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Leitsatz:
Die Anwendung des § 31 Abs. 3 BiSchVG setzt voraus, dass eine Vereinbarung über die Berechnung oder Gewährung tarifwidriger Entgelte getroffen worden ist. Eine extensive Auslegung etwa dahingehend, dass das Unterlassen einer Rechnungsstellung aus grober Fahrlässigkeit einer Vereinbarung durch schlüssiges Verhalten gleichgestellt werden müsse, ist unzulässig.
Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg
vom 28. Juni 1984
Zum Tatbestand:
Die zur Überprüfung tarifmäßigen Verhaltens eingesetzte Behörde, die Beklagte, hatte gegen den Kläger ein Verfahren wegen Nichtberechnung der tariflichen Fracht für 5 Reisen eingeleitet und hierfür einen Betrag von insgesamt rd. 17500,- DM - unter Berufung auf § 31 Abs. 3 BiSchVG eingezogen. In zwei weiteren, wegen der Nichtberechnung der Fracht zum Vorwurf gemachten Fällen hatte der Frachtschuldner den Betrag von ca. 10400,- DM beim zuständigen Amtsgericht hinterlegt. Der Kläger klagt im 1. Fall auf Zahlung, im 2. Fall auf Einwilligung in die Auszahlung des hinterlegten Betrages. Er hat vorgetragen, dass Vereinbarungen über die Nichtberechnung des jeweiligen Frachtentgelts nicht getroffen seien und die Unterlassung der Frachtberech¬nung auf Versehen der eingeschalteten Speditionsfirma oder anderer Abrechnungsstellen beruhe. Das Landgericht hat die Klage ohne Beweisaufnahme - trotz vom Kläger angebotener Zeugenbeweise - abgewiesen. Auf seine Berufung hat das Oberlandesgericht im Sinne der gestellten Anträge entschieden.
Aus den Entscheidungsgründen:
„....
Aufgrund des Beschäftigungsabkommens vom 20. September 1977 hat der Kläger für die HG Kiel mit dem Binnenmotorschiff ,O’ eine Vielzahl von Reisen durchgeführt.
...
Die eingeschaltete Speditionsfirma unterließ es, dem Kläger Gutschriften und der HG Kiel Frachtrechnungen für die durchgeführten Transporte zu erteilen, und zwar in Höhe von zusammen DM 13772,18. Weiter hat der Kläger Gerste mit dem Binnenmotorschiff ,O’ transportiert und keine Rechnung über das Frachtentgelt von DM 3745,- erstellt, was bei der HG Kiel nicht bemerkt wurde. Diese Feststellung traf die Beklagte anlässlich von Betriebsprüfungen. Sie hat die Beträge von insgesamt DM 17517,18 eingezogen, Zahlung ist erfolgt.
Die genannten Frachtforderungen stehen dem Kläger zu. Er ist nach wie vor Gläubiger dieser Forderungen. Sie sind nicht auf die Beklagte übergegangen, denn § 31 Abs. 3 BiSchVG kommt nicht zur Anwendung. Denn diese Bestimmung erfordert, dass die Vertragsparteien in Kenntnis oder in grob fahrlässiger Unkenntnis des festgesetzten Entgelts ein von diesem abweichendes Entgelt vereinbaren. Die durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Parteien nicht vereinbart haben - und sei es nur stillschweigend -, diese fünf genannten Reisen nicht in Rechnung zu stellen, um so von den festgesetzten Entgelten abzuweichen. Der Zeuge A., Handlungsbevollmächtigter der HG Kiel, hat eine entsprechende Vereinbarung entschieden in Abrede genommen. Er habe bis dahin lediglich unterlassen zu überprüfen, ob für durchgeführte Transporte die entsprechenden Rechnungen eingegangen seien. Er habe es für eine Selbstverständlichkeit gehalten, dass derjenige, der Geld haben wolle, von sich aus eine Rechnung schicke. Dieser Fall sei zum Anlass genommen, um durch eine organisatorische Änderung sicherzustellen, dass derartige Fehler nicht mehr passieren könnten. Eine Absprache sei völlig abwegig; es handele sich lediglich um ein Versehen.
...Eine Vereinbarung, keine Rechnung zu stellen für vier Transporte, haben auch die Herren von der Firma B. GmbH strikt verneint. Sachbearbeiter ist damals der Zeuge S. gewesen.
Er hat jede Befrachtung in ein Buch eingetragen, und dann wurde aufgrund dieser Eintragung die Rechnung für die HG Kiel erstellt und danach dem Kläger eine Gutschrift erteilt. In den hier fraglichen vier Fällen hat es der Zeuge unterlassen, eine Eintragung in das Buch vorzunehmen. Das bewirkte, dass keine Rechnung geschrieben und keine Gutschrift erteilt worden ist. (Es folgen weitere Ausführungen über Zeugenaussagen).
