs. 2 BGB aber gleich, wenn ihre Trennung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sein wüde. Das ist bei Öl, das auf einer Bundeswasserstraße treibt, regelmäßig der Fall (BVerwG, Urt. v. 22.11.1985 - BVerwG 4 A 1.83 -, DÖV 1986, 285, 287; OVG Hamburg, Urt. v. 27.4.1983 - OVG Bf II 15/79 -, DÖV 1983, 1016 ff.; OVG Lüneburg, Urt. v. 26.1.1989 - 3 OVG A 301/86 -). Nichts anderes kann aufgrund der durch sein Eigentum und seine Verwaltungsbefugnisse hinsichtlich der Bundeswasserstraßen vermittelten tatsächlichen Gewalt des Bundes über den Mittellandkanal und seine Ufer für seine Verantwortlichkeit nach § 7 Abs. 1 NGefAG gelten. Es sind obendrein keine Anhaltspunkte dafür gegeben, weshalb der Bund die von dem Beklagten im Rahmen der unmittelbaren Ausführung ergriffenen Maßnahmen der Ersatzvornahme, den Einsatz der Feuerwehren der Ortschaft W. und der Kernstadt P. vom Tage des Unfalls an, die Entnahme von Wasser- und Bodenproben durch die Kommunale Umwelt-Analytik E. sowie die Beauftragung des Entsorgungsunternehmens T. aus H. an den auf den Schiffszusammenstoß unmittelbar folgenden Tagen nicht rechtzeitig und mit gleicher Wirksamkeit durch seine Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, das Wasser- und Schifffahrtsamt Braunschweig, hätte treffen können.
Der Beklagte war außerdem grundsätzlich auch dazu gefugt, gegen den Bund wasserbehördliche Anordnungen zur Abwehr von Gefahren zu erlassen, die durch die Verunreinigung des Mittellandkanals infolge des hier fraglichen Schiffsunfalls verursacht worden waren. Die Behörden der Gefahrenabwehr und damit auch die Wasserbehörden als besondere Verwaltungsbehörden im Sinne von § 97 NGefAG sind zwar grundsätzlich nicht ermächtigt, ordnungsbehördliche Anordnungen zur Abwehr von Gefahren, für die andere Verwaltungsträger verantwortlich sind, gegen diese zu erlassen und durchzusetzen, wenn und soweit dadurch in ihre hoheitliche Tätigkeit, d.h. ihre öffentlich-rechtliche Zuständigkeit eingegriffen wird (grundlegend BVerwGE 29, 52, 59; vgl. a. OVG Lüneburg, Urt. v. 8.11.1990 - 3 L 105/89 -, ZfW 1992, 317; VGH Kassel, Beschl. v. 7.3.1996 - 14 TG 3967/95 -, NVwZ 1997, 304 und Beschl. v. 25.7.1997 -14 TZ 1755/97 - Juris; Urt. d. erk. Sen. v. 20.12.2001 - 7 L 5659/98 -; a.A. Götz aa0 Rn. 240; in Bezug auf Er-satzvornahmekosten auch Friauf in Badura/Breuer/Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Aufl.; Rn. 104). Das trifft grundsätzlich für die hier fraglichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr nicht zu, da die durch Landesrecht begründete wasserpolizeiliche Zustandshaftung dem Bund nicht als hoheitliche Aufgabe, sondern in seiner Eigenschaft als Eigentümer von (Gewässer) Grundstücken, d.h. im fiskalischen Bereich obliegt (BVerwG, Urt. v. 30.11.1990 - BVerwG 7 C 4.90 - aaO; Urt. v. 29.10.1982 - BVerwG 4 C 4.80 -, NVwZ 1983, 474, 475). Es erscheint hingegen als zweifelhaft, ob der Beklagte als Wasserbehörde auch befugt ist, den Bund kraft seiner Zustandshaftung gemäß § 7 NGefAG für Verunreinigungen einer Bundeswasserstraße heranzuziehen, wenn und soweit die Abwehr der Gefahr zwangsläufig die Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgabe insbesondere auf dem Gebiet der
