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Leitsätze:
1) Grundsatzfragen zum Festfrachtsystem und zum Verschulden der Beteiligten an einer Frachtunterbietung.
2) Zulässigkeit von Provisionsabreden, wenn seitens des Frachtenausschusses insoweit keine Festsetzung erfolgt ist.
Oberlandesgericht
Urteil
vom 10. Mai 1973
Zum Tatbestand:
Die Klägerin - eine Wasser- und Schifffahrtsdirektion - verlangt gemäß § 31 Abs. 3 BiSchVG die Zahlung von Unterschiedsbeträgen zwischen tariflich festgesetzter und tatsächlich berechneter, zu geringer Fracht sowie von Provisionsbeträgen an den Bund, soweit diese verschiedenen als Unterfrachtführern beschäftigten Partikulieren von den Beklagten abgezogen worden sind.
Die Beklagten bestreiten die Tarifverstöße in objektiver Hinsicht nicht, berufen sich jedoch auf die Wettbewerbslage, die ihnen die Durchsetzung der Fracht gegenüber dem Verlader nicht gestattet habe, und weisen auf den Umstand hin, dass der Frachtenausschuss im Jahre 1969 nach Inkrafttreten der Novelle zum Binnenschiffsverkehrsgesetz (1. 1. 1969) einige Monate nicht handlungs- und beschlussfähig gewesen sei. Um der damaligen Konkurrenzsituation begegnen zu können, seien die Beklagten zu 2 als Binnenschifffahrtsunternehmen (oHG) und die Beklagten zu 3a und 3b als ihre Gesellschafter berechtigt und gezwungen gewesen, ein marktgerechtes niedrigeres Entgelt zu berechnen, da die Transporte sonst verloren gegangen seien. Im Übrigen sei die Wirksamkeit der Festfrachtregelung in Zweifel zu ziehen, da mangels Allgemeinverbindlichkeit der Verfrachtungsbedingungen das Tarifsystem durch manipulierte Bedingungen umgangen werden könne und auch grundgesetzwidrig sei. Ferner sind die Beklagten der Meinung, dass sie nicht nochmals den Unterschiedsbetrag zu zahlen hätten, da die begünstigte Firma, die den Transportauftrag erteilt hatte, den Differenzbetrag bereits abgeführt habe. dass sie Unterfrachtführer eingesetzt habe, müsse außer Betracht bleiben. Diese treffe jedenfalls kein Verschulden, zumal es Privatschiffern weder möglich noch zumutbar sei, den FTB zu beziehen und laufend zu verfolgen. Die Provisionsvereinbarung sei erlaubt gewesen.
Das Landgericht hat den Anspruch wegen angeblich unzulässiger Provisionszahlung nicht für gerechtfertigt erklärt, die Beklagten im Übrigen aber zur Zahlung verurteilt. Die Berufung beider Parteien blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Wie schon die Zivilkammer vermag auch der Senat die verfassungsrechtlichen Bedenken der Beklagten zu 2, 3a und 3b gegen das Festfrachtensystem des BiSchVG nicht zu teilen. Er sieht ebenfalls keinen Anlass, gemäß Art. 100 Abs. 1 GG den Rechtsstreit auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Die Ausführungen der Beklagten und deren Hinweis in der Berufsbegründung auf das in BB 72, 56 veröffentlichte Urteil des 3. Zivilsenats dieses Gerichts vom 9. Dezember 1971 lassen erkennen, dass sie nicht scharf unterscheiden zwischen der Frage der Wirksamkeit von vertikalen Preisbindungen nach kartellrechtlichen oder zivilrechtlichen Gesichtspunkten und der Verfassungsmäßigkeit staatlicher Preisbindung.