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Alle Zeugen haben einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Es ist nicht ersichtlich und auch nichts von Seiten der Beklagten dafür vorgetragen worden, dass Zweifel an ihren Angaben bestehen. Die Stellungnahme der Beklagten vom 16. Mai 1984 zur Beweisaufnahme befasst sich auch mit keinem Wort mit den Zeugenaussagen, soweit diese eine Vereinbarung geleugnet haben. Das könnte darauf hindeuten, dass die Beklagte selbst nicht mehr daran festhält, dass hier derartige Vereinbarungen vorliegen. Die Beklagte hat auch keine weiteren Tatsachen vorgetragen oder Unterlagen eingereicht, aus denen sich Anhaltspunkte für eine tarifwidrige Vereinbarung ergeben. Da es an einer Voraussetzung des § 31 Abs. 3 BiSchVG mangelt - es fehlt eine Vereinbarung -, sind die Ansprüche auf den Frachtlohn nicht auf die Beklagte übergegangen. Dieses Tatbestandsmerkmal kann auch nicht, wie die Beklagte meint, dadurch ersetzt werden, dass einem Vereinbaren durch schlüssiges Verhalten gleichgestellt wird das Unterlassen einer Rechnungsstellung aus grober Fahrlässigkeit heraus.
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Wollte man die Vorschrift so verstehen, wie die Beklagte meint, würde durch eine derart extensive Auslegung ihr die Möglichkeit gegeben, auch in nicht eindeutigen Fällen Forderungen als übergeleitet geltend zu machen. Das käme einer Bestrafung gleich, die dem Sinn und Zweck von § 31 Abs. 3 BiSchVG widerspricht (vgl. zur Problematik BGHZ 64,159 ff. = NJW 1975, 1283, 1284). Die Fälle, in denen übergeleitet wird, müssen klar bestimmbar sein entsprechend der Gesetzesfassung. Der Wortlaut von § 31 Abs. 3 BiSchVG ist insoweit eindeutig, er verlangt ausdrücklich, dass die Parteien ein abweichendes Entgelt vereinbaren (vgl. Urteil des Senats in der Sache 6 U 222/82 vom 9. Februar 1984) 1). Angesichts dieses klaren Wortlautes ist für eine Auslegung kein Raum. Demgemäß besteht auch kein Anlass, die Revision zuzulassen, wie es die Beklagte erstrebt. Für eine Änderung der Vorschrift im Sinne der Beklagten kann nur der Gesetzgeber sorgen.
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Hat mithin zunächst die HG Kiel ohne befreiende Wirkung an die Beklagte geleistet, da Frachtgläubiger nach wie vor der Kläger war, so hat aber der Kläger die Annahme dieser Leistung genehmigt, wie sein Verhalten in diesem Rechtsstreit zeigt. Der Berechtigte, hier der Kläger, hat das Wahlrecht, ob er die Annahme der Leistung wirksam werden lassen und das hierdurch Erlangte von dem Nichtberechtigten herausverlangen oder ob er gegen den nicht befreiten Schuldner vorgehen will (Palandt-Thomas, 43. Aufl. 1984, § 816 Anm. 4).
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Die Beklagte ist verpflichtet, darin einzuwilligen, dass der von der Raiffeisenbank beim Amtsgericht Lauenburg/Elbe zum Aktenzeichen HL 6/82 hinterlegte Betrag von DM 10 384,90 an den Kläger ausgezahlt wird.
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Anspruchsgrundlage ist § 812 BGB, da die an der Hinterlegung beteiligte Beklagte ihre Rechtsstellung ohne Rechtsgrund auf Kosten des wirklichen Gläubigers, des Klägers, erlangt hat. Denn auch in diesem Fall hat die Beweisaufnahme eindeutig ergeben, dass es keine Vereinbarung, auch nicht durch schlüssiges Verhalten, zwischen dem Kläger und der Raiffeisenbank Lauenburg gegeben hat, die beiden Transporte nicht in Rechnung zu stellen. Damit fehlt es an einem Merkmal von § 31 Abs. 3 BiSchVG. Der Anspruch des Klägers ist nicht auf die Beklagte übergegangen. Der Zeuge C. hat anlässlich seiner Vernehmung anschaulich und glaubwürdig geschildert, wie es dazu gekommen ist, dass man übersehen hat, dass der Kläger diese beiden Fahrten nicht in Rechnung gestellt hat.
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dass es für eine Tarifunterschreitung im Verhältnis zur Raiffeisenbank Lauenburg auch keinen vernünftigen Grund gegeben hat, erhellt aus der Tatsache, dass der Kläger nur eine Fahrt 1980 und weiter 1981 diese beiden fraglichen Fahrten durchgeführt hat. Weitere Vertragsbeziehungen haben nicht bestanden. Es ist deshalb nicht einsichtig, weshalb der Kläger der Raiffeisenbank Lauenburg soweit entgegenkommen sollte, keine Rechnungen zu erstellen. Eine Auslegung von § 31 Abs. 3 BiSchVG im Sinne der Beklagten kommt ebenfalls nicht in Betracht.
...“.