Schifffahrtspolizei berührt. Diese Aufgaben könnten im vorliegenden Fall durch die Maßnahmen des Beklagten zur Gefahrenabwehr betroffen worden sein, da das Wasser- und Schifffahrtsamt Braunschweig sich wegen der hier fraglichen Gewässerverunreinigung zu einer Sperrung des Mittellandkanals an der Unfallstelle für den Schiffsverkehr bis zum 20. März 1996 veranlasst gesehen hat. Das Wasser- und Schifffahrtsamt wird diese Maßnahme aufgrund der schifffahrtspolizeilichen Aufgabe des Bundes gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt (Bin-nenschifffahrtsaufgabengesetz - BinSchAufgG) vom 15. Februar 1956 (BGBI. II S. 317) in der Fassung vom 4. August 1986 (BGBI. 1 S. 1270) zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf den Bundeswasserstraßen ergriffen haben. Wenn und soweit der Beklagte aber aus diesem Grunde zu einer Heranziehung des Bundes nach § 7 NGefAG nicht befugt gewesen sein sollte, würde die Abwehr dieser Gefahr Aufgabe des Bundes selbst gewesen sein. Für die Beachtung auch der fachfremden Gesetze ist nämlich in der Regel die jeweils tätige Hoheitsverwaltung selbst zuständig und verantwortlich, nicht eine fremde Fachbehörde (BVerwGE 29, 52, 59). So lässt auch § 64 Abs. 1 Satz 2 NGefAG in den Fällen des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 aa0 die Anwendung des Zwangsmittels der Ersatzvornahme gegen eine nach § 7 verantwortliche juristische Person des öffentlichen Rechts nur zu, sofern diese dadurch nicht an der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gehindert wird. Die Frage jedoch, ob der Beklagte im vorliegenden Fall durch sein Handeln mittels Ersatzvornahme im Wege der unmittelbaren Ausführung in öffentlich-rechtliche Zuständigkeit des Bundes eingegriffen hat, kann letztendlich dahingestellt bleiben, weil sein Handeln insoweit mangels Zuständigkeit gleichermaßen rechtswidrig gewesen sein würde.
Angesichts dieser Sach- und Rechtslage bedarf es keiner Entscheidung, ob und inwieweit die Heranziehung des Klägers zu den Kosten der Ersatzvornahme, die bei der Entsorgung des von der Wasseroberfläche des Mittellandkanals entfernten Öl-Wassergemisches einschließlich Bindemitteln durch die von dem Beklagten beauftragen Entsorgungsunternehmen T. aus H. und P. aus L. entstanden sind, den Bestimmungen des Abfallrechts für die Entsorgung von Abfällen entspricht. Das auf dem Wasser des Mittellandkanals treibende Öl war zwar kein Abfall im Sinne von § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz - AbfG) v. 27. August 1986 (BGBI. I S. 1410), da es -wie bereits ausgeführt - nach seiner Vermischung mit dem Wasser gemäß § 948 BGB eine rechtliche Einheit mit dem Kanal bildete und deshalb nicht mehr als eine bewegliche Sache anzusehen war (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.11.1985 - BVerwG 4 A 1.83 - aaO; IVG Lüneburg, Urt. v. 26.1.1989 - 3 OVG A 301/86 -). Es hatte diese Eigenschaft aber wieder angenommen und war damit Abfall geworden, sobald es von der Wasseroberfläche des Kanals als Öl -Wassergemisch abgesaugt oder geschöpft worden war. Bei Sachen, die Abfälle sind oder es durch die Bekämpfung einer konkreten Gefahr für anderweitig geschützte Rechtsgüter werden, dürfen jedoch im Rahmen der Gefahrenbeseitigung die Vorschriften des Abfallsrechts für die Entsorgung von Abfällen nicht außer Betracht bleiben (BVerwG, Urt. v. 18.10.1991 - BVerwG 7 C 2.91 - Buchholz 451.22 AbfG Nr. 43). Dem Ordnungspflichtigen darf deshalb, wenn er Besitzer von Abfällen ist oder es im Zuge der angeordneten Gefahrenbeseitigung wird, durch Ordnungsverfügung nichts aufgegeben werden, was seinen aus dem Abfallbesitz folgenden Pflichten gemäß § 3 Abs. 1 oder 4 AbfG widersprechen würde (BVerwG aa0).
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2002 - Nr. 7, 8 (Sammlung Seite 1870 ff.), ZfB 2002, 1870 ff.