Abgesehen davon ist die sich aus den § 21, 29 BiSchVG ergebende Preisbindung nicht lückenhaft, so dass sich die von den Beklagten aufgeworfenen Fragen einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG gar nicht stellen. Die von den zuständigen Frachtenausschüsen festgesetzten Entgelte für Verkehrsleistungen binden, sobald sie vom Bundesminister für Verkehr genehmigt und als Rechtsverordnung erlassen worden sind, jedermann. Daran ändert sich nichts dadurch, dass es der Gesetzgeber im Gegensatz zu den gesetzlichen Regelungen bestimmter anderer Zweige der Transportwirtschaft bisher nicht für erforderlich gehalten hat, einheitliche Beförderungsbedingungen für die Binnenschifffahrt zu erlassen. Sofern die Parteien nichts besonderes vereinbaren und gesetzliche Bestimmungen wie etwa die § 41 und 56 BSchBG fehlen, bestimmt sich der Inhalt der einzelnen Frachtverträge nach Handelsbrauch (§ 346 HGB); im Übrigen sind die Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157, 242 BGB). Mangels einheitlicher Beförderungsbedingungen ist den Parteien also ein gewisser Freiraum für individuelle Vertragsgestaltungen geblieben. Seine Grenzen findet er u. a. in § 42a BiSchVG. Stellte sich die rechtsgeschäftliche Ausgestaltung eines Frachtvertrages mit Hilfe besonderer Beförderungsbedingungen als krasse Abweichung von der, wenn auch abdingbaren, gesetzlichen Regelung und vom Handelsbrauch und damit als Umgehung der Festentgeltregelung dar, so ist die Vereinbarung nach § 31 Abs. 1 BiSchVG unzulässig und nach Abs. 2 jener Bestimmung wird nur das festgesetzte Entgelt geschuldet. Außerdem wird ein solcher Verstoß nach den § 36 ff. BiSchVG zu ahnden sein.
Jede staatliche Preisbindung reizt wie etwa die Steuergesetze oder die allgemeinen Strafgesetze zu ihrer Umgehung. Alle diese Gesetze werden in sehr großem Umfange unentdeckt verletzt, ohne dass hierin ein Grund gesehen wird, im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG an der Verfassungsgemäßheit jener Gesetze zu zweifeln.
Daran, dass im Zusammenhang mit den Transporten die Beteiligten objektiv Tarifverstöße begingen, wie das Landgericht es im einzelnen ausgeführt hat, zweifeln auch die Beklagten zu 2, 3a und 3b nicht. Sie weisen lediglich auf die Wettbewerbslage und auf den Umstand hin, dass der Frachtenausschuss vorübergehend nicht beschlussfähig war.
Das BiSchVG lässt die von den Beklagten aus durchaus beachtlichen Gründen gewünschte Reaktion auf eine veränderte Marktlage nur bedingt zu. Schon das normale Verfahren gemäß §§ 21, 28, 29 BiSchVG dauert unstreitig 4 bis 6 Monate. Diese Regelung führt dazu, dass die Binnenschifffahrt gelegentlich oder sogar häufig vorübergehend mit nicht mehr zeitgemäßen Tarifen arbeiten muss. Das kann ihr aber nicht das Recht geben, vor Inkrafttreten des neuen Tarifs gemäß §§ 29, 30 BiSchVG diesen bereits anzuwenden.
Ein rechtfertigender Notstand, wie die Beklagten unter Hinweis auf § 12 OWiG meinen, hat gewiss nicht vorgelegen. Die Möglichkeit zum Abschluss gewinnbringender Geschäfte ist kein Rechtsgut in diesem Sinne.
Der Tarifverstoß führt vorbehaltlich weiterer Ausführungen zur Frage des Verschuldens dazu, dass die Beklagte zu 3a und 3b gemäß § 31 Abs. 3 BiSchVG den Unterschiedsbetrag an die Klägerin zu entrichten hat.
Insoweit bemängeln die Beklagten zu 2, 3a und 3b zu Unrecht die zutreffende Ansicht der Klägerin und des Landgerichts, dass jeder Frachtvertrag einzeln zu betrachten und nach § 31 Abs. 1 BiSchVG der Unterschiedsbetrag eines jeden Vertrages an die Klägerin zu entrichten sei. Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Beklagte zu 2 rechtlich und tatsächlich selbständige Frachtverträge mit der Firma einerseits und Unterfrachtverträe mit den Privatschiffern andererseits abschloss.
Die Beklagte zu 2 kann nicht geltend machen, damit schlechter gestellt zu werden als ein Frachtführer, der zur Erfüllung seiner Vertragspflichten eigenen Schiffsraum einsetzt. Die Sachverhalte sind nicht miteinander zu vergleichen. Die Regelung des § 31 Abs. 3 BiSchVG dient u. a. dem Schutz der einzelnen Binnenschiffer, und diesem Zweck würde es widersprechen, wenn in einem Falle wie dem zu entscheidenden nur der Absender aus dem Hauptfrachtvertrag in Anspruch genommen werden könnte.
Die Beklagte zu 2 und die Unterfrachtführer waren berechtigt, eine Provision für jene zu vereinbaren.
Zwar trifft es zu, dass die Frachtenausschüsse gemäß § 21 BiSchVG ausschließlich zuständig sind, die Vergütungen für alle mit der Schiffsbeförderung unmittelbar zusammenhängenden Nebenleistungen wie auch Spediteurprovisionen, Maklerentgelte u. ä. festzusetzen (vgl. Hans, OLG Hamburg, Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen, 1972, 186, 187; Vortisch-Zschucke, Anm. 1b zu § 21 BiSchVG; Kählitz, Das Gesetz über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr, Rdn. 2 zu § 21). Eine solche Provision war unstreitig nicht festgesetzt worden.
Die Ansicht der Klägerin, dass in einem Falle wie dem hier zu entscheidenden das Binnenschifffahrtsunternehmen ohne jede Provision auskommen muss, wenn es nicht auf den Abschluss von Hauptfrachtverträgen ganz verzichten will, kann nicht richtig sein. Abgesehen von dem grundsäzlich legitimen Gewinnstreben eines jeden Kaufmanns muss er in der Lage sein, seine Unkosten zu decken.
Die Beklagte zu 2 ist vorsätzlich von dem ihr bekannten Tarif abgewichen. Das ergibt ihr eigener Vortrag, mit dem sie - ohne Erfolg - ihr Verhalten rechtfertigen will. Wenn allein ihr damaliger Prokurist die hier in Frage stehenden Verträge geschlossen und abgewickelt hat, so ist dieser Umstand unerheblich. Entsprechend §§ 166 BGB, 49 HGB muss sich die Beklagte das Verhalten und Wissen ihres Prokuristen zurechnen lassen.
Der Senat ist auch davon überzeugt, dass auf Seiten der beteiligten Privatschiffer die Tarifverstöße vorsätzlich begangen wurden.
Aber selbst wenn es zutrifft, dass die Partikuliere und Hausschiffer den festgesetzten Tarif nicht gekannt hatten und auch nicht kennen mussten, weil es ihnen aus den angedeuteten Gründen nicht zuzumuten oder schlechterdings wirtschaftlich unmöglich war und ist, die jeweils gültigen Tarife zu ermitteln, fehlt es nicht an einem den Unterfrachtführern zurechenbaren Verschulden in der Form des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit, und zwar aus folgenden Gründen:
Mit der von ihm geschaffenen Festfrachtenregelung hat der Gesetzgeber nicht zuletzt im Interesse der kleingewerblichen Binnenschifffahrt allen in diesem Gewerbe Tätigen auferlegt, nur die festgesetzten Entgelte zu vereinbaren, und Verstöße hiergegen mit Strafe und der Sanktion nach § 31 Abs. 3 BiSchVG bedroht. Wer sich in der Binnenschifffahrt gewerblich betätigt, muss also Vorsorge treffen, dass er dieses Gebot des Gesetzgebers erfüllt, Dazu gehört die Kenntnis der Tarife, wie sie fortlaufend im FTB veröffentlicht werden. Wenn der einzelne Privatschiffer nicht in der Lage ist, den FTB zu beziehen, geordnet aufzubewahren und im Bedarfsfalle darin nachzusehen, sondern dies seinem Schifferbetriebsverband, seiner Genossenschaft oder seinem Reedereiunternehmen, denen er gemäß §§ 12, 14 Abs. 2 BiSchVG zwangsweise angeschlossen ist, überlässt, so bedient er sich ihrer zur Erfüllung der vom Gesetzgeber ihm auferlegten Verpflichtung gewissermaßen als Vertreter oder als Erfüllungsgehilfe, und zwar auch dann, wenn er wie im vorliegenden Falle mit dem Reedereiunternehmen im Übrigen gegenseitige Verträge, nämlich Frachtverträge, mit entgegengesetzten Interessen schließt.
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